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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Vererbung beim Menschen

Merkmal-Paarzahl alsbald zu ganz ungeheuerlichen Ziffern: in der Reihe 2 2^,
4 2^, 8 ---- 2", 16 2^, 32 ^ 2^ nach einfachen Potenzen von 2 fortschreitend bis
zu dem allgemeinen Werte 2", wo n die Zahl der Erbstückpaare bedeutet.

Alle diese verschiedenen Erbzellen vereinigen sich im gegebenen Falle völlig
frei nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung miteinander. Da man
zwei Größen 2X2--- viermal, 4 schon 4X4--- sechzehnmal, 8 gar 8X8---
vierundsechzigmal kombinieren kann, so wächst die Zahl der Sorten von Kindern,
die aus diesen Erbzellen hervorgehen, noch weit rascher an; sie beträgt bei n
Merkmalpaaren 2^', z. B. bei fünf Paaren von Differenzen zwischen den Eltern
2^ ^ 1024 verschiedene Möglichkeiten, von denen allerdings immer ein bestimmter
Bruchteil sich nur durch die Reihenfolge der Elemente, also nicht in der Gesamt¬
konstitution unterscheidet. Aus diesen großen Ziffern erhellt ohne weiteres, daß
bei den stets in der Vielzahl vorhandenen Unterschieden zwischen zwei Ehegatten
in der Regel alle Kinder voneinander verschieden sind. Nur in einem Falle
ist eine sehr ins einzelne gehende Übereinstimmung denkbar: dann nämlich, wenn
einmal aus der Vereinigung zweier Erbzellen statt eines, zwei Kinder hervor¬
gehen. Diese Individuen nennt man einenge Zwillinge, weil sie aus demselben
befruchteten El stammen, folglich beide gemeinsam das gleiche Erbgut führen.
Man kann sie im Gegensatz zu anderen Individuen wirklich als gleich er dig
oder isozygotisch bezeichnen. Und in der Tat ist die überraschend große
Ähnlichkeit derartiger Zwillinge schon seit langem bekannt und vermag sich für den
uneingeübten Beobachter, einen Fremden, bis zur Ununterscheidbarkeit zu steigern.

Nur der Fall zweimerkmaliger -- oder dihvbrider -- Paarung soll näher
beleuchtet werden. Die theoretische Darlegung von verwickelten Formen darf
für das Verständnis menschlicher Erbforschung heute noch -- leider -- außer
Betracht bleiben.

Entweder beherrschen die beiden Paare von Einheiten zwei miteinander
gar nicht oder wenigstens nicht zwangsläufig zusammenhängende Eigenheiten,
z. B. etwa die Haarfmbe und die Augenfarbe. Dann leuchtet die Art der
Verteilung beider Erbstücke auf Kinder und Enkel ohne weiteres ein. Die
verschiedenen Haarfarbtöne kombinieren sich zwanglos mit den verschiedenen
Augeufarben. Ist man imstande, Kinder, die von beiden Erbzellen das Gen
"dunkelhaarig" überkommen haben, z. B. als rein schwarzhaarige, von denen
zu trennen, die nur von einem der beiden Eltern die Erbeinheit "dunkel" -- 1^ --
vom anderen indes das Erbteil "blond" -- t^ -- erhielten, weil diese etwa
braune Haare besitzen; und wenn man weiterhin in der Lage ist, die beid-
elterlich "dunkeläugig" -- K -- erbeuten Individuen als braunäugig einerseits
von denen etwa als den grauäugigen zu trennen, die mischerbig einmal z. B.
vom Vater, das Erbstück "dunkeläugig", von der Mutter das Gen "helläugig"
-- L -- überkommen haben und anderseits auch von den blauäugigen, die von
beiden Eltern das Gen "helläugig" ererbten: so entstehen neun verschiedene
Kinderformen:


Vererbung beim Menschen

Merkmal-Paarzahl alsbald zu ganz ungeheuerlichen Ziffern: in der Reihe 2 2^,
4 2^, 8 ---- 2», 16 2^, 32 ^ 2^ nach einfachen Potenzen von 2 fortschreitend bis
zu dem allgemeinen Werte 2", wo n die Zahl der Erbstückpaare bedeutet.

Alle diese verschiedenen Erbzellen vereinigen sich im gegebenen Falle völlig
frei nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung miteinander. Da man
zwei Größen 2X2--- viermal, 4 schon 4X4--- sechzehnmal, 8 gar 8X8---
vierundsechzigmal kombinieren kann, so wächst die Zahl der Sorten von Kindern,
die aus diesen Erbzellen hervorgehen, noch weit rascher an; sie beträgt bei n
Merkmalpaaren 2^', z. B. bei fünf Paaren von Differenzen zwischen den Eltern
2^ ^ 1024 verschiedene Möglichkeiten, von denen allerdings immer ein bestimmter
Bruchteil sich nur durch die Reihenfolge der Elemente, also nicht in der Gesamt¬
konstitution unterscheidet. Aus diesen großen Ziffern erhellt ohne weiteres, daß
bei den stets in der Vielzahl vorhandenen Unterschieden zwischen zwei Ehegatten
in der Regel alle Kinder voneinander verschieden sind. Nur in einem Falle
ist eine sehr ins einzelne gehende Übereinstimmung denkbar: dann nämlich, wenn
einmal aus der Vereinigung zweier Erbzellen statt eines, zwei Kinder hervor¬
gehen. Diese Individuen nennt man einenge Zwillinge, weil sie aus demselben
befruchteten El stammen, folglich beide gemeinsam das gleiche Erbgut führen.
Man kann sie im Gegensatz zu anderen Individuen wirklich als gleich er dig
oder isozygotisch bezeichnen. Und in der Tat ist die überraschend große
Ähnlichkeit derartiger Zwillinge schon seit langem bekannt und vermag sich für den
uneingeübten Beobachter, einen Fremden, bis zur Ununterscheidbarkeit zu steigern.

Nur der Fall zweimerkmaliger — oder dihvbrider — Paarung soll näher
beleuchtet werden. Die theoretische Darlegung von verwickelten Formen darf
für das Verständnis menschlicher Erbforschung heute noch — leider — außer
Betracht bleiben.

Entweder beherrschen die beiden Paare von Einheiten zwei miteinander
gar nicht oder wenigstens nicht zwangsläufig zusammenhängende Eigenheiten,
z. B. etwa die Haarfmbe und die Augenfarbe. Dann leuchtet die Art der
Verteilung beider Erbstücke auf Kinder und Enkel ohne weiteres ein. Die
verschiedenen Haarfarbtöne kombinieren sich zwanglos mit den verschiedenen
Augeufarben. Ist man imstande, Kinder, die von beiden Erbzellen das Gen
„dunkelhaarig" überkommen haben, z. B. als rein schwarzhaarige, von denen
zu trennen, die nur von einem der beiden Eltern die Erbeinheit „dunkel" — 1^ —
vom anderen indes das Erbteil „blond" — t^ — erhielten, weil diese etwa
braune Haare besitzen; und wenn man weiterhin in der Lage ist, die beid-
elterlich „dunkeläugig" — K — erbeuten Individuen als braunäugig einerseits
von denen etwa als den grauäugigen zu trennen, die mischerbig einmal z. B.
vom Vater, das Erbstück „dunkeläugig", von der Mutter das Gen „helläugig"
— L — überkommen haben und anderseits auch von den blauäugigen, die von
beiden Eltern das Gen „helläugig" ererbten: so entstehen neun verschiedene
Kinderformen:


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[0267] Vererbung beim Menschen Merkmal-Paarzahl alsbald zu ganz ungeheuerlichen Ziffern: in der Reihe 2 2^, 4 2^, 8 ---- 2», 16 2^, 32 ^ 2^ nach einfachen Potenzen von 2 fortschreitend bis zu dem allgemeinen Werte 2", wo n die Zahl der Erbstückpaare bedeutet. Alle diese verschiedenen Erbzellen vereinigen sich im gegebenen Falle völlig frei nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung miteinander. Da man zwei Größen 2X2--- viermal, 4 schon 4X4--- sechzehnmal, 8 gar 8X8--- vierundsechzigmal kombinieren kann, so wächst die Zahl der Sorten von Kindern, die aus diesen Erbzellen hervorgehen, noch weit rascher an; sie beträgt bei n Merkmalpaaren 2^', z. B. bei fünf Paaren von Differenzen zwischen den Eltern 2^ ^ 1024 verschiedene Möglichkeiten, von denen allerdings immer ein bestimmter Bruchteil sich nur durch die Reihenfolge der Elemente, also nicht in der Gesamt¬ konstitution unterscheidet. Aus diesen großen Ziffern erhellt ohne weiteres, daß bei den stets in der Vielzahl vorhandenen Unterschieden zwischen zwei Ehegatten in der Regel alle Kinder voneinander verschieden sind. Nur in einem Falle ist eine sehr ins einzelne gehende Übereinstimmung denkbar: dann nämlich, wenn einmal aus der Vereinigung zweier Erbzellen statt eines, zwei Kinder hervor¬ gehen. Diese Individuen nennt man einenge Zwillinge, weil sie aus demselben befruchteten El stammen, folglich beide gemeinsam das gleiche Erbgut führen. Man kann sie im Gegensatz zu anderen Individuen wirklich als gleich er dig oder isozygotisch bezeichnen. Und in der Tat ist die überraschend große Ähnlichkeit derartiger Zwillinge schon seit langem bekannt und vermag sich für den uneingeübten Beobachter, einen Fremden, bis zur Ununterscheidbarkeit zu steigern. Nur der Fall zweimerkmaliger — oder dihvbrider — Paarung soll näher beleuchtet werden. Die theoretische Darlegung von verwickelten Formen darf für das Verständnis menschlicher Erbforschung heute noch — leider — außer Betracht bleiben. Entweder beherrschen die beiden Paare von Einheiten zwei miteinander gar nicht oder wenigstens nicht zwangsläufig zusammenhängende Eigenheiten, z. B. etwa die Haarfmbe und die Augenfarbe. Dann leuchtet die Art der Verteilung beider Erbstücke auf Kinder und Enkel ohne weiteres ein. Die verschiedenen Haarfarbtöne kombinieren sich zwanglos mit den verschiedenen Augeufarben. Ist man imstande, Kinder, die von beiden Erbzellen das Gen „dunkelhaarig" überkommen haben, z. B. als rein schwarzhaarige, von denen zu trennen, die nur von einem der beiden Eltern die Erbeinheit „dunkel" — 1^ — vom anderen indes das Erbteil „blond" — t^ — erhielten, weil diese etwa braune Haare besitzen; und wenn man weiterhin in der Lage ist, die beid- elterlich „dunkeläugig" — K — erbeuten Individuen als braunäugig einerseits von denen etwa als den grauäugigen zu trennen, die mischerbig einmal z. B. vom Vater, das Erbstück „dunkeläugig", von der Mutter das Gen „helläugig" — L — überkommen haben und anderseits auch von den blauäugigen, die von beiden Eltern das Gen „helläugig" ererbten: so entstehen neun verschiedene Kinderformen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/267>, abgerufen am 21.06.2024.