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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Lismarck und Prokesch-Gstcn

versuchen des Zehn-, ja Hundertfachen, und weil mit unnötigen Häufungen,
mit dem Herumwühlen in diesem alten Unrat niemanden gedient gewesen wäre.
Wen es gelüstet, der mag in der Bismarck - Literatur noch näher nachspüren :
er wird, und zwar nicht nur in den von mir vorwiegend angezogenen Samm¬
lungen, auf immer neue Belege treffen für die Erscheinung einer Kampf¬
stimmung und Kampfesweise, eines Zornes und Hasses, einer Verfolgung, die
in ihrer Leidenschaftlichkeit und Zügellosigkeit der Ausdrucksweise in neueren
Zeiten nicht allzuviele Seitenstücke haben dürfte, und insofern eher an die
geistigen Kampfturniere früherer Jahrhunderte, etwa Luthers, erinnert. Aber
er wird das eine dennoch nicht erreichen: den Einzelheiten dieser Händel jemals
genügend auf den Grund zu kommen. Bei den meisten der Bismarckschen
Anklagepunkte besitzen wir nur dessen eigene Darstellung, die im Kreise seiner
blinden Anhänger bisher unbedingte Geltung erlangt hat, während im folgenden
dargetan werden wird, ein wie wenig unbefangener und zuverlässiger Beurteiler
Prokeschs Bismarck nach vielen Seiten gewesen ist. Aber noch mehr: wenn
wir wirklich mit vieler Mühe für einzelne Fälle das Material z. B. aus
der damaligen Presse zusammenbrächten, um etwa die von Prokesch geförderten,
von Bismarck so heftig gerügten österreichischen Preßangriffe auf Preußen zu
beleuchten, so wären wir damit durchaus noch nicht weiter, insofern überhaupt
hier nicht Geschehnisse, sondern Eigenschaften, nicht einzelne Handlungen, in
denen wir Prokesch zum guten Teil von Hause aus preisgeben, sondern ganze
Persönlichkeiten einander gegenüberstehen, deren richtige Beurteilung einzig den
Schlüssel zur Lösung der uns beschäftigenden Frage liefern kann.

Es liegt ja nun nahe, in den in unserem ersten Abschnitt dargelegten
Verhältnissen zum guten Teil die Erklärung für Bismarcks feindseliges Ver¬
halten auch Prokesch gegenüber zu suchen. Aber gerade bei diesem müssen noch
andere Umstände mitgewirkt haben, um Bismarck so ganz besonders gegen ihn
zu erbittern; denn die zuvor charakterisierte scharfe Gegnerschaft gegen Österreich
war hauptsächlich in Frankfurt und durch Frankfurter Dinge zur Ausbildung
und zum Ausdruck gelangt, eine starke Gereiztheit gegen Prokesch tritt dagegen
schon eher zutage und geht offenbar auf Erlebnisse und Begegnungen während
dessen früherer Gesandtentätigkeit in Berlin zurück.

Prokeschs Berliner Wirksamkeit liegt jetzt, außer in seinen eigenen Briefen
und Berichten an Schwarzenberg und Buol. auch nach den authentischen Dar¬
stellungen Sybels und namentlich Friedjungs. der die den Staatsarchiven ent¬
nommenen Dokumente Schwarzenbergs und Prokeschs selber hmzubrmgt. sehr
klar und vollständig vor. und es wird wohl niemand in Zweifel ziehen können,
daß sie sehr zu seinen Gunsten spricht. Freilich hat er die österreichische PoKtck
an erster Stelle mit vertreten zu einer Zeit, da sie. übrigens notgedrungen,
stark antipreußisch war. Er hat einerseits den ganzen hohen Flug der Schwarzen-
bergischen Staatsleitung von 1349 bis 1852 mitgemacht, anderseits aber doch
da. wo sein Meister den Bogen zu überspannen drohte, mehrfach mäßigend em-


Lismarck und Prokesch-Gstcn

versuchen des Zehn-, ja Hundertfachen, und weil mit unnötigen Häufungen,
mit dem Herumwühlen in diesem alten Unrat niemanden gedient gewesen wäre.
Wen es gelüstet, der mag in der Bismarck - Literatur noch näher nachspüren :
er wird, und zwar nicht nur in den von mir vorwiegend angezogenen Samm¬
lungen, auf immer neue Belege treffen für die Erscheinung einer Kampf¬
stimmung und Kampfesweise, eines Zornes und Hasses, einer Verfolgung, die
in ihrer Leidenschaftlichkeit und Zügellosigkeit der Ausdrucksweise in neueren
Zeiten nicht allzuviele Seitenstücke haben dürfte, und insofern eher an die
geistigen Kampfturniere früherer Jahrhunderte, etwa Luthers, erinnert. Aber
er wird das eine dennoch nicht erreichen: den Einzelheiten dieser Händel jemals
genügend auf den Grund zu kommen. Bei den meisten der Bismarckschen
Anklagepunkte besitzen wir nur dessen eigene Darstellung, die im Kreise seiner
blinden Anhänger bisher unbedingte Geltung erlangt hat, während im folgenden
dargetan werden wird, ein wie wenig unbefangener und zuverlässiger Beurteiler
Prokeschs Bismarck nach vielen Seiten gewesen ist. Aber noch mehr: wenn
wir wirklich mit vieler Mühe für einzelne Fälle das Material z. B. aus
der damaligen Presse zusammenbrächten, um etwa die von Prokesch geförderten,
von Bismarck so heftig gerügten österreichischen Preßangriffe auf Preußen zu
beleuchten, so wären wir damit durchaus noch nicht weiter, insofern überhaupt
hier nicht Geschehnisse, sondern Eigenschaften, nicht einzelne Handlungen, in
denen wir Prokesch zum guten Teil von Hause aus preisgeben, sondern ganze
Persönlichkeiten einander gegenüberstehen, deren richtige Beurteilung einzig den
Schlüssel zur Lösung der uns beschäftigenden Frage liefern kann.

Es liegt ja nun nahe, in den in unserem ersten Abschnitt dargelegten
Verhältnissen zum guten Teil die Erklärung für Bismarcks feindseliges Ver¬
halten auch Prokesch gegenüber zu suchen. Aber gerade bei diesem müssen noch
andere Umstände mitgewirkt haben, um Bismarck so ganz besonders gegen ihn
zu erbittern; denn die zuvor charakterisierte scharfe Gegnerschaft gegen Österreich
war hauptsächlich in Frankfurt und durch Frankfurter Dinge zur Ausbildung
und zum Ausdruck gelangt, eine starke Gereiztheit gegen Prokesch tritt dagegen
schon eher zutage und geht offenbar auf Erlebnisse und Begegnungen während
dessen früherer Gesandtentätigkeit in Berlin zurück.

Prokeschs Berliner Wirksamkeit liegt jetzt, außer in seinen eigenen Briefen
und Berichten an Schwarzenberg und Buol. auch nach den authentischen Dar¬
stellungen Sybels und namentlich Friedjungs. der die den Staatsarchiven ent¬
nommenen Dokumente Schwarzenbergs und Prokeschs selber hmzubrmgt. sehr
klar und vollständig vor. und es wird wohl niemand in Zweifel ziehen können,
daß sie sehr zu seinen Gunsten spricht. Freilich hat er die österreichische PoKtck
an erster Stelle mit vertreten zu einer Zeit, da sie. übrigens notgedrungen,
stark antipreußisch war. Er hat einerseits den ganzen hohen Flug der Schwarzen-
bergischen Staatsleitung von 1349 bis 1852 mitgemacht, anderseits aber doch
da. wo sein Meister den Bogen zu überspannen drohte, mehrfach mäßigend em-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/21>, abgerufen am 24.07.2024.