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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Ich möchte schon weg von hier!" flüsterte sie mit alter Vertraulichkeit,
"weil die edle Frau Kolbin hier ist und das Regiment an sich reißen will,
was ich mir nit bieten lassen mag. Der Junker sagt, ich sollte mich in christ¬
licher Nächstenliebe üben, aber die edle Frau ist nit so, daß man sich bei ihr
üben möchte!"

Aber dann schlug sie wieder die Hände zusammen, betrachtete Heilwig
liebevoll und ließ sie auf einem hölzernen Schemel Platz nehmen.

"Ach, die edle Jungfrau! Wie habe ich mich oft nach Euch gesehnt, Frau,
da es hier immer schlimmer wurde und man oft nit aus noch ein wußte, vor
Hunger und Kummer! Manchmal habe ich gedacht: el, wäre doch das Fräulein
hier! Aber sie ist nit wiedergekommen und man hat es ihr nit verdenken
können. Dazumal aber hat der Stadtschreiber die Menschen verkehrt gemacht,
und nachher hat er die Stadt verraten und selbst keinen Lohn dafür gehabt.
Die Franzen haben ihn aufhängen wollen, weil er mehr wollte als sie ge¬
lobten, und dann soll er ein Umhertreiber geworden sein! Und unser Junker
Wiltberg, der für tot an der Konzer Brücke liegen bleibt und dann doch
wiederkehrt. Gerade als die edle Frau von Kolben das Häuschen verkaufen
wollte, mit allem, was darinnen war. Aber der Junker ist zur rechten Zeit
heimgekehrt, hat seine Schreiberei gerettet und auch einen Packen mit Frauen¬
kleidern. Oben im Giebel hat er gelegen!"

Frau Heilwig lächelte ein wenig und Kätha lächelte gleichfalls.

"Ich hab sie gekriegt, edle Frau, und sie sind mir viele Jahre Sonntags¬
staat gewesen, bis sie nit mehr zusammenhalten wollten, und die edle Frau
Bremer sagte: Tu sie weg! Denn ich bin manches Jahr in Niedermendig
gewesen, habe die Hochzeit vom Junker Franz Xaver gefeiert, und gebetet, als
bei ihm ein kleiner Junker geboren ward. Der gute Herrgott und die heilige
Jungfrau sorgen vor; denn der Herr Franz Xaver ist in der Pfalz gegen die
Franzosen gefallen und der kleine Junker sitzt jetzt bei der edlen Frau Bremer
und hat auch mit ihr in den Steinbrüchen gewohnt, als im vorigen Herbst der
Feind uns überfiel und alles brannte und tot stach, was ihm vor Augen kam!"

Kätha schauderte, während sie langsam weiter sprach.

"Mich wundert es, daß ich noch lachen und weinen kann, edle Frau!
Daurien. als die Franzen kamen und Eure Leute durch das Loch in der
Mauer stiegen und sie verjagten, schon damals dachten wir, es wäre alles sehr
schrecklich; aber im vorigen Herbst ist es ganz anders gewesen. Erst haben sie
Kochen an der Mosel brennen lassen und dann brannten sie die Dörfer und
Bürgen, die zwischen dieser Stadt lagen und der unseligen. Als sie hier an¬
rückten, gingen zehn Bürger von Manen ihnen entgegen, brachten Geld und
baten um Schonung. Der welsche Oberst hat das Geld genommen und die zehn
Bürger hängen lassen, weil es nit erlaubt war, mit einem so hohen Offizier
so ohne weiteres zu reden. Und dann zündeten sie Manen an allen vier
Toren an."


Die Hexe von Mayen

„Ich möchte schon weg von hier!" flüsterte sie mit alter Vertraulichkeit,
„weil die edle Frau Kolbin hier ist und das Regiment an sich reißen will,
was ich mir nit bieten lassen mag. Der Junker sagt, ich sollte mich in christ¬
licher Nächstenliebe üben, aber die edle Frau ist nit so, daß man sich bei ihr
üben möchte!"

Aber dann schlug sie wieder die Hände zusammen, betrachtete Heilwig
liebevoll und ließ sie auf einem hölzernen Schemel Platz nehmen.

„Ach, die edle Jungfrau! Wie habe ich mich oft nach Euch gesehnt, Frau,
da es hier immer schlimmer wurde und man oft nit aus noch ein wußte, vor
Hunger und Kummer! Manchmal habe ich gedacht: el, wäre doch das Fräulein
hier! Aber sie ist nit wiedergekommen und man hat es ihr nit verdenken
können. Dazumal aber hat der Stadtschreiber die Menschen verkehrt gemacht,
und nachher hat er die Stadt verraten und selbst keinen Lohn dafür gehabt.
Die Franzen haben ihn aufhängen wollen, weil er mehr wollte als sie ge¬
lobten, und dann soll er ein Umhertreiber geworden sein! Und unser Junker
Wiltberg, der für tot an der Konzer Brücke liegen bleibt und dann doch
wiederkehrt. Gerade als die edle Frau von Kolben das Häuschen verkaufen
wollte, mit allem, was darinnen war. Aber der Junker ist zur rechten Zeit
heimgekehrt, hat seine Schreiberei gerettet und auch einen Packen mit Frauen¬
kleidern. Oben im Giebel hat er gelegen!"

Frau Heilwig lächelte ein wenig und Kätha lächelte gleichfalls.

„Ich hab sie gekriegt, edle Frau, und sie sind mir viele Jahre Sonntags¬
staat gewesen, bis sie nit mehr zusammenhalten wollten, und die edle Frau
Bremer sagte: Tu sie weg! Denn ich bin manches Jahr in Niedermendig
gewesen, habe die Hochzeit vom Junker Franz Xaver gefeiert, und gebetet, als
bei ihm ein kleiner Junker geboren ward. Der gute Herrgott und die heilige
Jungfrau sorgen vor; denn der Herr Franz Xaver ist in der Pfalz gegen die
Franzosen gefallen und der kleine Junker sitzt jetzt bei der edlen Frau Bremer
und hat auch mit ihr in den Steinbrüchen gewohnt, als im vorigen Herbst der
Feind uns überfiel und alles brannte und tot stach, was ihm vor Augen kam!"

Kätha schauderte, während sie langsam weiter sprach.

„Mich wundert es, daß ich noch lachen und weinen kann, edle Frau!
Daurien. als die Franzen kamen und Eure Leute durch das Loch in der
Mauer stiegen und sie verjagten, schon damals dachten wir, es wäre alles sehr
schrecklich; aber im vorigen Herbst ist es ganz anders gewesen. Erst haben sie
Kochen an der Mosel brennen lassen und dann brannten sie die Dörfer und
Bürgen, die zwischen dieser Stadt lagen und der unseligen. Als sie hier an¬
rückten, gingen zehn Bürger von Manen ihnen entgegen, brachten Geld und
baten um Schonung. Der welsche Oberst hat das Geld genommen und die zehn
Bürger hängen lassen, weil es nit erlaubt war, mit einem so hohen Offizier
so ohne weiteres zu reden. Und dann zündeten sie Manen an allen vier
Toren an."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/243>, abgerufen am 04.07.2024.