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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Denke an das Heil deiner Seele und nicht an törichte Rache!" rief der
Herzog, aber der einstmalige Stadtschreiber lachte nur höhnisch.

"Gnädiger, mit dem Heil meiner Seele wüßte ich nichts zu beginnen!"

Er ward wieder weggeführt und beide Männer saßen nachher schweigsam
nebeneinander. Bis der Herzog zu sprechen begann.

"Ich muß ihn schon hängen lassen. Niemandem nützt er und vielen kann
er schaden. Aber es ist dennoch übel, eine Entscheidung zu treffen!"

Josias antwortete nicht, aber im stillen freute er sich, daß Frau Heilwig
den Mann nicht hatte strafen, sondern freilassen wollen. Aus welchem Grunde,
hätte er selbst nicht sagen können.

An diesem Abend gab es im Plöner Schloß ein fröhliches Gelage. Ein
Welfenprinz war zu Besuch gekommen, und der Herzog wollte mit ihm und Josias
von alten Zeiten und davon reden, was sie tun würden, wenn sie noch einmal
gegen den Franzmann ziehen könnten. Die Becher klangen und ein Kriegs¬
stücklein nach dem anderen wurde erzählt. Auch Josias wurde lustig und dachte
der alten Zeiten. Wie er die Jungfrau Heilwig doch so arg lieb gehabt und
wie er sie noch heute liebte. Da begann er zu singen und die anderen sangen
so laut mit, daß der Lärm zu der Frau Herzogin drang, die sich in ihrem
Bett aufrichtete, eine Kerze an ihrem Nachtlicht entzündete und in ihrer großen
Bibel zu lesen begann. Sie liebte und bewunderte ihren Herrn sehr, aber
wenn er lange über dem Becher saß, dann suchte sie sich ein Kapitel der
Heiligen Schrift aus, das sie ihm am anderen Morgen vorlesen wollte. Aber
sie brauchte nicht vorzulesen. Der Becherklang hörte auf und ganz ernsthaft
erschien der Herzog nach einer Weile in ihrem Zimmer. Er wollte nicht sagen,
was ihn so ernsthaft machte, aber am anderen Tage schenkte er seiner Ge¬
mahlin die Turmglocken für das neue Kirchlein Sankt Johannes, und sie er¬
fuhr dann auch, daß ein Gefangener, der unten im Schloß lag, sich gegen die
feste Steinmauer die Hirnschale eingeräumt hatte. Wer war es? Die Herzogin
erfuhr es nicht; in ihrer frommen Weise betete sie aber ein Vaterunser für die
arme Seele des Selbstmörders, und wie sie es ihrem Gemahl sagte, streichelte
er ihre Wange.

"Ihr Frauen sollt barmherzig sein!" sagte er.

Am nächsten Tage ritt Herr Josias wieder heim. Im ganzen war er zu¬
frieden, den Herzog gesprochen zu haben, aber dann meinte er doch wieder,
daß Hans Adolf reichlich viel gepredigt hätte. Die Ehefrauen müßten keine
Launen haben und immer zufrieden sein; der Herr von Ahlefeld, den er in der
Plöner Herberge traf und der sich mit seiner Gemahlin schlecht stand, so daß
sie ihm davongelaufen war, hatte eine andere Rede gehalten. Zu sehr hatte
er seiner Eheliebsten den Willen getan und immer zu allem ja gesagt, bis er
der Geschichte überdrüssig wurde und einmal seinen Willen durchsetzte. Da war
sie gleich aufsässig geworden, und nun saß er allein auf seinem Hof. Denn
die Kinder hatte sie mitgenommen.


Die Hexe von Mayen

„Denke an das Heil deiner Seele und nicht an törichte Rache!" rief der
Herzog, aber der einstmalige Stadtschreiber lachte nur höhnisch.

„Gnädiger, mit dem Heil meiner Seele wüßte ich nichts zu beginnen!"

Er ward wieder weggeführt und beide Männer saßen nachher schweigsam
nebeneinander. Bis der Herzog zu sprechen begann.

„Ich muß ihn schon hängen lassen. Niemandem nützt er und vielen kann
er schaden. Aber es ist dennoch übel, eine Entscheidung zu treffen!"

Josias antwortete nicht, aber im stillen freute er sich, daß Frau Heilwig
den Mann nicht hatte strafen, sondern freilassen wollen. Aus welchem Grunde,
hätte er selbst nicht sagen können.

An diesem Abend gab es im Plöner Schloß ein fröhliches Gelage. Ein
Welfenprinz war zu Besuch gekommen, und der Herzog wollte mit ihm und Josias
von alten Zeiten und davon reden, was sie tun würden, wenn sie noch einmal
gegen den Franzmann ziehen könnten. Die Becher klangen und ein Kriegs¬
stücklein nach dem anderen wurde erzählt. Auch Josias wurde lustig und dachte
der alten Zeiten. Wie er die Jungfrau Heilwig doch so arg lieb gehabt und
wie er sie noch heute liebte. Da begann er zu singen und die anderen sangen
so laut mit, daß der Lärm zu der Frau Herzogin drang, die sich in ihrem
Bett aufrichtete, eine Kerze an ihrem Nachtlicht entzündete und in ihrer großen
Bibel zu lesen begann. Sie liebte und bewunderte ihren Herrn sehr, aber
wenn er lange über dem Becher saß, dann suchte sie sich ein Kapitel der
Heiligen Schrift aus, das sie ihm am anderen Morgen vorlesen wollte. Aber
sie brauchte nicht vorzulesen. Der Becherklang hörte auf und ganz ernsthaft
erschien der Herzog nach einer Weile in ihrem Zimmer. Er wollte nicht sagen,
was ihn so ernsthaft machte, aber am anderen Tage schenkte er seiner Ge¬
mahlin die Turmglocken für das neue Kirchlein Sankt Johannes, und sie er¬
fuhr dann auch, daß ein Gefangener, der unten im Schloß lag, sich gegen die
feste Steinmauer die Hirnschale eingeräumt hatte. Wer war es? Die Herzogin
erfuhr es nicht; in ihrer frommen Weise betete sie aber ein Vaterunser für die
arme Seele des Selbstmörders, und wie sie es ihrem Gemahl sagte, streichelte
er ihre Wange.

„Ihr Frauen sollt barmherzig sein!" sagte er.

Am nächsten Tage ritt Herr Josias wieder heim. Im ganzen war er zu¬
frieden, den Herzog gesprochen zu haben, aber dann meinte er doch wieder,
daß Hans Adolf reichlich viel gepredigt hätte. Die Ehefrauen müßten keine
Launen haben und immer zufrieden sein; der Herr von Ahlefeld, den er in der
Plöner Herberge traf und der sich mit seiner Gemahlin schlecht stand, so daß
sie ihm davongelaufen war, hatte eine andere Rede gehalten. Zu sehr hatte
er seiner Eheliebsten den Willen getan und immer zu allem ja gesagt, bis er
der Geschichte überdrüssig wurde und einmal seinen Willen durchsetzte. Da war
sie gleich aufsässig geworden, und nun saß er allein auf seinem Hof. Denn
die Kinder hatte sie mitgenommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/183>, abgerufen am 23.06.2024.