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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Sie Mexikofragt!

Kanals und seiner Mündungen und militärische Kontrolle überhaupt durch
die Vereinigten Staaten, ihre unbedingte politische Autorität allen Dingen und
Verhältnissen gegenüber, die mit dem Kanal zusammenhängen, sind inzwischen
unter der Präsidentschaft Mr. Tafts gezogen worden. Daß die jeweiligen Leiter
der Vereinigten Staaten sich feierlich auf die Neutralität des Kanals verpflichten,
ändert daran naturgemäß nichts. Man wird in Washington jeweilig dasjenige
Verfahren hinsichtlich des Kanals als Neutralität bezeichnen, das gerade
den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten
Staaten während einer Krisis entspricht, welche überhaupt die Frage der Neu¬
tralität direkt oder indirekt aufwirft. Als die Befestigungsfrage des Kanals in
Washington erörtert wurde, ließen sich in der englischen und japanischen Presse
"warnende" Stimmen hören: die Vereinigten Staaten möchten in letzter Stunde
noch ein Einsehen haben und den Kanal internationalisieren. Das würde auch
in Wahrheit den Verträgen entsprechen, außerdem die Vereinigten Staaten von
einer schweren Last der Verantwortung befreien. Die Gründe dieser sogenannten
Warnungen liegen zu klar auf der Hand, als daß nötig wäre, auf sie einzu¬
gehen. Für die Vereinigten Staaten war und ist es selbstverständlich,
daß sie den Kanal in jeder Hinsicht als ihr ausschließliches Eigentum
behandeln. Alle Verträge, Rechte, Doktrinen usw. sind wieder nur dürftige
Umkleidungen dieses Zieles, das wir selbstverständlich nennen, weil es geographisch,
politisch, wirtschaftlich und militärisch ein Naturrecht und damit eine Natur¬
pflicht bedeutet. Deutschland hat sich denn auch in der Erkenntnis dieser Lage
und vor allem der entscheidenden Tatsache, daß die Macht hier auf feiten der
Vereinigten Staaten liegt, ohne weiteres mit der amerikanischen Stellung ab¬
gefunden. Sie braucht uns auch nicht schädlich zu sein.

Ist nun der Panamakanal mit seinem Gelände Territorialgewässer und
Boden der Vereinigten Staaten geworden, so sind doch diese Gewässer und ist
dieser Boden, gleich einer Insel und doch wieder nicht wie eine solche, örtlich vom
Gebiet der Vereinigten Staaten völlig getrennt. Zwischen Insel und Festland liegt
die schiffbare, an sich neutrale, gleichwohl beherrschbare Wasserfläche, zwischen
dem Kanalgebiete und den Vereinigten Staaten liegt Mexiko. Vielleicht ist die
große Bedeutung dieses Verhältnisses der öffentlichen Meinung der Vereinigten
Staaten noch nicht annähernd in ihrem vollen Umfange zum Bewußtsein ge¬
langt, zumal die landesübliche Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unter¬
schätzung alles dessen, was nicht amerikanisch ist, den Blick gerade für künftige
Gefahren in den Vereinigten Staaten zu trüben pflegt.

Beziehen wir einige der schon gemachten Überlegungen nunmehr auch
auf den Panamakanal, so erklärt sich, weshalb die Verewigten Staaten
ein starkes und selbständiges Mexiko mit einer Tendenz nach England
oder gar nach Japan hin nie dulden werden. Der Panamakanal
hat, wie alle Dinge auf dieser Welt, seine zwei Seiten, eine rein vor¬
teilhafte und eine gefährliche, deren Entwicklung durch Nichtbeachtung seitens


Sie Mexikofragt!

Kanals und seiner Mündungen und militärische Kontrolle überhaupt durch
die Vereinigten Staaten, ihre unbedingte politische Autorität allen Dingen und
Verhältnissen gegenüber, die mit dem Kanal zusammenhängen, sind inzwischen
unter der Präsidentschaft Mr. Tafts gezogen worden. Daß die jeweiligen Leiter
der Vereinigten Staaten sich feierlich auf die Neutralität des Kanals verpflichten,
ändert daran naturgemäß nichts. Man wird in Washington jeweilig dasjenige
Verfahren hinsichtlich des Kanals als Neutralität bezeichnen, das gerade
den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten
Staaten während einer Krisis entspricht, welche überhaupt die Frage der Neu¬
tralität direkt oder indirekt aufwirft. Als die Befestigungsfrage des Kanals in
Washington erörtert wurde, ließen sich in der englischen und japanischen Presse
„warnende" Stimmen hören: die Vereinigten Staaten möchten in letzter Stunde
noch ein Einsehen haben und den Kanal internationalisieren. Das würde auch
in Wahrheit den Verträgen entsprechen, außerdem die Vereinigten Staaten von
einer schweren Last der Verantwortung befreien. Die Gründe dieser sogenannten
Warnungen liegen zu klar auf der Hand, als daß nötig wäre, auf sie einzu¬
gehen. Für die Vereinigten Staaten war und ist es selbstverständlich,
daß sie den Kanal in jeder Hinsicht als ihr ausschließliches Eigentum
behandeln. Alle Verträge, Rechte, Doktrinen usw. sind wieder nur dürftige
Umkleidungen dieses Zieles, das wir selbstverständlich nennen, weil es geographisch,
politisch, wirtschaftlich und militärisch ein Naturrecht und damit eine Natur¬
pflicht bedeutet. Deutschland hat sich denn auch in der Erkenntnis dieser Lage
und vor allem der entscheidenden Tatsache, daß die Macht hier auf feiten der
Vereinigten Staaten liegt, ohne weiteres mit der amerikanischen Stellung ab¬
gefunden. Sie braucht uns auch nicht schädlich zu sein.

Ist nun der Panamakanal mit seinem Gelände Territorialgewässer und
Boden der Vereinigten Staaten geworden, so sind doch diese Gewässer und ist
dieser Boden, gleich einer Insel und doch wieder nicht wie eine solche, örtlich vom
Gebiet der Vereinigten Staaten völlig getrennt. Zwischen Insel und Festland liegt
die schiffbare, an sich neutrale, gleichwohl beherrschbare Wasserfläche, zwischen
dem Kanalgebiete und den Vereinigten Staaten liegt Mexiko. Vielleicht ist die
große Bedeutung dieses Verhältnisses der öffentlichen Meinung der Vereinigten
Staaten noch nicht annähernd in ihrem vollen Umfange zum Bewußtsein ge¬
langt, zumal die landesübliche Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unter¬
schätzung alles dessen, was nicht amerikanisch ist, den Blick gerade für künftige
Gefahren in den Vereinigten Staaten zu trüben pflegt.

Beziehen wir einige der schon gemachten Überlegungen nunmehr auch
auf den Panamakanal, so erklärt sich, weshalb die Verewigten Staaten
ein starkes und selbständiges Mexiko mit einer Tendenz nach England
oder gar nach Japan hin nie dulden werden. Der Panamakanal
hat, wie alle Dinge auf dieser Welt, seine zwei Seiten, eine rein vor¬
teilhafte und eine gefährliche, deren Entwicklung durch Nichtbeachtung seitens


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[0228] Sie Mexikofragt! Kanals und seiner Mündungen und militärische Kontrolle überhaupt durch die Vereinigten Staaten, ihre unbedingte politische Autorität allen Dingen und Verhältnissen gegenüber, die mit dem Kanal zusammenhängen, sind inzwischen unter der Präsidentschaft Mr. Tafts gezogen worden. Daß die jeweiligen Leiter der Vereinigten Staaten sich feierlich auf die Neutralität des Kanals verpflichten, ändert daran naturgemäß nichts. Man wird in Washington jeweilig dasjenige Verfahren hinsichtlich des Kanals als Neutralität bezeichnen, das gerade den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten während einer Krisis entspricht, welche überhaupt die Frage der Neu¬ tralität direkt oder indirekt aufwirft. Als die Befestigungsfrage des Kanals in Washington erörtert wurde, ließen sich in der englischen und japanischen Presse „warnende" Stimmen hören: die Vereinigten Staaten möchten in letzter Stunde noch ein Einsehen haben und den Kanal internationalisieren. Das würde auch in Wahrheit den Verträgen entsprechen, außerdem die Vereinigten Staaten von einer schweren Last der Verantwortung befreien. Die Gründe dieser sogenannten Warnungen liegen zu klar auf der Hand, als daß nötig wäre, auf sie einzu¬ gehen. Für die Vereinigten Staaten war und ist es selbstverständlich, daß sie den Kanal in jeder Hinsicht als ihr ausschließliches Eigentum behandeln. Alle Verträge, Rechte, Doktrinen usw. sind wieder nur dürftige Umkleidungen dieses Zieles, das wir selbstverständlich nennen, weil es geographisch, politisch, wirtschaftlich und militärisch ein Naturrecht und damit eine Natur¬ pflicht bedeutet. Deutschland hat sich denn auch in der Erkenntnis dieser Lage und vor allem der entscheidenden Tatsache, daß die Macht hier auf feiten der Vereinigten Staaten liegt, ohne weiteres mit der amerikanischen Stellung ab¬ gefunden. Sie braucht uns auch nicht schädlich zu sein. Ist nun der Panamakanal mit seinem Gelände Territorialgewässer und Boden der Vereinigten Staaten geworden, so sind doch diese Gewässer und ist dieser Boden, gleich einer Insel und doch wieder nicht wie eine solche, örtlich vom Gebiet der Vereinigten Staaten völlig getrennt. Zwischen Insel und Festland liegt die schiffbare, an sich neutrale, gleichwohl beherrschbare Wasserfläche, zwischen dem Kanalgebiete und den Vereinigten Staaten liegt Mexiko. Vielleicht ist die große Bedeutung dieses Verhältnisses der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten noch nicht annähernd in ihrem vollen Umfange zum Bewußtsein ge¬ langt, zumal die landesübliche Überschätzung der eigenen Kräfte und die Unter¬ schätzung alles dessen, was nicht amerikanisch ist, den Blick gerade für künftige Gefahren in den Vereinigten Staaten zu trüben pflegt. Beziehen wir einige der schon gemachten Überlegungen nunmehr auch auf den Panamakanal, so erklärt sich, weshalb die Verewigten Staaten ein starkes und selbständiges Mexiko mit einer Tendenz nach England oder gar nach Japan hin nie dulden werden. Der Panamakanal hat, wie alle Dinge auf dieser Welt, seine zwei Seiten, eine rein vor¬ teilhafte und eine gefährliche, deren Entwicklung durch Nichtbeachtung seitens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/228>, abgerufen am 25.07.2024.