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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Der Stadtschreiber von Manen?" Der Herzog war überrascht. "Der
also hat den Weg hierher gefunden? Und Eure Frau Liebste wollte ihn nicht
hängen lassen?"

"Sie wollte ihn sogar laufen lassen!" Herr Jostas war beschämt und
verlegen, als er dies sagte. Aber vor den glänzenden Augen des Herzogs war
es schwer, etwas zu verschweigen.

"Das kann ich Eurer Eheliebsten nicht verdenken, Sehestedt. Ein Weib
soll Barmherzigkeit üben und nicht gleich mit dem Strick kommen. Meine Frau
Gemahlin hat noch niemals ein Todesurteil unterschrieben, und ich bin es sehr
zufrieden. Das ist Männerarbeit."

"Aber sie wollte ihn 'entkommen lassen, sagte dies zum Vogt und hat
meine Hörigen störrisch gemacht. Denn der Kerl hat im Prison von Zauberei
geredet und daß Frau Heilwig eine Hexe gewesen wäre. So hat er uns sehr
geschadet, denn das Volk glaubt noch an Hexen und an vieles andere, darüber
manche lachen."

Hans Adolf lachte gutmütig.

"Herr Josias, Ihr scheint mir ein wenig aus der Kontenance zu sein.
Was meint Ihr, wenn wir einmal wieder gegen die Franzosen ritten? Viele
Raupen würden Euch aus dem Kopf kriechen und nie mehr hineingehen!
Wißt Ihr denn nicht, daß auch ich einer von denen bin, die zaubern können?
Mäuse soll ich machen können und Katzen, die sie auffressen. Kugelfest hat man
mich genannt! und wie mancher Hieb, wie manche Kugel hat ihr Zeichen bei
mir gelassen! Lasset doch die Leute reden, Herr von Sehestedt! Meine Frau
Gemahlin hat ehedem geweint über die dummen Historien, die das Volk von
mir berichtete; ich meine, sie hat sie sogar ein wenig geglaubt, jetzt lacht sie.
Denn sie kennt ihren Hans Adolf und weiß, daß er ein Mensch ist, wie alle
andern!"

"Aber sie wollte ihn entfliehen lassen!" Josias wiederholte die Worte
und machte ein so bekümmertes Gesicht, daß der Herzog ernster wurde.

"Lieber Herr, auch dies kann ich verstehen. Soviel ich mich entsinne,
hat der Stadtschreiber der Jungfrau Heilwig wohl ein wenig in Liebe nach¬
gestellt, hat ihr aber nicht schaden können. Vielleicht hat er sogar die Hand
über ihr gehalten, so daß sie besser behandelt wurde als eine andere Hexe --
und wenn dies alles der ehemaligen Jungfrau Heilwig noch nicht ganz klar
geworden ist, so weiß die edle Frau von Sehestedt doch wohl, daß es ihr
übler hätte ergehen können, wenn dieser Kerl nicht Scheu vor ihrer holden
Jungfräulichkeit empfunden hätte. So kann ich es begreifen, daß sie ihn lieber
wollte entkommen lassen, als in den eigenen Turm stecken! Meine Sophia
Dorothea würde ebenso handeln!"

"Die Weiber sind nicht immer gut zu verstehen!" sagte Josias nach einer
Weile und seufzte dabei. Der Herzog lächelte.


Die Hexe von Mayen

„Der Stadtschreiber von Manen?" Der Herzog war überrascht. „Der
also hat den Weg hierher gefunden? Und Eure Frau Liebste wollte ihn nicht
hängen lassen?"

„Sie wollte ihn sogar laufen lassen!" Herr Jostas war beschämt und
verlegen, als er dies sagte. Aber vor den glänzenden Augen des Herzogs war
es schwer, etwas zu verschweigen.

„Das kann ich Eurer Eheliebsten nicht verdenken, Sehestedt. Ein Weib
soll Barmherzigkeit üben und nicht gleich mit dem Strick kommen. Meine Frau
Gemahlin hat noch niemals ein Todesurteil unterschrieben, und ich bin es sehr
zufrieden. Das ist Männerarbeit."

„Aber sie wollte ihn 'entkommen lassen, sagte dies zum Vogt und hat
meine Hörigen störrisch gemacht. Denn der Kerl hat im Prison von Zauberei
geredet und daß Frau Heilwig eine Hexe gewesen wäre. So hat er uns sehr
geschadet, denn das Volk glaubt noch an Hexen und an vieles andere, darüber
manche lachen."

Hans Adolf lachte gutmütig.

„Herr Josias, Ihr scheint mir ein wenig aus der Kontenance zu sein.
Was meint Ihr, wenn wir einmal wieder gegen die Franzosen ritten? Viele
Raupen würden Euch aus dem Kopf kriechen und nie mehr hineingehen!
Wißt Ihr denn nicht, daß auch ich einer von denen bin, die zaubern können?
Mäuse soll ich machen können und Katzen, die sie auffressen. Kugelfest hat man
mich genannt! und wie mancher Hieb, wie manche Kugel hat ihr Zeichen bei
mir gelassen! Lasset doch die Leute reden, Herr von Sehestedt! Meine Frau
Gemahlin hat ehedem geweint über die dummen Historien, die das Volk von
mir berichtete; ich meine, sie hat sie sogar ein wenig geglaubt, jetzt lacht sie.
Denn sie kennt ihren Hans Adolf und weiß, daß er ein Mensch ist, wie alle
andern!"

„Aber sie wollte ihn entfliehen lassen!" Josias wiederholte die Worte
und machte ein so bekümmertes Gesicht, daß der Herzog ernster wurde.

„Lieber Herr, auch dies kann ich verstehen. Soviel ich mich entsinne,
hat der Stadtschreiber der Jungfrau Heilwig wohl ein wenig in Liebe nach¬
gestellt, hat ihr aber nicht schaden können. Vielleicht hat er sogar die Hand
über ihr gehalten, so daß sie besser behandelt wurde als eine andere Hexe —
und wenn dies alles der ehemaligen Jungfrau Heilwig noch nicht ganz klar
geworden ist, so weiß die edle Frau von Sehestedt doch wohl, daß es ihr
übler hätte ergehen können, wenn dieser Kerl nicht Scheu vor ihrer holden
Jungfräulichkeit empfunden hätte. So kann ich es begreifen, daß sie ihn lieber
wollte entkommen lassen, als in den eigenen Turm stecken! Meine Sophia
Dorothea würde ebenso handeln!"

„Die Weiber sind nicht immer gut zu verstehen!" sagte Josias nach einer
Weile und seufzte dabei. Der Herzog lächelte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/181>, abgerufen am 30.06.2024.