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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Line Minderung zur Gralsburg

Aber draußen, auf den wundervollen aussichtsreichen Waldpfaden, die in
die Klüfte des Berges hineinführen, da weht wieder freie Luft. Hier kann
jeder nach seiner Fasson selig werden, während drinnen der Geist strengsten
Zelotentums herrscht, wenn auch heute dem Löwen längst die Klauen be¬
schnitten sind.

Fast jeder dieser Pfade führt nach einer anderen Einsiedelei. Denn ähnlich
dem heiligen Berge Athos ist auch dieser heilige Berg nicht nur der Träger
eines heiligen Klosters, nein, überall zwischen Wald und Felsgeklüft waren
solche Eremitenklausen, die freilich heute zum Teil längst in Trümmern liegen.
Alle Namen, alle Erinnerungen mahnen daran, daß man auf heiligem Boden
schreitet. Hier ist das Valle Malo. das sich auftat in jenem Augenblick, als
Jesus am Kreuze die letzten Worte sprach; dort das "Santuario de la Cueva",
jene Grotte, worin das heilige Bild der Jungfrau, von Hirten ver¬
steckt zum Schutz gegen die Mauren, verborgen blieb, bis es lange darauf erst
wiedergefunden wurde. Denn dieser Berg war eine feste Burg christlichen
Glaubens. Viel früher als das heutige Kloster haben hier schon andere heilige
Stätten gestanden. In den unnahbaren Schluften dieser Türme hatten sich
schon die Christen verborgen, als von Süden her der Islam über das Land
brauste wie ein verheerender Wüstenwind. Diese Höhen hatte er nicht zu nehmen
vermocht. Sicher geborgen sahen von hier aus die Christen drunten durch die
katalanische Ebene das weißbemäntelte Beduinenheer gen Franken finden und
wieder zurückebben, geschlagen von Karl Martell. und später bis diesseits der
Pyrenäen verfolgt von dem großen Kaiser Karl, der wieder eine christliche Mark
hier schuf.

Am höchsten erreichbaren Ziele, bei San Jeronimo, standen wir am
Nachmittag und sahen, vor uns ins Grenzenlose sich dehnend, das Hügelland
Kataloniens und weiter die aragonische Ebene.

Mit uns waren einige Herren emporgestiegen; unermüdlich mit ihrem Zeiß-
apparat Ansicht um Ansicht festhaltend von dem tausendförmigen heiligen Berge
und wie wir hinabschauend auf das weite, nun in wolkenloser Klarheit
aufgerollte Land.

Wir kamen in ein Gespräch. "Sie sind Spanier?" fragte ich.

"Catalan, Tenor!" war die lächelnde, von stolzer Geste begleitete Antwort.

Ich verstand. Man fühlt sich hier im Norden, an der Grenze Frankreichs,
als ein dem herrschenden Stamm der Kastilier fremdes Volk. Man fühlt sich
als die fleißigere, intelligentere, moderne Rasse, deren Hauptstadt Barzelona,
das Mailand Spaniens, das Zentrum des modernsten Lebens der ganzen
Halbinsel ist.

Wir sprachen ein wenig von diesen Dingen, obwohl auch diese Herren
dem Fremden gegenüber jene Zurückhaltung zeigten, die ich oft bei Spaniern
fand, sobald sie mit Ausländern über Politik redeten. Aber ich verstand zwischen
den Zeilen zu lesen. Hatte ich doch am Abend vorher in Barzelona einer


Line Minderung zur Gralsburg

Aber draußen, auf den wundervollen aussichtsreichen Waldpfaden, die in
die Klüfte des Berges hineinführen, da weht wieder freie Luft. Hier kann
jeder nach seiner Fasson selig werden, während drinnen der Geist strengsten
Zelotentums herrscht, wenn auch heute dem Löwen längst die Klauen be¬
schnitten sind.

Fast jeder dieser Pfade führt nach einer anderen Einsiedelei. Denn ähnlich
dem heiligen Berge Athos ist auch dieser heilige Berg nicht nur der Träger
eines heiligen Klosters, nein, überall zwischen Wald und Felsgeklüft waren
solche Eremitenklausen, die freilich heute zum Teil längst in Trümmern liegen.
Alle Namen, alle Erinnerungen mahnen daran, daß man auf heiligem Boden
schreitet. Hier ist das Valle Malo. das sich auftat in jenem Augenblick, als
Jesus am Kreuze die letzten Worte sprach; dort das „Santuario de la Cueva",
jene Grotte, worin das heilige Bild der Jungfrau, von Hirten ver¬
steckt zum Schutz gegen die Mauren, verborgen blieb, bis es lange darauf erst
wiedergefunden wurde. Denn dieser Berg war eine feste Burg christlichen
Glaubens. Viel früher als das heutige Kloster haben hier schon andere heilige
Stätten gestanden. In den unnahbaren Schluften dieser Türme hatten sich
schon die Christen verborgen, als von Süden her der Islam über das Land
brauste wie ein verheerender Wüstenwind. Diese Höhen hatte er nicht zu nehmen
vermocht. Sicher geborgen sahen von hier aus die Christen drunten durch die
katalanische Ebene das weißbemäntelte Beduinenheer gen Franken finden und
wieder zurückebben, geschlagen von Karl Martell. und später bis diesseits der
Pyrenäen verfolgt von dem großen Kaiser Karl, der wieder eine christliche Mark
hier schuf.

Am höchsten erreichbaren Ziele, bei San Jeronimo, standen wir am
Nachmittag und sahen, vor uns ins Grenzenlose sich dehnend, das Hügelland
Kataloniens und weiter die aragonische Ebene.

Mit uns waren einige Herren emporgestiegen; unermüdlich mit ihrem Zeiß-
apparat Ansicht um Ansicht festhaltend von dem tausendförmigen heiligen Berge
und wie wir hinabschauend auf das weite, nun in wolkenloser Klarheit
aufgerollte Land.

Wir kamen in ein Gespräch. „Sie sind Spanier?" fragte ich.

„Catalan, Tenor!" war die lächelnde, von stolzer Geste begleitete Antwort.

Ich verstand. Man fühlt sich hier im Norden, an der Grenze Frankreichs,
als ein dem herrschenden Stamm der Kastilier fremdes Volk. Man fühlt sich
als die fleißigere, intelligentere, moderne Rasse, deren Hauptstadt Barzelona,
das Mailand Spaniens, das Zentrum des modernsten Lebens der ganzen
Halbinsel ist.

Wir sprachen ein wenig von diesen Dingen, obwohl auch diese Herren
dem Fremden gegenüber jene Zurückhaltung zeigten, die ich oft bei Spaniern
fand, sobald sie mit Ausländern über Politik redeten. Aber ich verstand zwischen
den Zeilen zu lesen. Hatte ich doch am Abend vorher in Barzelona einer


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[0289] Line Minderung zur Gralsburg Aber draußen, auf den wundervollen aussichtsreichen Waldpfaden, die in die Klüfte des Berges hineinführen, da weht wieder freie Luft. Hier kann jeder nach seiner Fasson selig werden, während drinnen der Geist strengsten Zelotentums herrscht, wenn auch heute dem Löwen längst die Klauen be¬ schnitten sind. Fast jeder dieser Pfade führt nach einer anderen Einsiedelei. Denn ähnlich dem heiligen Berge Athos ist auch dieser heilige Berg nicht nur der Träger eines heiligen Klosters, nein, überall zwischen Wald und Felsgeklüft waren solche Eremitenklausen, die freilich heute zum Teil längst in Trümmern liegen. Alle Namen, alle Erinnerungen mahnen daran, daß man auf heiligem Boden schreitet. Hier ist das Valle Malo. das sich auftat in jenem Augenblick, als Jesus am Kreuze die letzten Worte sprach; dort das „Santuario de la Cueva", jene Grotte, worin das heilige Bild der Jungfrau, von Hirten ver¬ steckt zum Schutz gegen die Mauren, verborgen blieb, bis es lange darauf erst wiedergefunden wurde. Denn dieser Berg war eine feste Burg christlichen Glaubens. Viel früher als das heutige Kloster haben hier schon andere heilige Stätten gestanden. In den unnahbaren Schluften dieser Türme hatten sich schon die Christen verborgen, als von Süden her der Islam über das Land brauste wie ein verheerender Wüstenwind. Diese Höhen hatte er nicht zu nehmen vermocht. Sicher geborgen sahen von hier aus die Christen drunten durch die katalanische Ebene das weißbemäntelte Beduinenheer gen Franken finden und wieder zurückebben, geschlagen von Karl Martell. und später bis diesseits der Pyrenäen verfolgt von dem großen Kaiser Karl, der wieder eine christliche Mark hier schuf. Am höchsten erreichbaren Ziele, bei San Jeronimo, standen wir am Nachmittag und sahen, vor uns ins Grenzenlose sich dehnend, das Hügelland Kataloniens und weiter die aragonische Ebene. Mit uns waren einige Herren emporgestiegen; unermüdlich mit ihrem Zeiß- apparat Ansicht um Ansicht festhaltend von dem tausendförmigen heiligen Berge und wie wir hinabschauend auf das weite, nun in wolkenloser Klarheit aufgerollte Land. Wir kamen in ein Gespräch. „Sie sind Spanier?" fragte ich. „Catalan, Tenor!" war die lächelnde, von stolzer Geste begleitete Antwort. Ich verstand. Man fühlt sich hier im Norden, an der Grenze Frankreichs, als ein dem herrschenden Stamm der Kastilier fremdes Volk. Man fühlt sich als die fleißigere, intelligentere, moderne Rasse, deren Hauptstadt Barzelona, das Mailand Spaniens, das Zentrum des modernsten Lebens der ganzen Halbinsel ist. Wir sprachen ein wenig von diesen Dingen, obwohl auch diese Herren dem Fremden gegenüber jene Zurückhaltung zeigten, die ich oft bei Spaniern fand, sobald sie mit Ausländern über Politik redeten. Aber ich verstand zwischen den Zeilen zu lesen. Hatte ich doch am Abend vorher in Barzelona einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/289>, abgerufen am 21.06.2024.