Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Stäben der Eigenschaft -- allgemein mit v -->, ihr Fehlen durch den kleinen
-- -- angedeutet. Wenn Braunäugigkeit so durch das Symbol -- IZK --
auszudrücken wäre, so käme einem blauäugigen Individuum die Formel bb zu:
d. h. in sein Erbgut hat weder die väterliche noch die mütterliche Erbzelle die
Einheit K hineingetragen.

Diese "Presence-Absence"-Hypothese zählt heute viele Anhänger, aber
auch manchen Gegner. Eine Entscheidung über ihre Richtigkeit steht noch aus.
Ihre große Bequemlichkeit mag begründen, daß ihr fast überall gefolgt wird.
Gibt sie doch auch für die Auffassung der Mischcharaktere eine willkommene
Erleichterung: erbt ein Wesen z. B. nur vom Vater her das Gen K für
Dunkeläugigkeit, so verfügt das Erbgut gewissermaßen nur über eine halbe
Dosis, nur über die Hälfte der Fähigkeit, dunklen Regenbogenhautfarbstoff
auszuarbeiten: sie wird -- im Sinne jener quantitativen Auffassung -- durch
das gleichzeitige Fehlen der zweiten Hälfte verdünnt und so kommt es nur zum
Halbeffekt, zur Erzeugung von Mitteltönen. Auch die Beobachtung, daß bei
manchen Erbtümern schon die Hälfte des Ganzen genügt, um eine Wirkung
hervorzurufen, die der des Ganzen gleichkommt -- d. h. also Dominanz --.
wird bei sehr intensiver Wirksamkeit verständlicher. Ist der Zeiger einer Wage
durch 100 Kilogramm Belastung bereits auf das Ende der Skala eingestellt,
so kann das Instrument nichts mehr von dem Hinzutreten von neuen hundert
Kilogramm Gewicht verraten. --

Die moderne Chemie begnügt sich keineswegs mit den rohen elementar¬
analytischen Ergebnissen, mit der Einsicht in die qualitative Zusammensetzung
eines Stoffes aus seinen Elementen und seinem quantitativen Gehalt an den
einzelnen Bestandteilen: sie verlangt und gewinnt einen Einblick in die Zu¬
sammenordnung und die inneren Beziehungen der Elementarteilchen zueinander,
sie bestrebt sich, die Konstitution ihrer Verbindungen aufzuklären. Sie ersetzt
oder substituiert künstlich im Experiment Atomgruppen durch andere bekannter Art
und beweist an der Richtigkeit des vorausbestimmten Ergebnisses die Wirklichkeit
einer aufgestellten Hypothese.

Auch auf diesen Wegen kann die Genetik der exakten Wissenschaft schon --
wenn auch nur mit bescheidenen ersten Schritten -- folgen: auch das Erbgut
ist kein wirres Konglomerat, sondern ein gesetzmäßiges Gefüge seiner Elemente.

Außeneigenschaften, die dem Anblick so einheitlich erscheinen, wie z. B.
Kraushaarigkeit oder Dunkelhäutigkeit. zeigen oft beim Spalten nicht die einfachen
Mendel - Proportionen 3:1, 1:2:1 usw., sondern häufig Zahlen, die auf
Zwei- oder Mehrmerkmalsmischung hinweisen. Eugen Fischer hat es bei seinen
ausgezeichneten Untersuchungen an den Bastards von Rehoboth wahrscheinlich
gemacht, daß in dem Merkmal "Kraushaarigkeit" zwei verschiedene Gene stecken:
das eine von ihnen -- 3 -- bedingt die Spiraldrehung, das zweite -- L --
die wellige Biegung des Haarschaftes. Vom dichtkrausen Haartypus, bedingt
durch Zusammentreffen zweier Erbzellen mit 3 und L, führen sieben ver-


Stäben der Eigenschaft — allgemein mit v —>, ihr Fehlen durch den kleinen
— — angedeutet. Wenn Braunäugigkeit so durch das Symbol — IZK —
auszudrücken wäre, so käme einem blauäugigen Individuum die Formel bb zu:
d. h. in sein Erbgut hat weder die väterliche noch die mütterliche Erbzelle die
Einheit K hineingetragen.

Diese „Presence-Absence"-Hypothese zählt heute viele Anhänger, aber
auch manchen Gegner. Eine Entscheidung über ihre Richtigkeit steht noch aus.
Ihre große Bequemlichkeit mag begründen, daß ihr fast überall gefolgt wird.
Gibt sie doch auch für die Auffassung der Mischcharaktere eine willkommene
Erleichterung: erbt ein Wesen z. B. nur vom Vater her das Gen K für
Dunkeläugigkeit, so verfügt das Erbgut gewissermaßen nur über eine halbe
Dosis, nur über die Hälfte der Fähigkeit, dunklen Regenbogenhautfarbstoff
auszuarbeiten: sie wird — im Sinne jener quantitativen Auffassung — durch
das gleichzeitige Fehlen der zweiten Hälfte verdünnt und so kommt es nur zum
Halbeffekt, zur Erzeugung von Mitteltönen. Auch die Beobachtung, daß bei
manchen Erbtümern schon die Hälfte des Ganzen genügt, um eine Wirkung
hervorzurufen, die der des Ganzen gleichkommt — d. h. also Dominanz —.
wird bei sehr intensiver Wirksamkeit verständlicher. Ist der Zeiger einer Wage
durch 100 Kilogramm Belastung bereits auf das Ende der Skala eingestellt,
so kann das Instrument nichts mehr von dem Hinzutreten von neuen hundert
Kilogramm Gewicht verraten. —

Die moderne Chemie begnügt sich keineswegs mit den rohen elementar¬
analytischen Ergebnissen, mit der Einsicht in die qualitative Zusammensetzung
eines Stoffes aus seinen Elementen und seinem quantitativen Gehalt an den
einzelnen Bestandteilen: sie verlangt und gewinnt einen Einblick in die Zu¬
sammenordnung und die inneren Beziehungen der Elementarteilchen zueinander,
sie bestrebt sich, die Konstitution ihrer Verbindungen aufzuklären. Sie ersetzt
oder substituiert künstlich im Experiment Atomgruppen durch andere bekannter Art
und beweist an der Richtigkeit des vorausbestimmten Ergebnisses die Wirklichkeit
einer aufgestellten Hypothese.

Auch auf diesen Wegen kann die Genetik der exakten Wissenschaft schon —
wenn auch nur mit bescheidenen ersten Schritten — folgen: auch das Erbgut
ist kein wirres Konglomerat, sondern ein gesetzmäßiges Gefüge seiner Elemente.

Außeneigenschaften, die dem Anblick so einheitlich erscheinen, wie z. B.
Kraushaarigkeit oder Dunkelhäutigkeit. zeigen oft beim Spalten nicht die einfachen
Mendel - Proportionen 3:1, 1:2:1 usw., sondern häufig Zahlen, die auf
Zwei- oder Mehrmerkmalsmischung hinweisen. Eugen Fischer hat es bei seinen
ausgezeichneten Untersuchungen an den Bastards von Rehoboth wahrscheinlich
gemacht, daß in dem Merkmal „Kraushaarigkeit" zwei verschiedene Gene stecken:
das eine von ihnen — 3 — bedingt die Spiraldrehung, das zweite — L —
die wellige Biegung des Haarschaftes. Vom dichtkrausen Haartypus, bedingt
durch Zusammentreffen zweier Erbzellen mit 3 und L, führen sieben ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328370"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178"> Stäben der Eigenschaft &#x2014; allgemein mit v &#x2014;&gt;, ihr Fehlen durch den kleinen<lb/>
&#x2014; &#x2014; angedeutet. Wenn Braunäugigkeit so durch das Symbol &#x2014; IZK &#x2014;<lb/>
auszudrücken wäre, so käme einem blauäugigen Individuum die Formel bb zu:<lb/>
d. h. in sein Erbgut hat weder die väterliche noch die mütterliche Erbzelle die<lb/>
Einheit K hineingetragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180"> Diese &#x201E;Presence-Absence"-Hypothese zählt heute viele Anhänger, aber<lb/>
auch manchen Gegner. Eine Entscheidung über ihre Richtigkeit steht noch aus.<lb/>
Ihre große Bequemlichkeit mag begründen, daß ihr fast überall gefolgt wird.<lb/>
Gibt sie doch auch für die Auffassung der Mischcharaktere eine willkommene<lb/>
Erleichterung: erbt ein Wesen z. B. nur vom Vater her das Gen K für<lb/>
Dunkeläugigkeit, so verfügt das Erbgut gewissermaßen nur über eine halbe<lb/>
Dosis, nur über die Hälfte der Fähigkeit, dunklen Regenbogenhautfarbstoff<lb/>
auszuarbeiten: sie wird &#x2014; im Sinne jener quantitativen Auffassung &#x2014; durch<lb/>
das gleichzeitige Fehlen der zweiten Hälfte verdünnt und so kommt es nur zum<lb/>
Halbeffekt, zur Erzeugung von Mitteltönen. Auch die Beobachtung, daß bei<lb/>
manchen Erbtümern schon die Hälfte des Ganzen genügt, um eine Wirkung<lb/>
hervorzurufen, die der des Ganzen gleichkommt &#x2014; d. h. also Dominanz &#x2014;.<lb/>
wird bei sehr intensiver Wirksamkeit verständlicher. Ist der Zeiger einer Wage<lb/>
durch 100 Kilogramm Belastung bereits auf das Ende der Skala eingestellt,<lb/>
so kann das Instrument nichts mehr von dem Hinzutreten von neuen hundert<lb/>
Kilogramm Gewicht verraten. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181"> Die moderne Chemie begnügt sich keineswegs mit den rohen elementar¬<lb/>
analytischen Ergebnissen, mit der Einsicht in die qualitative Zusammensetzung<lb/>
eines Stoffes aus seinen Elementen und seinem quantitativen Gehalt an den<lb/>
einzelnen Bestandteilen: sie verlangt und gewinnt einen Einblick in die Zu¬<lb/>
sammenordnung und die inneren Beziehungen der Elementarteilchen zueinander,<lb/>
sie bestrebt sich, die Konstitution ihrer Verbindungen aufzuklären. Sie ersetzt<lb/>
oder substituiert künstlich im Experiment Atomgruppen durch andere bekannter Art<lb/>
und beweist an der Richtigkeit des vorausbestimmten Ergebnisses die Wirklichkeit<lb/>
einer aufgestellten Hypothese.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1182"> Auch auf diesen Wegen kann die Genetik der exakten Wissenschaft schon &#x2014;<lb/>
wenn auch nur mit bescheidenen ersten Schritten &#x2014; folgen: auch das Erbgut<lb/>
ist kein wirres Konglomerat, sondern ein gesetzmäßiges Gefüge seiner Elemente.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1183" next="#ID_1184"> Außeneigenschaften, die dem Anblick so einheitlich erscheinen, wie z. B.<lb/>
Kraushaarigkeit oder Dunkelhäutigkeit. zeigen oft beim Spalten nicht die einfachen<lb/>
Mendel - Proportionen 3:1, 1:2:1 usw., sondern häufig Zahlen, die auf<lb/>
Zwei- oder Mehrmerkmalsmischung hinweisen. Eugen Fischer hat es bei seinen<lb/>
ausgezeichneten Untersuchungen an den Bastards von Rehoboth wahrscheinlich<lb/>
gemacht, daß in dem Merkmal &#x201E;Kraushaarigkeit" zwei verschiedene Gene stecken:<lb/>
das eine von ihnen &#x2014; 3 &#x2014; bedingt die Spiraldrehung, das zweite &#x2014; L &#x2014;<lb/>
die wellige Biegung des Haarschaftes. Vom dichtkrausen Haartypus, bedingt<lb/>
durch Zusammentreffen zweier Erbzellen mit 3 und L, führen sieben ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Stäben der Eigenschaft — allgemein mit v —>, ihr Fehlen durch den kleinen — — angedeutet. Wenn Braunäugigkeit so durch das Symbol — IZK — auszudrücken wäre, so käme einem blauäugigen Individuum die Formel bb zu: d. h. in sein Erbgut hat weder die väterliche noch die mütterliche Erbzelle die Einheit K hineingetragen. Diese „Presence-Absence"-Hypothese zählt heute viele Anhänger, aber auch manchen Gegner. Eine Entscheidung über ihre Richtigkeit steht noch aus. Ihre große Bequemlichkeit mag begründen, daß ihr fast überall gefolgt wird. Gibt sie doch auch für die Auffassung der Mischcharaktere eine willkommene Erleichterung: erbt ein Wesen z. B. nur vom Vater her das Gen K für Dunkeläugigkeit, so verfügt das Erbgut gewissermaßen nur über eine halbe Dosis, nur über die Hälfte der Fähigkeit, dunklen Regenbogenhautfarbstoff auszuarbeiten: sie wird — im Sinne jener quantitativen Auffassung — durch das gleichzeitige Fehlen der zweiten Hälfte verdünnt und so kommt es nur zum Halbeffekt, zur Erzeugung von Mitteltönen. Auch die Beobachtung, daß bei manchen Erbtümern schon die Hälfte des Ganzen genügt, um eine Wirkung hervorzurufen, die der des Ganzen gleichkommt — d. h. also Dominanz —. wird bei sehr intensiver Wirksamkeit verständlicher. Ist der Zeiger einer Wage durch 100 Kilogramm Belastung bereits auf das Ende der Skala eingestellt, so kann das Instrument nichts mehr von dem Hinzutreten von neuen hundert Kilogramm Gewicht verraten. — Die moderne Chemie begnügt sich keineswegs mit den rohen elementar¬ analytischen Ergebnissen, mit der Einsicht in die qualitative Zusammensetzung eines Stoffes aus seinen Elementen und seinem quantitativen Gehalt an den einzelnen Bestandteilen: sie verlangt und gewinnt einen Einblick in die Zu¬ sammenordnung und die inneren Beziehungen der Elementarteilchen zueinander, sie bestrebt sich, die Konstitution ihrer Verbindungen aufzuklären. Sie ersetzt oder substituiert künstlich im Experiment Atomgruppen durch andere bekannter Art und beweist an der Richtigkeit des vorausbestimmten Ergebnisses die Wirklichkeit einer aufgestellten Hypothese. Auch auf diesen Wegen kann die Genetik der exakten Wissenschaft schon — wenn auch nur mit bescheidenen ersten Schritten — folgen: auch das Erbgut ist kein wirres Konglomerat, sondern ein gesetzmäßiges Gefüge seiner Elemente. Außeneigenschaften, die dem Anblick so einheitlich erscheinen, wie z. B. Kraushaarigkeit oder Dunkelhäutigkeit. zeigen oft beim Spalten nicht die einfachen Mendel - Proportionen 3:1, 1:2:1 usw., sondern häufig Zahlen, die auf Zwei- oder Mehrmerkmalsmischung hinweisen. Eugen Fischer hat es bei seinen ausgezeichneten Untersuchungen an den Bastards von Rehoboth wahrscheinlich gemacht, daß in dem Merkmal „Kraushaarigkeit" zwei verschiedene Gene stecken: das eine von ihnen — 3 — bedingt die Spiraldrehung, das zweite — L — die wellige Biegung des Haarschaftes. Vom dichtkrausen Haartypus, bedingt durch Zusammentreffen zweier Erbzellen mit 3 und L, führen sieben ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/270>, abgerufen am 21.06.2024.