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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Lismarck und Prokesch-Gsten

durch den ahnungsvollen Ausblick auf das große Positive, zu dem ihll dieses
Wollen einst führen müsse, sich in seiner Haltung bis zu einer für den Gegner
vernichtenden Sicherheit bestärkt sah, darf man in der Tat sagen, er sei der
einzige wahrhaftige Mensch in jener ganzen unseligen Bundestagsversammlung
gewesen.

Die österreichischen Staatsmänner dagegen, welche damals gegen ihn im
Feuer gestanden, haben wahrlich keine beneidenswerte Rolle gehabt, und sie
haben dies selbst am besten gewußt. Rechberg hatte schon 1852 den Frank¬
furter Posten abgelehnt, weil man da zu leicht den Hals breche (Poschinger
IV 126), und Prokesch hat ihn nur widerwillig übernommen und schwer darunter
gelitten, wenn er auch, als getreuer Diener seines Landes, sich über den wahren
Grund und Charakter dieses Leidens damals nicht klar zu werden vermochte,
sondern vieles nach Außen suchte, was im Innern lag.

Er persönlich war eine bis zum leidenschaftlichen wahrhaftige Natur. Aber
damit war es nun für Frankfurt vorbei. Er war dort so unangebracht wie
möglich, aber -- wer wäre angebracht gewesen? Sicherlich ein Beust weit
eher als ein Prokesch! Der wog und überlegte vor allem -- namentlich im
Affekte -- seine Worte zu wenig, dann fiel Bismarck, der ihm auflauerte wie
ein Tiger, über ihn her und nagelte ihn fest, und die Sophismen der Diplomatie
rissen ihn nur in den seltensten Fällen los. Auch scheint er manches Lavallöroment
österreichisch angefaßt und abgetan zu haben, worauf ihm abermals Bismarck
mit altmärkischer Derbheit über die Parade fuhr. Er war klug genug, sehr
bald die ganze Furchtbarkeit seines Gegners zu durchschauen, und dann mag
er immerhin, mit anderem, auch an Verschlagenheit alles, was er in seinem
Köcher trug, aufgeboten haben, um sich seiner zu erwehren, mit zäher List jeden
Schritt des Bodens, den er sich Zoll um Zoll entrissen sah, verteidigt haben.
Wenn er dabei, wie ihm Bismarck vorwirft, ungeschickt log, so beweist gerade
dies am besten die andersartige Veranlagung seiner Natur. Im übrigen wäre
es ein schreiendes Unrecht, sein ganzes damaliges Tun in den hundert und
tausend Einzelheiten, in die es Bismarck auseinander gezogen hat, zu beurteile:?,
wäre dies selbst dann, wenn wir Grund hätten, Bismarcks einseitig uns vor¬
liegende Darstellung für durchschlagend zuverlässiger zu halten, als nach unseren
früheren Darlegungen angängig sein dürfte. Nur über das Ganze haben wir
heute noch ein Recht zu richten, und da schulden wir Bismarck die Genugtuung,
daß ein verwerfliches Trugspiel vor ihm und Deutschland ausgeführt wurde,
Prokesch dagegen die Anerkennung, daß er selbst in der Verstrickung in dieses,
und damit in der ärgsten Einklemmung seiner Natur und schwersten Probe
seines Lebens, in gutem Glauben und treuer Pflichterfüllung gehandelt hat.

Viele Äußerungen Bismarcks deuten darauf hin, daß Prokesch auch privatim
ihm gegenüber gelegentlich hinterm Berge hielt, was an sich ja nur zu be¬
greiflich erscheint, Bismarck aber ganz besonders erbittert haben mag. Auch
hier wieder wirkte es sehr erschwerend und mußte dergleichen Kundgebungen


Lismarck und Prokesch-Gsten

durch den ahnungsvollen Ausblick auf das große Positive, zu dem ihll dieses
Wollen einst führen müsse, sich in seiner Haltung bis zu einer für den Gegner
vernichtenden Sicherheit bestärkt sah, darf man in der Tat sagen, er sei der
einzige wahrhaftige Mensch in jener ganzen unseligen Bundestagsversammlung
gewesen.

Die österreichischen Staatsmänner dagegen, welche damals gegen ihn im
Feuer gestanden, haben wahrlich keine beneidenswerte Rolle gehabt, und sie
haben dies selbst am besten gewußt. Rechberg hatte schon 1852 den Frank¬
furter Posten abgelehnt, weil man da zu leicht den Hals breche (Poschinger
IV 126), und Prokesch hat ihn nur widerwillig übernommen und schwer darunter
gelitten, wenn er auch, als getreuer Diener seines Landes, sich über den wahren
Grund und Charakter dieses Leidens damals nicht klar zu werden vermochte,
sondern vieles nach Außen suchte, was im Innern lag.

Er persönlich war eine bis zum leidenschaftlichen wahrhaftige Natur. Aber
damit war es nun für Frankfurt vorbei. Er war dort so unangebracht wie
möglich, aber — wer wäre angebracht gewesen? Sicherlich ein Beust weit
eher als ein Prokesch! Der wog und überlegte vor allem — namentlich im
Affekte — seine Worte zu wenig, dann fiel Bismarck, der ihm auflauerte wie
ein Tiger, über ihn her und nagelte ihn fest, und die Sophismen der Diplomatie
rissen ihn nur in den seltensten Fällen los. Auch scheint er manches Lavallöroment
österreichisch angefaßt und abgetan zu haben, worauf ihm abermals Bismarck
mit altmärkischer Derbheit über die Parade fuhr. Er war klug genug, sehr
bald die ganze Furchtbarkeit seines Gegners zu durchschauen, und dann mag
er immerhin, mit anderem, auch an Verschlagenheit alles, was er in seinem
Köcher trug, aufgeboten haben, um sich seiner zu erwehren, mit zäher List jeden
Schritt des Bodens, den er sich Zoll um Zoll entrissen sah, verteidigt haben.
Wenn er dabei, wie ihm Bismarck vorwirft, ungeschickt log, so beweist gerade
dies am besten die andersartige Veranlagung seiner Natur. Im übrigen wäre
es ein schreiendes Unrecht, sein ganzes damaliges Tun in den hundert und
tausend Einzelheiten, in die es Bismarck auseinander gezogen hat, zu beurteile:?,
wäre dies selbst dann, wenn wir Grund hätten, Bismarcks einseitig uns vor¬
liegende Darstellung für durchschlagend zuverlässiger zu halten, als nach unseren
früheren Darlegungen angängig sein dürfte. Nur über das Ganze haben wir
heute noch ein Recht zu richten, und da schulden wir Bismarck die Genugtuung,
daß ein verwerfliches Trugspiel vor ihm und Deutschland ausgeführt wurde,
Prokesch dagegen die Anerkennung, daß er selbst in der Verstrickung in dieses,
und damit in der ärgsten Einklemmung seiner Natur und schwersten Probe
seines Lebens, in gutem Glauben und treuer Pflichterfüllung gehandelt hat.

Viele Äußerungen Bismarcks deuten darauf hin, daß Prokesch auch privatim
ihm gegenüber gelegentlich hinterm Berge hielt, was an sich ja nur zu be¬
greiflich erscheint, Bismarck aber ganz besonders erbittert haben mag. Auch
hier wieder wirkte es sehr erschwerend und mußte dergleichen Kundgebungen


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[0026] Lismarck und Prokesch-Gsten durch den ahnungsvollen Ausblick auf das große Positive, zu dem ihll dieses Wollen einst führen müsse, sich in seiner Haltung bis zu einer für den Gegner vernichtenden Sicherheit bestärkt sah, darf man in der Tat sagen, er sei der einzige wahrhaftige Mensch in jener ganzen unseligen Bundestagsversammlung gewesen. Die österreichischen Staatsmänner dagegen, welche damals gegen ihn im Feuer gestanden, haben wahrlich keine beneidenswerte Rolle gehabt, und sie haben dies selbst am besten gewußt. Rechberg hatte schon 1852 den Frank¬ furter Posten abgelehnt, weil man da zu leicht den Hals breche (Poschinger IV 126), und Prokesch hat ihn nur widerwillig übernommen und schwer darunter gelitten, wenn er auch, als getreuer Diener seines Landes, sich über den wahren Grund und Charakter dieses Leidens damals nicht klar zu werden vermochte, sondern vieles nach Außen suchte, was im Innern lag. Er persönlich war eine bis zum leidenschaftlichen wahrhaftige Natur. Aber damit war es nun für Frankfurt vorbei. Er war dort so unangebracht wie möglich, aber — wer wäre angebracht gewesen? Sicherlich ein Beust weit eher als ein Prokesch! Der wog und überlegte vor allem — namentlich im Affekte — seine Worte zu wenig, dann fiel Bismarck, der ihm auflauerte wie ein Tiger, über ihn her und nagelte ihn fest, und die Sophismen der Diplomatie rissen ihn nur in den seltensten Fällen los. Auch scheint er manches Lavallöroment österreichisch angefaßt und abgetan zu haben, worauf ihm abermals Bismarck mit altmärkischer Derbheit über die Parade fuhr. Er war klug genug, sehr bald die ganze Furchtbarkeit seines Gegners zu durchschauen, und dann mag er immerhin, mit anderem, auch an Verschlagenheit alles, was er in seinem Köcher trug, aufgeboten haben, um sich seiner zu erwehren, mit zäher List jeden Schritt des Bodens, den er sich Zoll um Zoll entrissen sah, verteidigt haben. Wenn er dabei, wie ihm Bismarck vorwirft, ungeschickt log, so beweist gerade dies am besten die andersartige Veranlagung seiner Natur. Im übrigen wäre es ein schreiendes Unrecht, sein ganzes damaliges Tun in den hundert und tausend Einzelheiten, in die es Bismarck auseinander gezogen hat, zu beurteile:?, wäre dies selbst dann, wenn wir Grund hätten, Bismarcks einseitig uns vor¬ liegende Darstellung für durchschlagend zuverlässiger zu halten, als nach unseren früheren Darlegungen angängig sein dürfte. Nur über das Ganze haben wir heute noch ein Recht zu richten, und da schulden wir Bismarck die Genugtuung, daß ein verwerfliches Trugspiel vor ihm und Deutschland ausgeführt wurde, Prokesch dagegen die Anerkennung, daß er selbst in der Verstrickung in dieses, und damit in der ärgsten Einklemmung seiner Natur und schwersten Probe seines Lebens, in gutem Glauben und treuer Pflichterfüllung gehandelt hat. Viele Äußerungen Bismarcks deuten darauf hin, daß Prokesch auch privatim ihm gegenüber gelegentlich hinterm Berge hielt, was an sich ja nur zu be¬ greiflich erscheint, Bismarck aber ganz besonders erbittert haben mag. Auch hier wieder wirkte es sehr erschwerend und mußte dergleichen Kundgebungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/26>, abgerufen am 24.07.2024.