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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft am Belitan

zwischen Rußland und Österreich bestehen; da jetzt beide Mächte von einander
wissen, daß sie jeden Gedanken an eine Expansionspolitik auf der Halbinsel
aufgegeben haben. Zudem hat Rußland aus inneren Gründen ein starkes
Friedensbedürfnis; seine innerpolitischen Aufgaben nehmen seine Gedanken und
Kräfte reichlich in Anspruch, und nach außen weisen es seine Interessen immer
mehr nach Asien. Ferner ist, wie eingangs ausgeführt, der Gegensatz zwischen
den Mächtegruppen des Dreibundes und der Tripleentente durch die Bildung
eines europäischen Konzerts wesentlich vermindert und es ist daher für die
übrigen Mächte leichter, in etwaigen künftigen Konflikten zwischen Oesterreich
und Rußland die ehrlichen Makler zu spielen.

Aber es liegt auf der Hand, daß die tatsächliche Lage Österreich-Ungarns
in seinem Verhältnis zu dein Balkan sehr verschieden ist von der, wie sie sich
in den Köpfen derer malt, die vor den Balkankriegen einer "imperialistischen"
österreichischen Balkanpolitik das Wort redeten, und die jetzt uns Deutsche
verlocken möchten, uns gemeinsam mit der Donaumonarchie auf eine "kühne"
Balkanpolitik und weiterhin auf eine gemeinsame Politik in Vorderasien hinaus¬
zuwagen. Was die Baikaustaaten betrifft, so befindet sich Österreich - Ungarn
heute ganz in der Defensive, und Deutschland hat auf dem Balkan keine
politischen Ziele. Zudem hängt die Balkanpolitik jetzt so sehr mit den inneren
und Nationalitätenfragen Österreich-Ungarns zusammen, daß, wenn wir gemein¬
sam mit Österreich eine erfolgreiche Balkanpolitik treiben wollten, wir gar nicht
umhin könnten, auf diese inneren Angelegenheiten Österreich-Ungarns Einfluß zu
üben. Das würden Österreicher und Ungarn uns nicht danken, und wir
wären Toren, wenn wir uns in diese Dinge mischten, die das Deutsche Reich
nichts angehen.

Für uns Deutsche ist es nach wie vor ein Axiom, daß die Habsburgische
Monarchie ein unentbehrliches Mitglied der europäischen Staatenfamilie und
daß ihr Fortbestand als Großmacht für uns unersetzlich ist. Aber es besteht
keine durchgehende Gleichartigkeit unserer auswärtigen Interessen und der Ziele
unserer Politik, und die deutsche Politik darf sich durch falsche Vorstellungen
von einer solchen Interessengemeinschaft von ihren eigenen Zielen nicht ablenken
lassen.




Die Zukunft am Belitan

zwischen Rußland und Österreich bestehen; da jetzt beide Mächte von einander
wissen, daß sie jeden Gedanken an eine Expansionspolitik auf der Halbinsel
aufgegeben haben. Zudem hat Rußland aus inneren Gründen ein starkes
Friedensbedürfnis; seine innerpolitischen Aufgaben nehmen seine Gedanken und
Kräfte reichlich in Anspruch, und nach außen weisen es seine Interessen immer
mehr nach Asien. Ferner ist, wie eingangs ausgeführt, der Gegensatz zwischen
den Mächtegruppen des Dreibundes und der Tripleentente durch die Bildung
eines europäischen Konzerts wesentlich vermindert und es ist daher für die
übrigen Mächte leichter, in etwaigen künftigen Konflikten zwischen Oesterreich
und Rußland die ehrlichen Makler zu spielen.

Aber es liegt auf der Hand, daß die tatsächliche Lage Österreich-Ungarns
in seinem Verhältnis zu dein Balkan sehr verschieden ist von der, wie sie sich
in den Köpfen derer malt, die vor den Balkankriegen einer „imperialistischen"
österreichischen Balkanpolitik das Wort redeten, und die jetzt uns Deutsche
verlocken möchten, uns gemeinsam mit der Donaumonarchie auf eine „kühne"
Balkanpolitik und weiterhin auf eine gemeinsame Politik in Vorderasien hinaus¬
zuwagen. Was die Baikaustaaten betrifft, so befindet sich Österreich - Ungarn
heute ganz in der Defensive, und Deutschland hat auf dem Balkan keine
politischen Ziele. Zudem hängt die Balkanpolitik jetzt so sehr mit den inneren
und Nationalitätenfragen Österreich-Ungarns zusammen, daß, wenn wir gemein¬
sam mit Österreich eine erfolgreiche Balkanpolitik treiben wollten, wir gar nicht
umhin könnten, auf diese inneren Angelegenheiten Österreich-Ungarns Einfluß zu
üben. Das würden Österreicher und Ungarn uns nicht danken, und wir
wären Toren, wenn wir uns in diese Dinge mischten, die das Deutsche Reich
nichts angehen.

Für uns Deutsche ist es nach wie vor ein Axiom, daß die Habsburgische
Monarchie ein unentbehrliches Mitglied der europäischen Staatenfamilie und
daß ihr Fortbestand als Großmacht für uns unersetzlich ist. Aber es besteht
keine durchgehende Gleichartigkeit unserer auswärtigen Interessen und der Ziele
unserer Politik, und die deutsche Politik darf sich durch falsche Vorstellungen
von einer solchen Interessengemeinschaft von ihren eigenen Zielen nicht ablenken
lassen.




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[0019] Die Zukunft am Belitan zwischen Rußland und Österreich bestehen; da jetzt beide Mächte von einander wissen, daß sie jeden Gedanken an eine Expansionspolitik auf der Halbinsel aufgegeben haben. Zudem hat Rußland aus inneren Gründen ein starkes Friedensbedürfnis; seine innerpolitischen Aufgaben nehmen seine Gedanken und Kräfte reichlich in Anspruch, und nach außen weisen es seine Interessen immer mehr nach Asien. Ferner ist, wie eingangs ausgeführt, der Gegensatz zwischen den Mächtegruppen des Dreibundes und der Tripleentente durch die Bildung eines europäischen Konzerts wesentlich vermindert und es ist daher für die übrigen Mächte leichter, in etwaigen künftigen Konflikten zwischen Oesterreich und Rußland die ehrlichen Makler zu spielen. Aber es liegt auf der Hand, daß die tatsächliche Lage Österreich-Ungarns in seinem Verhältnis zu dein Balkan sehr verschieden ist von der, wie sie sich in den Köpfen derer malt, die vor den Balkankriegen einer „imperialistischen" österreichischen Balkanpolitik das Wort redeten, und die jetzt uns Deutsche verlocken möchten, uns gemeinsam mit der Donaumonarchie auf eine „kühne" Balkanpolitik und weiterhin auf eine gemeinsame Politik in Vorderasien hinaus¬ zuwagen. Was die Baikaustaaten betrifft, so befindet sich Österreich - Ungarn heute ganz in der Defensive, und Deutschland hat auf dem Balkan keine politischen Ziele. Zudem hängt die Balkanpolitik jetzt so sehr mit den inneren und Nationalitätenfragen Österreich-Ungarns zusammen, daß, wenn wir gemein¬ sam mit Österreich eine erfolgreiche Balkanpolitik treiben wollten, wir gar nicht umhin könnten, auf diese inneren Angelegenheiten Österreich-Ungarns Einfluß zu üben. Das würden Österreicher und Ungarn uns nicht danken, und wir wären Toren, wenn wir uns in diese Dinge mischten, die das Deutsche Reich nichts angehen. Für uns Deutsche ist es nach wie vor ein Axiom, daß die Habsburgische Monarchie ein unentbehrliches Mitglied der europäischen Staatenfamilie und daß ihr Fortbestand als Großmacht für uns unersetzlich ist. Aber es besteht keine durchgehende Gleichartigkeit unserer auswärtigen Interessen und der Ziele unserer Politik, und die deutsche Politik darf sich durch falsche Vorstellungen von einer solchen Interessengemeinschaft von ihren eigenen Zielen nicht ablenken lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/19>, abgerufen am 24.07.2024.