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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wirtschaft und Annst

zu Vereinen zusammenzuschließen, die einen zwar günstigen, aber doch bei weitem
zu schwachen Einfluß ausübten. In gleicher Richtung wirkte die Gründung des
mit einer Unterrichtsanstalt verbundenen Kunstgewerbemuseums in Berlin (1867).
Seit Anfang der siebziger Jahre wurden dann gewerbliche Zeichen-, Bauhand¬
werker- und Kunstschulen in großer Zahl errichtet, die einige Zeit später
wenigstens teilweise in kunstgewerbliche Fachschulen mit Lehrwerkstättenunterricht
verwandelt und in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch zahlreiche Anstalten
ähnlicher Art ergänzt wurden. Zugleich setzte im Anschluß an den ersten und
zweiten Kongreß deutscher Kunstgewerbevereine in München (1876, 1883) eine
erste Blüte der deutschen Kunstgewerbevereine ein, die in Gemeinschaft mit der
schnell wachsenden kunstgewerblichen Literatur rasch erzieherischen Einfluß auf
Produzenten wie Abnehmer gewann. Unter diesen Umständen entwickelte sich
die Herrschaft der deutscheu Renaissance im deutschen Kunstgewerbe, die aller¬
dings nicht entfernt das gehalten hat, was sie anfänglich versprach. Nur zu
bald wurde aus ihr eine Renaissance "von der Maschine Gnaden", ja eine
Karikatur des Vorbildes, die nicht imstande war, eine allgemeine künstlerische
Veredlung der gewerblichen Produktion zu bewirken. Die Renaissance wurde
zum Modcstil, der fast immer durch Anwendung auf billigste Massenerzeugnisse
verdorben und verzerrt wird. Das Ende war auch hier ein barbarisches Stil-
gcmisch. von dem uns erst am Jahrhuudertschluß die Gründungen der Dresdner
und Münchener Werkstätten, der Darmstädter Künstlerkolonie und zahlreicher
ähnlicher Institutionen unter der Führung von Männern wie Lichtwarr und
Muthesius, Schulze - Naumburg und van de Velde, Niemerschmid und Pankok,
Olbrich, Bruno Paul, Peter Behrens und anderer, wie es scheint, endgültig
befreit haben.

Schon auf der Pariser Weltausstellung zeigte sich die Wirkung dieser
günstigen Wendung, wenn es auch noch an der Einheitlichkeit des großen Zuges
fehlte und der vorwiegend dekorative Charakter der Gewerbekunst noch nicht durch
Sachlichkeit und Reinheit der Form überwunden war. Und dann ging es
rasch vorwärts. Das zeigte sich zuerst auf der Weltausstellung von Se. Louis
(1"01), vor allem aber auf der dritten deutschen Kunstgewerbeausstellung
zu Dresden (1906), die einen Markstein und Wendepunkt bedeutet. War die
deutsche Gewerbekunst bis dahin im ganzen genommen mehr eine Künstlerkunst
und ein vorwiegend theoretisches Kunstschwärmen, so drang sie von jetzt ab rasch
in breitere Schichten. Und heute sind wir auf dem besten Wege, unter Führung
der Dresdner Werkstätten und des 1907 im Kampfe mit den: Fachverbande für
die wirtschaftlichen Interessen des Kunstgewerbes zu München gegründeten
"Deutschen Werkbundes", dessen Zweck die Veredlung der gewerblichen Arbeit
im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung,
Propaganda und Stellungnahme zu einschlägigen Fragen ist*), uns eine wirkliche



") Seit 1912 gibt der Deutsche Werkbund in regelmäßiger Folge "Jahrbücher" heraus
(verlegt bei Eugen Diederichs, Jena). Die beiden ersten 1912 und 1913 erschienenen vor-
Wirtschaft und Annst

zu Vereinen zusammenzuschließen, die einen zwar günstigen, aber doch bei weitem
zu schwachen Einfluß ausübten. In gleicher Richtung wirkte die Gründung des
mit einer Unterrichtsanstalt verbundenen Kunstgewerbemuseums in Berlin (1867).
Seit Anfang der siebziger Jahre wurden dann gewerbliche Zeichen-, Bauhand¬
werker- und Kunstschulen in großer Zahl errichtet, die einige Zeit später
wenigstens teilweise in kunstgewerbliche Fachschulen mit Lehrwerkstättenunterricht
verwandelt und in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch zahlreiche Anstalten
ähnlicher Art ergänzt wurden. Zugleich setzte im Anschluß an den ersten und
zweiten Kongreß deutscher Kunstgewerbevereine in München (1876, 1883) eine
erste Blüte der deutschen Kunstgewerbevereine ein, die in Gemeinschaft mit der
schnell wachsenden kunstgewerblichen Literatur rasch erzieherischen Einfluß auf
Produzenten wie Abnehmer gewann. Unter diesen Umständen entwickelte sich
die Herrschaft der deutscheu Renaissance im deutschen Kunstgewerbe, die aller¬
dings nicht entfernt das gehalten hat, was sie anfänglich versprach. Nur zu
bald wurde aus ihr eine Renaissance „von der Maschine Gnaden", ja eine
Karikatur des Vorbildes, die nicht imstande war, eine allgemeine künstlerische
Veredlung der gewerblichen Produktion zu bewirken. Die Renaissance wurde
zum Modcstil, der fast immer durch Anwendung auf billigste Massenerzeugnisse
verdorben und verzerrt wird. Das Ende war auch hier ein barbarisches Stil-
gcmisch. von dem uns erst am Jahrhuudertschluß die Gründungen der Dresdner
und Münchener Werkstätten, der Darmstädter Künstlerkolonie und zahlreicher
ähnlicher Institutionen unter der Führung von Männern wie Lichtwarr und
Muthesius, Schulze - Naumburg und van de Velde, Niemerschmid und Pankok,
Olbrich, Bruno Paul, Peter Behrens und anderer, wie es scheint, endgültig
befreit haben.

Schon auf der Pariser Weltausstellung zeigte sich die Wirkung dieser
günstigen Wendung, wenn es auch noch an der Einheitlichkeit des großen Zuges
fehlte und der vorwiegend dekorative Charakter der Gewerbekunst noch nicht durch
Sachlichkeit und Reinheit der Form überwunden war. Und dann ging es
rasch vorwärts. Das zeigte sich zuerst auf der Weltausstellung von Se. Louis
(1»01), vor allem aber auf der dritten deutschen Kunstgewerbeausstellung
zu Dresden (1906), die einen Markstein und Wendepunkt bedeutet. War die
deutsche Gewerbekunst bis dahin im ganzen genommen mehr eine Künstlerkunst
und ein vorwiegend theoretisches Kunstschwärmen, so drang sie von jetzt ab rasch
in breitere Schichten. Und heute sind wir auf dem besten Wege, unter Führung
der Dresdner Werkstätten und des 1907 im Kampfe mit den: Fachverbande für
die wirtschaftlichen Interessen des Kunstgewerbes zu München gegründeten
„Deutschen Werkbundes", dessen Zweck die Veredlung der gewerblichen Arbeit
im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung,
Propaganda und Stellungnahme zu einschlägigen Fragen ist*), uns eine wirkliche



") Seit 1912 gibt der Deutsche Werkbund in regelmäßiger Folge „Jahrbücher" heraus
(verlegt bei Eugen Diederichs, Jena). Die beiden ersten 1912 und 1913 erschienenen vor-
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[0220] Wirtschaft und Annst zu Vereinen zusammenzuschließen, die einen zwar günstigen, aber doch bei weitem zu schwachen Einfluß ausübten. In gleicher Richtung wirkte die Gründung des mit einer Unterrichtsanstalt verbundenen Kunstgewerbemuseums in Berlin (1867). Seit Anfang der siebziger Jahre wurden dann gewerbliche Zeichen-, Bauhand¬ werker- und Kunstschulen in großer Zahl errichtet, die einige Zeit später wenigstens teilweise in kunstgewerbliche Fachschulen mit Lehrwerkstättenunterricht verwandelt und in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch zahlreiche Anstalten ähnlicher Art ergänzt wurden. Zugleich setzte im Anschluß an den ersten und zweiten Kongreß deutscher Kunstgewerbevereine in München (1876, 1883) eine erste Blüte der deutschen Kunstgewerbevereine ein, die in Gemeinschaft mit der schnell wachsenden kunstgewerblichen Literatur rasch erzieherischen Einfluß auf Produzenten wie Abnehmer gewann. Unter diesen Umständen entwickelte sich die Herrschaft der deutscheu Renaissance im deutschen Kunstgewerbe, die aller¬ dings nicht entfernt das gehalten hat, was sie anfänglich versprach. Nur zu bald wurde aus ihr eine Renaissance „von der Maschine Gnaden", ja eine Karikatur des Vorbildes, die nicht imstande war, eine allgemeine künstlerische Veredlung der gewerblichen Produktion zu bewirken. Die Renaissance wurde zum Modcstil, der fast immer durch Anwendung auf billigste Massenerzeugnisse verdorben und verzerrt wird. Das Ende war auch hier ein barbarisches Stil- gcmisch. von dem uns erst am Jahrhuudertschluß die Gründungen der Dresdner und Münchener Werkstätten, der Darmstädter Künstlerkolonie und zahlreicher ähnlicher Institutionen unter der Führung von Männern wie Lichtwarr und Muthesius, Schulze - Naumburg und van de Velde, Niemerschmid und Pankok, Olbrich, Bruno Paul, Peter Behrens und anderer, wie es scheint, endgültig befreit haben. Schon auf der Pariser Weltausstellung zeigte sich die Wirkung dieser günstigen Wendung, wenn es auch noch an der Einheitlichkeit des großen Zuges fehlte und der vorwiegend dekorative Charakter der Gewerbekunst noch nicht durch Sachlichkeit und Reinheit der Form überwunden war. Und dann ging es rasch vorwärts. Das zeigte sich zuerst auf der Weltausstellung von Se. Louis (1»01), vor allem aber auf der dritten deutschen Kunstgewerbeausstellung zu Dresden (1906), die einen Markstein und Wendepunkt bedeutet. War die deutsche Gewerbekunst bis dahin im ganzen genommen mehr eine Künstlerkunst und ein vorwiegend theoretisches Kunstschwärmen, so drang sie von jetzt ab rasch in breitere Schichten. Und heute sind wir auf dem besten Wege, unter Führung der Dresdner Werkstätten und des 1907 im Kampfe mit den: Fachverbande für die wirtschaftlichen Interessen des Kunstgewerbes zu München gegründeten „Deutschen Werkbundes", dessen Zweck die Veredlung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und Stellungnahme zu einschlägigen Fragen ist*), uns eine wirkliche ") Seit 1912 gibt der Deutsche Werkbund in regelmäßiger Folge „Jahrbücher" heraus (verlegt bei Eugen Diederichs, Jena). Die beiden ersten 1912 und 1913 erschienenen vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/220>, abgerufen am 25.07.2024.