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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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des Mißtrauens und der Unwahrhaftigkeit doppelt unliebsam erscheinen lassen,
daß die alten Formen und Gebräuche, in denen sie zum Ausdruck kamen, direkt
auf das Gegenteil aufgebaut waren und hinwiesen, wie z. B. die regelmäßige
Gewohnheit'der Gesandten der beiden Großmächte, im Abwesenheitsfalle ein-
einander ihre Stimmen zu übertragen. Dergleichen entstammte den alten Zeiten
des guten Einvernehmens, und man kann es Bismarck nachfühlen, wenn er
aus diesen- Geiste heraus die gleichviel ob wirkliche oder von ihm nur so
empfundene illoyale Vertretung durch den österreichischen Kollegen brand¬
markte.

In diesem allen also ist nichts zu beschönigen, noch weniger aber wäre.
>vie nach unseren vorstehenden Ausführungen wohl unbedingt zugegeben werden
dürfte, ein moralisierendes Verurteilen eines einzelnen am Platze, nachdem sogar
Bismarck selbst, wenn es sich im entscheidenden Augenblicke einmal darum
handelte, was nun zu geschehen habe, gerade mit Rücksicht auf deu bestgehaßten
Gegner. Prokesch. die Erklärung abgegeben hat. "eine Beschwerde sei mehr
gegen das System, als gegen die zu dessen Ausführung berufene Person zu
richten" (Poschinger I 3l3. 319; IV 165).

Von den übrigen Vorwürfen, die auf Prokesch herniedergehagelt sind, kann
ein großer Teil ziemlich summarisch abgetan werden.

Man wird zwar Sybel darin zustimmen können, daß er es ablehnt.
Bismarcks Frankfurter Jahre als Lehrjahre zu bezeichnen, indem dieser die
Staatskunst so wenig wie der Fisch das Schwimmen erst habe zu erlernen
brauchen. Aber e" wäre doch unnatürlich und den Gesetzen aller Entwicklung
widerstreitend, wenn nicht an dem Bismarck seiner diplomatischen Anfange,
neben den späteren gehalten, gewisse Züge nomzenhaft anmuteten. Dahin
gehört vor allem auch die sittliche Entrüstung, in die er damals noch über
Dinge gerät, welche ihm in seiner eigenen späteren Wirksamkeit immer ge¬
läufiger, immer vertrauter wurden. Was er bei Prokesch Wetterwendischkeit.
Wechsel der Überzeugungen nennt, hat ihm und seinen Anhängern mit der Zeit
als Realpolitik gegolten. Die allerschlimmste Sünde, die reichlich enge Ver¬
bindung mit der Presse, über die er in besonders heftige Empörung gerät, hat
er gleich damals dem Gegner abgelernt (Poschinger II 213 ff.; III 494. Aus
den Briefen des Grafen Prokesch S. 404 Anm. 471 bis 472). und es ,se be¬
kannt genug, wie er es hierin später zu einer Vollkommenheit, zu einer skrupel¬
loser Meisterschaft gebracht hat. die das Entsetzen der höchststehenden unter
seinen Gegnern gewesen ist. Ähnliches gilt von den Verbeugungen vor dem
Judentum (bei Prokesch heißt es: Rothschild, bei Bismarck: Bleichröder). la
selbst von dem Liebäugeln mit dein Landesfeinde (auch Bismarck hat sich spater
nicht gescheut, in seinen politischen Plänen ein Bündnis mit Frankreich zur
Bewältigung Österreichs ernsthaft in Erwägung zu ziehen) und von anderem;
ziemlich die gleichen Anklagen sind im Laufe der Zeit, teils schon von Prokesch
selbst als Gegenanklagen, teils später von anderen, und mindestens ebenso scharf.


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des Mißtrauens und der Unwahrhaftigkeit doppelt unliebsam erscheinen lassen,
daß die alten Formen und Gebräuche, in denen sie zum Ausdruck kamen, direkt
auf das Gegenteil aufgebaut waren und hinwiesen, wie z. B. die regelmäßige
Gewohnheit'der Gesandten der beiden Großmächte, im Abwesenheitsfalle ein-
einander ihre Stimmen zu übertragen. Dergleichen entstammte den alten Zeiten
des guten Einvernehmens, und man kann es Bismarck nachfühlen, wenn er
aus diesen- Geiste heraus die gleichviel ob wirkliche oder von ihm nur so
empfundene illoyale Vertretung durch den österreichischen Kollegen brand¬
markte.

In diesem allen also ist nichts zu beschönigen, noch weniger aber wäre.
>vie nach unseren vorstehenden Ausführungen wohl unbedingt zugegeben werden
dürfte, ein moralisierendes Verurteilen eines einzelnen am Platze, nachdem sogar
Bismarck selbst, wenn es sich im entscheidenden Augenblicke einmal darum
handelte, was nun zu geschehen habe, gerade mit Rücksicht auf deu bestgehaßten
Gegner. Prokesch. die Erklärung abgegeben hat. „eine Beschwerde sei mehr
gegen das System, als gegen die zu dessen Ausführung berufene Person zu
richten" (Poschinger I 3l3. 319; IV 165).

Von den übrigen Vorwürfen, die auf Prokesch herniedergehagelt sind, kann
ein großer Teil ziemlich summarisch abgetan werden.

Man wird zwar Sybel darin zustimmen können, daß er es ablehnt.
Bismarcks Frankfurter Jahre als Lehrjahre zu bezeichnen, indem dieser die
Staatskunst so wenig wie der Fisch das Schwimmen erst habe zu erlernen
brauchen. Aber e« wäre doch unnatürlich und den Gesetzen aller Entwicklung
widerstreitend, wenn nicht an dem Bismarck seiner diplomatischen Anfange,
neben den späteren gehalten, gewisse Züge nomzenhaft anmuteten. Dahin
gehört vor allem auch die sittliche Entrüstung, in die er damals noch über
Dinge gerät, welche ihm in seiner eigenen späteren Wirksamkeit immer ge¬
läufiger, immer vertrauter wurden. Was er bei Prokesch Wetterwendischkeit.
Wechsel der Überzeugungen nennt, hat ihm und seinen Anhängern mit der Zeit
als Realpolitik gegolten. Die allerschlimmste Sünde, die reichlich enge Ver¬
bindung mit der Presse, über die er in besonders heftige Empörung gerät, hat
er gleich damals dem Gegner abgelernt (Poschinger II 213 ff.; III 494. Aus
den Briefen des Grafen Prokesch S. 404 Anm. 471 bis 472). und es ,se be¬
kannt genug, wie er es hierin später zu einer Vollkommenheit, zu einer skrupel¬
loser Meisterschaft gebracht hat. die das Entsetzen der höchststehenden unter
seinen Gegnern gewesen ist. Ähnliches gilt von den Verbeugungen vor dem
Judentum (bei Prokesch heißt es: Rothschild, bei Bismarck: Bleichröder). la
selbst von dem Liebäugeln mit dein Landesfeinde (auch Bismarck hat sich spater
nicht gescheut, in seinen politischen Plänen ein Bündnis mit Frankreich zur
Bewältigung Österreichs ernsthaft in Erwägung zu ziehen) und von anderem;
ziemlich die gleichen Anklagen sind im Laufe der Zeit, teils schon von Prokesch
selbst als Gegenanklagen, teils später von anderen, und mindestens ebenso scharf.


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[0027] visnmrck und Prokesch-Osten des Mißtrauens und der Unwahrhaftigkeit doppelt unliebsam erscheinen lassen, daß die alten Formen und Gebräuche, in denen sie zum Ausdruck kamen, direkt auf das Gegenteil aufgebaut waren und hinwiesen, wie z. B. die regelmäßige Gewohnheit'der Gesandten der beiden Großmächte, im Abwesenheitsfalle ein- einander ihre Stimmen zu übertragen. Dergleichen entstammte den alten Zeiten des guten Einvernehmens, und man kann es Bismarck nachfühlen, wenn er aus diesen- Geiste heraus die gleichviel ob wirkliche oder von ihm nur so empfundene illoyale Vertretung durch den österreichischen Kollegen brand¬ markte. In diesem allen also ist nichts zu beschönigen, noch weniger aber wäre. >vie nach unseren vorstehenden Ausführungen wohl unbedingt zugegeben werden dürfte, ein moralisierendes Verurteilen eines einzelnen am Platze, nachdem sogar Bismarck selbst, wenn es sich im entscheidenden Augenblicke einmal darum handelte, was nun zu geschehen habe, gerade mit Rücksicht auf deu bestgehaßten Gegner. Prokesch. die Erklärung abgegeben hat. „eine Beschwerde sei mehr gegen das System, als gegen die zu dessen Ausführung berufene Person zu richten" (Poschinger I 3l3. 319; IV 165). Von den übrigen Vorwürfen, die auf Prokesch herniedergehagelt sind, kann ein großer Teil ziemlich summarisch abgetan werden. Man wird zwar Sybel darin zustimmen können, daß er es ablehnt. Bismarcks Frankfurter Jahre als Lehrjahre zu bezeichnen, indem dieser die Staatskunst so wenig wie der Fisch das Schwimmen erst habe zu erlernen brauchen. Aber e« wäre doch unnatürlich und den Gesetzen aller Entwicklung widerstreitend, wenn nicht an dem Bismarck seiner diplomatischen Anfange, neben den späteren gehalten, gewisse Züge nomzenhaft anmuteten. Dahin gehört vor allem auch die sittliche Entrüstung, in die er damals noch über Dinge gerät, welche ihm in seiner eigenen späteren Wirksamkeit immer ge¬ läufiger, immer vertrauter wurden. Was er bei Prokesch Wetterwendischkeit. Wechsel der Überzeugungen nennt, hat ihm und seinen Anhängern mit der Zeit als Realpolitik gegolten. Die allerschlimmste Sünde, die reichlich enge Ver¬ bindung mit der Presse, über die er in besonders heftige Empörung gerät, hat er gleich damals dem Gegner abgelernt (Poschinger II 213 ff.; III 494. Aus den Briefen des Grafen Prokesch S. 404 Anm. 471 bis 472). und es ,se be¬ kannt genug, wie er es hierin später zu einer Vollkommenheit, zu einer skrupel¬ loser Meisterschaft gebracht hat. die das Entsetzen der höchststehenden unter seinen Gegnern gewesen ist. Ähnliches gilt von den Verbeugungen vor dem Judentum (bei Prokesch heißt es: Rothschild, bei Bismarck: Bleichröder). la selbst von dem Liebäugeln mit dein Landesfeinde (auch Bismarck hat sich spater nicht gescheut, in seinen politischen Plänen ein Bündnis mit Frankreich zur Bewältigung Österreichs ernsthaft in Erwägung zu ziehen) und von anderem; ziemlich die gleichen Anklagen sind im Laufe der Zeit, teils schon von Prokesch selbst als Gegenanklagen, teils später von anderen, und mindestens ebenso scharf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/27>, abgerufen am 24.07.2024.