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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Campe sowie von diesem an den Dichter
aufzufinden, die neues Licht über das Ver¬
hältnis der beiden Vervreiten. Campe war
ein Verleger wenig idealistischer Richtung,
der sich fast nur von kaufmännischen Rücksichten
leiten ließ; er hat eS Hebbel, was seinen
Teil betraf, redlich erschwert, sich durch¬
zusetzen, und nur dem zähen und unerbittlichen
Drängen des Dithmarsen gelang es, Campe
hie und da zu geringen Zugeständnissen zu be¬
wegen. Hebbels hochsinnige Natur zeigt sich
uns wieder im schönstenLichte, wenn er trotz den
lockendsten Anerbieiungen Wiener und anderer
Verleger seinem alten Geschäftsfreunde treu
bleibt und ihm seine neuen Werke überläßt,
obgleich ihm finanzieller Schaden daraus
erwächst. Um so ungünstiger erscheint Campe,
der bei jeder neuen Dichtung feilscht wie ein
Hökerweib auf dem Markte und durch
seine endlosen zaghaften Einwendungen und
Widersprüche es erreicht, daß Hebbel die
heißersehnte Gesamtausgabe nicht mehr er-
lebendurfte. Diese interessante und anziehende
Korrespondenz hat Hirth durch erläuternden
Text zu einer fortlaufenden Erzählung vor¬
bunden, deren Lektüre auch den fesseln wird,
der der Hebbel-Literatur im allgemeinen
fernsteht. Ich kann hier nicht auf Einzelheiten
eingehen, sondern verweise den Leser auf die
ganze Schrift, will aber nur noch hervorheben,
daß ein wichtiger Brief Hebbels an Campe
vom 24. Juni 1846 sich über sein Verhältnis
zu Elise Lensing ausspricht und in wunder¬
vollster Anschaulichkeit und überzeugender
Sachlichkeit die Motive darlegt, die ihn natur¬
notwendig zu dem Bruch rin der Geliebten
gedrängt haben (S. 45 ff.). Im zweiten
Teil der Schrift gibt Hirth wertvolle text¬
kritische Bemerkungen aus handschriftlichen
und gedruckten, schwer zugänglichen Vorlagen,
wobei nur die Wiedergabe auch der veränderten
Orthographie übertrieben Peinlich erscheint.
Die Anhänge bringen Gespräche Friedrich
Hebbels, kleine Mitteilungen persönlicher und
anekdotischer Art über den Dichter, Kritiken
von Zeitgenossen und den Abdruck eines Auf¬
satzes aus dem Wiener Blatt "Der Radikale",
betitelt: "Frohnleichnam" und unterzeichnet:
"H.....den Hirth mit erwägenswerten
Gründen für Hebbel in Anspruch nehmen
möchte. Alles in allem bedeutet das Buch

[Spaltenumbruch]

Hirths einen wichtigen Beitrag zu unserer
Kenntnis von dem Menschen und Dichter
Dr. lvolfgang Stammler Hebbel.

Ein bedeutsames Unternehmen ist kürzlich
an die Öffentlichkeit getreten -- eine Zeitschrift,
die der Erforschung der Frau gewidmet ist.
Wenn an dieser Stelle besonders auf sie hin¬
gewiesen wird, so geschieht es, weil das
"Archiv für Frcmcnkunde und Eugenik" --
es erscheint zwanglos in Heften von etwa
sechs bis zehn Bogen Umfang zum Preise von
16 Mark für den Band im Verlage von Curt
Kabitzsch in Würzburg -- in seinem vor¬
liegenden ersten Heft ein so wohldurchdachtes
und umfassendes Programm entwickelt, daß
jedem, der am Ringen unserer Zeit Anteil
nimmt, die Pflicht erwächst, sich zu über¬
zeugen, ob hier Wollen und Können im Ein¬
klang bleiben werden. Ist dies der Fall,
so stehen wir an der Sammelstelle eines
Materials von hoher volkswirtschaftlicher und
politischer, aber auch allgemein menschlicher
Bedeutung. Der Herausgeber, Dr. Max
Hirsch, bezeichnet in seinem einleitenden
Aufsatz die wirtschaftliche und geistige Eman¬
zipation der Frau, gleichviel ob man sie will¬
kommen heißt oder bedauert, mit Recht als
den bedeutungsvollsten Faktor der neuzeit¬
lichen Konstellation im Leben der Völker,
deshalb ist eine tendenziöse, rein wissen¬
schaftliche Erforschung der Frau seitens der
Biologie, Medizin, Psychologie, Psychiatrie,
Kriminalistik, Ethnologie, Kulturgeschichte,
Pädagogik usw. ein dringendes Erfordernis
unserer Tage. Dem Bedürfnis nach Synthese
aller einzelwissenschaftlichen Ergebnisse will
die Zeitschrift genügen. ES ist kein Zufall,
daß in der Person des Dr. Max Hirsch ein
Frauenarzt die Führung übernimmt, ist dieser
doch in erster Reihe berufen, den Schädi¬
gungen nachzugehen, denen der Organismus
der Frau unter den veränderten Lebens¬
bedingungen ausgesetzt ist, und daneben die
Wirkung der Erwerbsarbeit auf die neue
Generation zu erforschen. Daß aber mit
Feststellungen dieser Art nur die allgemeinen
Boraussetzungen geschaffen sind für eine Be¬
antwortung der mannigfachen Fragen, die
das Leben in: Zwange sozialer Bedingtheiten
aufgibt, liegt auf der Hand. Der Vielseitigkeit

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Campe sowie von diesem an den Dichter
aufzufinden, die neues Licht über das Ver¬
hältnis der beiden Vervreiten. Campe war
ein Verleger wenig idealistischer Richtung,
der sich fast nur von kaufmännischen Rücksichten
leiten ließ; er hat eS Hebbel, was seinen
Teil betraf, redlich erschwert, sich durch¬
zusetzen, und nur dem zähen und unerbittlichen
Drängen des Dithmarsen gelang es, Campe
hie und da zu geringen Zugeständnissen zu be¬
wegen. Hebbels hochsinnige Natur zeigt sich
uns wieder im schönstenLichte, wenn er trotz den
lockendsten Anerbieiungen Wiener und anderer
Verleger seinem alten Geschäftsfreunde treu
bleibt und ihm seine neuen Werke überläßt,
obgleich ihm finanzieller Schaden daraus
erwächst. Um so ungünstiger erscheint Campe,
der bei jeder neuen Dichtung feilscht wie ein
Hökerweib auf dem Markte und durch
seine endlosen zaghaften Einwendungen und
Widersprüche es erreicht, daß Hebbel die
heißersehnte Gesamtausgabe nicht mehr er-
lebendurfte. Diese interessante und anziehende
Korrespondenz hat Hirth durch erläuternden
Text zu einer fortlaufenden Erzählung vor¬
bunden, deren Lektüre auch den fesseln wird,
der der Hebbel-Literatur im allgemeinen
fernsteht. Ich kann hier nicht auf Einzelheiten
eingehen, sondern verweise den Leser auf die
ganze Schrift, will aber nur noch hervorheben,
daß ein wichtiger Brief Hebbels an Campe
vom 24. Juni 1846 sich über sein Verhältnis
zu Elise Lensing ausspricht und in wunder¬
vollster Anschaulichkeit und überzeugender
Sachlichkeit die Motive darlegt, die ihn natur¬
notwendig zu dem Bruch rin der Geliebten
gedrängt haben (S. 45 ff.). Im zweiten
Teil der Schrift gibt Hirth wertvolle text¬
kritische Bemerkungen aus handschriftlichen
und gedruckten, schwer zugänglichen Vorlagen,
wobei nur die Wiedergabe auch der veränderten
Orthographie übertrieben Peinlich erscheint.
Die Anhänge bringen Gespräche Friedrich
Hebbels, kleine Mitteilungen persönlicher und
anekdotischer Art über den Dichter, Kritiken
von Zeitgenossen und den Abdruck eines Auf¬
satzes aus dem Wiener Blatt „Der Radikale",
betitelt: „Frohnleichnam" und unterzeichnet:
„H.....den Hirth mit erwägenswerten
Gründen für Hebbel in Anspruch nehmen
möchte. Alles in allem bedeutet das Buch

[Spaltenumbruch]

Hirths einen wichtigen Beitrag zu unserer
Kenntnis von dem Menschen und Dichter
Dr. lvolfgang Stammler Hebbel.

Ein bedeutsames Unternehmen ist kürzlich
an die Öffentlichkeit getreten — eine Zeitschrift,
die der Erforschung der Frau gewidmet ist.
Wenn an dieser Stelle besonders auf sie hin¬
gewiesen wird, so geschieht es, weil das
„Archiv für Frcmcnkunde und Eugenik" —
es erscheint zwanglos in Heften von etwa
sechs bis zehn Bogen Umfang zum Preise von
16 Mark für den Band im Verlage von Curt
Kabitzsch in Würzburg — in seinem vor¬
liegenden ersten Heft ein so wohldurchdachtes
und umfassendes Programm entwickelt, daß
jedem, der am Ringen unserer Zeit Anteil
nimmt, die Pflicht erwächst, sich zu über¬
zeugen, ob hier Wollen und Können im Ein¬
klang bleiben werden. Ist dies der Fall,
so stehen wir an der Sammelstelle eines
Materials von hoher volkswirtschaftlicher und
politischer, aber auch allgemein menschlicher
Bedeutung. Der Herausgeber, Dr. Max
Hirsch, bezeichnet in seinem einleitenden
Aufsatz die wirtschaftliche und geistige Eman¬
zipation der Frau, gleichviel ob man sie will¬
kommen heißt oder bedauert, mit Recht als
den bedeutungsvollsten Faktor der neuzeit¬
lichen Konstellation im Leben der Völker,
deshalb ist eine tendenziöse, rein wissen¬
schaftliche Erforschung der Frau seitens der
Biologie, Medizin, Psychologie, Psychiatrie,
Kriminalistik, Ethnologie, Kulturgeschichte,
Pädagogik usw. ein dringendes Erfordernis
unserer Tage. Dem Bedürfnis nach Synthese
aller einzelwissenschaftlichen Ergebnisse will
die Zeitschrift genügen. ES ist kein Zufall,
daß in der Person des Dr. Max Hirsch ein
Frauenarzt die Führung übernimmt, ist dieser
doch in erster Reihe berufen, den Schädi¬
gungen nachzugehen, denen der Organismus
der Frau unter den veränderten Lebens¬
bedingungen ausgesetzt ist, und daneben die
Wirkung der Erwerbsarbeit auf die neue
Generation zu erforschen. Daß aber mit
Feststellungen dieser Art nur die allgemeinen
Boraussetzungen geschaffen sind für eine Be¬
antwortung der mannigfachen Fragen, die
das Leben in: Zwange sozialer Bedingtheiten
aufgibt, liegt auf der Hand. Der Vielseitigkeit

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[0203] Maßgebliches und Unmaßgebliches Campe sowie von diesem an den Dichter aufzufinden, die neues Licht über das Ver¬ hältnis der beiden Vervreiten. Campe war ein Verleger wenig idealistischer Richtung, der sich fast nur von kaufmännischen Rücksichten leiten ließ; er hat eS Hebbel, was seinen Teil betraf, redlich erschwert, sich durch¬ zusetzen, und nur dem zähen und unerbittlichen Drängen des Dithmarsen gelang es, Campe hie und da zu geringen Zugeständnissen zu be¬ wegen. Hebbels hochsinnige Natur zeigt sich uns wieder im schönstenLichte, wenn er trotz den lockendsten Anerbieiungen Wiener und anderer Verleger seinem alten Geschäftsfreunde treu bleibt und ihm seine neuen Werke überläßt, obgleich ihm finanzieller Schaden daraus erwächst. Um so ungünstiger erscheint Campe, der bei jeder neuen Dichtung feilscht wie ein Hökerweib auf dem Markte und durch seine endlosen zaghaften Einwendungen und Widersprüche es erreicht, daß Hebbel die heißersehnte Gesamtausgabe nicht mehr er- lebendurfte. Diese interessante und anziehende Korrespondenz hat Hirth durch erläuternden Text zu einer fortlaufenden Erzählung vor¬ bunden, deren Lektüre auch den fesseln wird, der der Hebbel-Literatur im allgemeinen fernsteht. Ich kann hier nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern verweise den Leser auf die ganze Schrift, will aber nur noch hervorheben, daß ein wichtiger Brief Hebbels an Campe vom 24. Juni 1846 sich über sein Verhältnis zu Elise Lensing ausspricht und in wunder¬ vollster Anschaulichkeit und überzeugender Sachlichkeit die Motive darlegt, die ihn natur¬ notwendig zu dem Bruch rin der Geliebten gedrängt haben (S. 45 ff.). Im zweiten Teil der Schrift gibt Hirth wertvolle text¬ kritische Bemerkungen aus handschriftlichen und gedruckten, schwer zugänglichen Vorlagen, wobei nur die Wiedergabe auch der veränderten Orthographie übertrieben Peinlich erscheint. Die Anhänge bringen Gespräche Friedrich Hebbels, kleine Mitteilungen persönlicher und anekdotischer Art über den Dichter, Kritiken von Zeitgenossen und den Abdruck eines Auf¬ satzes aus dem Wiener Blatt „Der Radikale", betitelt: „Frohnleichnam" und unterzeichnet: „H.....den Hirth mit erwägenswerten Gründen für Hebbel in Anspruch nehmen möchte. Alles in allem bedeutet das Buch Hirths einen wichtigen Beitrag zu unserer Kenntnis von dem Menschen und Dichter Dr. lvolfgang Stammler Hebbel. Ein bedeutsames Unternehmen ist kürzlich an die Öffentlichkeit getreten — eine Zeitschrift, die der Erforschung der Frau gewidmet ist. Wenn an dieser Stelle besonders auf sie hin¬ gewiesen wird, so geschieht es, weil das „Archiv für Frcmcnkunde und Eugenik" — es erscheint zwanglos in Heften von etwa sechs bis zehn Bogen Umfang zum Preise von 16 Mark für den Band im Verlage von Curt Kabitzsch in Würzburg — in seinem vor¬ liegenden ersten Heft ein so wohldurchdachtes und umfassendes Programm entwickelt, daß jedem, der am Ringen unserer Zeit Anteil nimmt, die Pflicht erwächst, sich zu über¬ zeugen, ob hier Wollen und Können im Ein¬ klang bleiben werden. Ist dies der Fall, so stehen wir an der Sammelstelle eines Materials von hoher volkswirtschaftlicher und politischer, aber auch allgemein menschlicher Bedeutung. Der Herausgeber, Dr. Max Hirsch, bezeichnet in seinem einleitenden Aufsatz die wirtschaftliche und geistige Eman¬ zipation der Frau, gleichviel ob man sie will¬ kommen heißt oder bedauert, mit Recht als den bedeutungsvollsten Faktor der neuzeit¬ lichen Konstellation im Leben der Völker, deshalb ist eine tendenziöse, rein wissen¬ schaftliche Erforschung der Frau seitens der Biologie, Medizin, Psychologie, Psychiatrie, Kriminalistik, Ethnologie, Kulturgeschichte, Pädagogik usw. ein dringendes Erfordernis unserer Tage. Dem Bedürfnis nach Synthese aller einzelwissenschaftlichen Ergebnisse will die Zeitschrift genügen. ES ist kein Zufall, daß in der Person des Dr. Max Hirsch ein Frauenarzt die Führung übernimmt, ist dieser doch in erster Reihe berufen, den Schädi¬ gungen nachzugehen, denen der Organismus der Frau unter den veränderten Lebens¬ bedingungen ausgesetzt ist, und daneben die Wirkung der Erwerbsarbeit auf die neue Generation zu erforschen. Daß aber mit Feststellungen dieser Art nur die allgemeinen Boraussetzungen geschaffen sind für eine Be¬ antwortung der mannigfachen Fragen, die das Leben in: Zwange sozialer Bedingtheiten aufgibt, liegt auf der Hand. Der Vielseitigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/203>, abgerufen am 02.07.2024.