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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankunft an? Balkan

Anfang an die rumänischen Ansprüche gegen Bulgarien soweit unterstützt hat,
als es dazu in der Lage war. Es ist nicht die österreichische, sondern es ist
die rumänische Politik, die die Veränderung der Beziehungen beider Staaten
bewirkt hat, und zwar dadurch, daß sie, entgegen ihren früheren Grundfäden,
sich aktiv in der Balkanfrage engagierte. Rumänien muß jetzt seine Politik des
Gleichgewichtes fortsetzen. Eine Auseinandersetzung zwischen Bulgarien und seinen
Gegnern steht notwendig bevor. Auf die Dauer wird es Rumänien schwer werden,
ein Stärkerwerden sowohl Bulgariens als Serbiens zu verhindern, ganz besonders
in dem Falle, wenn sich beide gegen Griechenland wenden, um sich auf dessen
Kosten zu vergrößern. Rumänien ist auch nicht mehr in der Lage, Gebiets¬
erweiterungen Bulgariens oder Serbiens durch eigene Gebietserwerbungen am
Balkan zu kompensieren, denn es hat sich jetzt schon Bezirke mit rein bulgarischer
Bevölkerung einverleibt. Wenn also Rumänien neuerdings zu einer Politik
der Kompensation getrieben würde, so würde ihm die panrumänische Bewegung
den Weg weisen, und es muß mit der Möglichkeit rechnen, daß diese, was zur¬
zeit nicht der Fall ist, einen ausgesprochenen irredentistischen Charakter annehme.
Neigt nun Rumänien ohnehin zu Serbien, so würde ein solcher Jrredentismns
der rumänischen und der serbischen Politik völlig parallele Ziele geben, nämlich
die Gewinnung der von Rumänen und Serben bewohnten Gebiete Österreich-
Ungarns. Eine irredentistische Politik Rumäniens und Serbiens würde natürlich
auch großes Interesse in Nußland erregen, und eine geschickte und unternehmende
russische Politik könnte durch die Benutzung dieser Schachfiguren Züge machen,
die Österreich in beträchtliche Verlegenheit setzen würde.

Österreich-Ungarn befindet sich also in einer neuen Situation. Es hat die
Möglichkeit einer irredentistischen Gegnerschaft Rumäniens und eine rumänisch¬
serbische Kombination ins Auge zu fassen, die von Rußland begünstigt und
von ihm in seinem eigenen Interesse benutzt werden könnte. Daß es die Bedeutung
der Situation erkannt hat, geht daraus hervor, daß die ungarische Negierung
Graf Tiszas den solange vernachlässigten Forderungen der ungarischen Rumänen
jetzt eine entsprechende Berücksichtigung zuteil werden läßt. Und natürlich ist
die Befriedigung der legitimen nationalen Wünsche der Südslawen und Rumänen
das gegebene Mittel, der Anziehung entgegenzuwirken, die die Königreiche auf
sie ausüben. Aber der Monarchie stehen noch andere Mittel zu Gebote, und
diese liegen vor allem in der Benutzung der Gegensätze, die zwischen den
Balkanstaaten bestehen. Es dürfte der österreichischen Politik nicht schwer fallen,
Bulgarien auf seiner Seite festzuhalten, und durch Bulgarien auch die Staaten,
die mit ihm befreundet sind.

Vorläufig sind die politischen Verhältnisse auf dem Balkan noch äußerst
labil. In ein bedenkliches Stadium würde die rumänisch-serbische Kombination
ohnehin erst treten, wenn Nußland den beiden Staaten die Schwerkraft seiner
Unterstützung liebe. Nun erfährt aber das ganze Problem eine wesentliche
Entlastung dadurch, daß in der Balkanpolitik keine direkten Gegensätze mehr


Die Ankunft an? Balkan

Anfang an die rumänischen Ansprüche gegen Bulgarien soweit unterstützt hat,
als es dazu in der Lage war. Es ist nicht die österreichische, sondern es ist
die rumänische Politik, die die Veränderung der Beziehungen beider Staaten
bewirkt hat, und zwar dadurch, daß sie, entgegen ihren früheren Grundfäden,
sich aktiv in der Balkanfrage engagierte. Rumänien muß jetzt seine Politik des
Gleichgewichtes fortsetzen. Eine Auseinandersetzung zwischen Bulgarien und seinen
Gegnern steht notwendig bevor. Auf die Dauer wird es Rumänien schwer werden,
ein Stärkerwerden sowohl Bulgariens als Serbiens zu verhindern, ganz besonders
in dem Falle, wenn sich beide gegen Griechenland wenden, um sich auf dessen
Kosten zu vergrößern. Rumänien ist auch nicht mehr in der Lage, Gebiets¬
erweiterungen Bulgariens oder Serbiens durch eigene Gebietserwerbungen am
Balkan zu kompensieren, denn es hat sich jetzt schon Bezirke mit rein bulgarischer
Bevölkerung einverleibt. Wenn also Rumänien neuerdings zu einer Politik
der Kompensation getrieben würde, so würde ihm die panrumänische Bewegung
den Weg weisen, und es muß mit der Möglichkeit rechnen, daß diese, was zur¬
zeit nicht der Fall ist, einen ausgesprochenen irredentistischen Charakter annehme.
Neigt nun Rumänien ohnehin zu Serbien, so würde ein solcher Jrredentismns
der rumänischen und der serbischen Politik völlig parallele Ziele geben, nämlich
die Gewinnung der von Rumänen und Serben bewohnten Gebiete Österreich-
Ungarns. Eine irredentistische Politik Rumäniens und Serbiens würde natürlich
auch großes Interesse in Nußland erregen, und eine geschickte und unternehmende
russische Politik könnte durch die Benutzung dieser Schachfiguren Züge machen,
die Österreich in beträchtliche Verlegenheit setzen würde.

Österreich-Ungarn befindet sich also in einer neuen Situation. Es hat die
Möglichkeit einer irredentistischen Gegnerschaft Rumäniens und eine rumänisch¬
serbische Kombination ins Auge zu fassen, die von Rußland begünstigt und
von ihm in seinem eigenen Interesse benutzt werden könnte. Daß es die Bedeutung
der Situation erkannt hat, geht daraus hervor, daß die ungarische Negierung
Graf Tiszas den solange vernachlässigten Forderungen der ungarischen Rumänen
jetzt eine entsprechende Berücksichtigung zuteil werden läßt. Und natürlich ist
die Befriedigung der legitimen nationalen Wünsche der Südslawen und Rumänen
das gegebene Mittel, der Anziehung entgegenzuwirken, die die Königreiche auf
sie ausüben. Aber der Monarchie stehen noch andere Mittel zu Gebote, und
diese liegen vor allem in der Benutzung der Gegensätze, die zwischen den
Balkanstaaten bestehen. Es dürfte der österreichischen Politik nicht schwer fallen,
Bulgarien auf seiner Seite festzuhalten, und durch Bulgarien auch die Staaten,
die mit ihm befreundet sind.

Vorläufig sind die politischen Verhältnisse auf dem Balkan noch äußerst
labil. In ein bedenkliches Stadium würde die rumänisch-serbische Kombination
ohnehin erst treten, wenn Nußland den beiden Staaten die Schwerkraft seiner
Unterstützung liebe. Nun erfährt aber das ganze Problem eine wesentliche
Entlastung dadurch, daß in der Balkanpolitik keine direkten Gegensätze mehr


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[0018] Die Ankunft an? Balkan Anfang an die rumänischen Ansprüche gegen Bulgarien soweit unterstützt hat, als es dazu in der Lage war. Es ist nicht die österreichische, sondern es ist die rumänische Politik, die die Veränderung der Beziehungen beider Staaten bewirkt hat, und zwar dadurch, daß sie, entgegen ihren früheren Grundfäden, sich aktiv in der Balkanfrage engagierte. Rumänien muß jetzt seine Politik des Gleichgewichtes fortsetzen. Eine Auseinandersetzung zwischen Bulgarien und seinen Gegnern steht notwendig bevor. Auf die Dauer wird es Rumänien schwer werden, ein Stärkerwerden sowohl Bulgariens als Serbiens zu verhindern, ganz besonders in dem Falle, wenn sich beide gegen Griechenland wenden, um sich auf dessen Kosten zu vergrößern. Rumänien ist auch nicht mehr in der Lage, Gebiets¬ erweiterungen Bulgariens oder Serbiens durch eigene Gebietserwerbungen am Balkan zu kompensieren, denn es hat sich jetzt schon Bezirke mit rein bulgarischer Bevölkerung einverleibt. Wenn also Rumänien neuerdings zu einer Politik der Kompensation getrieben würde, so würde ihm die panrumänische Bewegung den Weg weisen, und es muß mit der Möglichkeit rechnen, daß diese, was zur¬ zeit nicht der Fall ist, einen ausgesprochenen irredentistischen Charakter annehme. Neigt nun Rumänien ohnehin zu Serbien, so würde ein solcher Jrredentismns der rumänischen und der serbischen Politik völlig parallele Ziele geben, nämlich die Gewinnung der von Rumänen und Serben bewohnten Gebiete Österreich- Ungarns. Eine irredentistische Politik Rumäniens und Serbiens würde natürlich auch großes Interesse in Nußland erregen, und eine geschickte und unternehmende russische Politik könnte durch die Benutzung dieser Schachfiguren Züge machen, die Österreich in beträchtliche Verlegenheit setzen würde. Österreich-Ungarn befindet sich also in einer neuen Situation. Es hat die Möglichkeit einer irredentistischen Gegnerschaft Rumäniens und eine rumänisch¬ serbische Kombination ins Auge zu fassen, die von Rußland begünstigt und von ihm in seinem eigenen Interesse benutzt werden könnte. Daß es die Bedeutung der Situation erkannt hat, geht daraus hervor, daß die ungarische Negierung Graf Tiszas den solange vernachlässigten Forderungen der ungarischen Rumänen jetzt eine entsprechende Berücksichtigung zuteil werden läßt. Und natürlich ist die Befriedigung der legitimen nationalen Wünsche der Südslawen und Rumänen das gegebene Mittel, der Anziehung entgegenzuwirken, die die Königreiche auf sie ausüben. Aber der Monarchie stehen noch andere Mittel zu Gebote, und diese liegen vor allem in der Benutzung der Gegensätze, die zwischen den Balkanstaaten bestehen. Es dürfte der österreichischen Politik nicht schwer fallen, Bulgarien auf seiner Seite festzuhalten, und durch Bulgarien auch die Staaten, die mit ihm befreundet sind. Vorläufig sind die politischen Verhältnisse auf dem Balkan noch äußerst labil. In ein bedenkliches Stadium würde die rumänisch-serbische Kombination ohnehin erst treten, wenn Nußland den beiden Staaten die Schwerkraft seiner Unterstützung liebe. Nun erfährt aber das ganze Problem eine wesentliche Entlastung dadurch, daß in der Balkanpolitik keine direkten Gegensätze mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/18>, abgerufen am 27.06.2024.