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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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marcks Ansichten über wichtige nationale
Fragen, z, B. Polenfrage, Welfenfrage, den
Ultramontanismus usw., und bemerkt dazu
mit Recht, wir dürften uns nicht mehr damit
begnügen, zu wissen, was Bismarck einmal
zu einer Frage gesagt, sondern müßten auch
leicht feststellen können, unter welchen Poli¬
tischen Voraussetzungen er sich jeweilig zu den
einzelnen Fragen ausgesprochen habe.

Diesem Verlangen kommt ein vom Deutschen
Ostmarkenverein verlegtes Buch "Bismarck
über die Polen" von Friedr. Koch entgegen
(Berlin >V. 62, 1913, 150 S. 2 Mark),
welches während eines Zeitraumes von etwa
fünfzig Jahren, 1843 bis 1893, getane Äuße¬
rungen des großen Staatsmanns, schriftliche
und namentlich mündliche, nach der Zeitfolge
zusammenstellt und durch kurze Angabe der
begleitenden Umstände und Veranlassungen
erläutert. Die neun Kapitel würde man
gern in einer Inhaltsübersicht zusammengefaßt
sehen: 1. Bis zum Jahre 1848, 2. 1848 bis
1862, 3. Bismarck über die preußische Polen¬
politik von 1786 bis 1862, 4. und 5. Der
Polnische Aufstand 1863, 6. 1865 bis 1870,
7. 1871 bis 1885, 8. Neue Maßregeln, das
AnsiedlungSgesetz, 1886 bis 1890, 9. Nach der
Entlassung.

Von seinem ersten Auftreten im Preußischen
Landtag, von 1848 an bis zum erzwungenen
Ende seines staatsmännischen Schaffens hat
sich Bismarck als scharfer Beobachter der den
Deutschen in den Ostprovinzen von den Polen
drohenden Gefahren bewährt und, seit er zur
Machtausübung gelangt war, sich mit dem
ganzen Gewicht seiner leidenschaftlichen Vater¬
landsliebe dem anfindenden Polentum ent¬
gegengeworfen. 1848: "Es ist recht merk¬
würdig, wie der Berliner in der gutmütigen
Einfalt seines Enthusiasmus für alles Aus¬
ländische sich jemals einbilden konnte, die
Polen könnten etwas anderes als unsere Feinde
sein", und 1386 (bei Vorlage des Ansiedlungs-
gesetzes): "Wir wollen nicht das Polentum, aus¬
rotten, sondern wir wollen das Deutschtum davor
schützen, daß es seinerseits ausgerottet werde."
Zwei Gesichtspunkte namentlich Waren es, die
er immer wieder zum Ausdruck brachte und
die sein Tun bestimmten. Einmal der so¬
eben angedeutete Schutz der Deutschen vor
Polonisierung in Sprache und Gesittung und

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vor Verlust des deutschen Grundbesitzes durch
Erwerbung seitens der Polen, und sodann die
Verhütung eines neuen Polenreiches zwischen
den drei Teilungsmächten. Beide Erwägungen
berühren, ergänzen und durchdringen sich.
Je deutscher Posen und Westpreußen werden,
um so schwerer ist ihr Aufsaugen durch ein
neues Polenreich und um so geringer ihr
Wert (ihre Bündnisfähigkoit) für einen aus¬
wärtigen Staat. Beispiele: In einem Zir¬
kular vom 13. Februar 1872 an sämtliche
Staatsminister ersuchte er den Kultusminister:
"der deutschen Sprache gegenüber der Pol¬
nischen .. . wieder zu ihrem Rechte zu ver¬
helfen" und. . . "in überwiegend deutschen
Gemeinden die deutsche Predigt zur Regel zu
erheben". Ferner in einem Briefe vom
9. März 1863 sagteer: "Polens Unabhängig¬
keit ist gleichbedeutend mit einer starken fran¬
zösischen Armee in der Weichselposition." Mit
Spannung folgt man dem Kampf des einen
Mannes während des Polnischen Aufstandes
1363 gegen das Abgeordnetenhaus und den kläg¬
lichen Mangel an Polnischer Einsicht und
StaatSgefühl, der sich darin breit machte
(S. 2ö bis 52). Auch der Kulturkampf war
eine Wirkung der Polengefahr. "Wir hätten
den ganzen Kulturkampf entbehren können,
wenn die polnische Frage nicht daran hing.
Aber sie hing daran. Denn wir hatten da¬
mals den Nuntius nicht als fremden Diplo¬
maten in Berlin, sondern inmitten des
preußischen Ministeriums in Gestalt der
(katholischen) Abteilung, die ursprünglich ge¬
stiftet worden war, die Rechte des Königs
der Kirche gegenüber zu vertreten und die
schließlich dahin gekommen war, die Rechte der
Kirche und der Polen dem Könige gegenüber
zu vertreten" (1892 in Jena>. Deshalb hob
Bismarck diese Abteilung schon 1871 auf;
"ihr Chef (Geheimrat Krätzig) sei so gut wie
ein Radziwillscher Leibeigner."

Bei der ganzen Frage dürfen aber zwei
Verschiebungen nicht übersehen werden, die
das Buch nicht deutlich hervorhebt. Bismarck
erblickte den Feind ausschließlich im polnischen
Adel und der Polnischen Geistlichkeit, während
er den Bauern und kleinen Mann für ini
wesentlichen loyal hielt und einen Mittelstand
kaum anerkannte. Rum hat sich aber in¬
zwischen, dank der bewunderungswürdigen

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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marcks Ansichten über wichtige nationale
Fragen, z, B. Polenfrage, Welfenfrage, den
Ultramontanismus usw., und bemerkt dazu
mit Recht, wir dürften uns nicht mehr damit
begnügen, zu wissen, was Bismarck einmal
zu einer Frage gesagt, sondern müßten auch
leicht feststellen können, unter welchen Poli¬
tischen Voraussetzungen er sich jeweilig zu den
einzelnen Fragen ausgesprochen habe.

Diesem Verlangen kommt ein vom Deutschen
Ostmarkenverein verlegtes Buch „Bismarck
über die Polen" von Friedr. Koch entgegen
(Berlin >V. 62, 1913, 150 S. 2 Mark),
welches während eines Zeitraumes von etwa
fünfzig Jahren, 1843 bis 1893, getane Äuße¬
rungen des großen Staatsmanns, schriftliche
und namentlich mündliche, nach der Zeitfolge
zusammenstellt und durch kurze Angabe der
begleitenden Umstände und Veranlassungen
erläutert. Die neun Kapitel würde man
gern in einer Inhaltsübersicht zusammengefaßt
sehen: 1. Bis zum Jahre 1848, 2. 1848 bis
1862, 3. Bismarck über die preußische Polen¬
politik von 1786 bis 1862, 4. und 5. Der
Polnische Aufstand 1863, 6. 1865 bis 1870,
7. 1871 bis 1885, 8. Neue Maßregeln, das
AnsiedlungSgesetz, 1886 bis 1890, 9. Nach der
Entlassung.

Von seinem ersten Auftreten im Preußischen
Landtag, von 1848 an bis zum erzwungenen
Ende seines staatsmännischen Schaffens hat
sich Bismarck als scharfer Beobachter der den
Deutschen in den Ostprovinzen von den Polen
drohenden Gefahren bewährt und, seit er zur
Machtausübung gelangt war, sich mit dem
ganzen Gewicht seiner leidenschaftlichen Vater¬
landsliebe dem anfindenden Polentum ent¬
gegengeworfen. 1848: „Es ist recht merk¬
würdig, wie der Berliner in der gutmütigen
Einfalt seines Enthusiasmus für alles Aus¬
ländische sich jemals einbilden konnte, die
Polen könnten etwas anderes als unsere Feinde
sein", und 1386 (bei Vorlage des Ansiedlungs-
gesetzes): „Wir wollen nicht das Polentum, aus¬
rotten, sondern wir wollen das Deutschtum davor
schützen, daß es seinerseits ausgerottet werde."
Zwei Gesichtspunkte namentlich Waren es, die
er immer wieder zum Ausdruck brachte und
die sein Tun bestimmten. Einmal der so¬
eben angedeutete Schutz der Deutschen vor
Polonisierung in Sprache und Gesittung und

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vor Verlust des deutschen Grundbesitzes durch
Erwerbung seitens der Polen, und sodann die
Verhütung eines neuen Polenreiches zwischen
den drei Teilungsmächten. Beide Erwägungen
berühren, ergänzen und durchdringen sich.
Je deutscher Posen und Westpreußen werden,
um so schwerer ist ihr Aufsaugen durch ein
neues Polenreich und um so geringer ihr
Wert (ihre Bündnisfähigkoit) für einen aus¬
wärtigen Staat. Beispiele: In einem Zir¬
kular vom 13. Februar 1872 an sämtliche
Staatsminister ersuchte er den Kultusminister:
„der deutschen Sprache gegenüber der Pol¬
nischen .. . wieder zu ihrem Rechte zu ver¬
helfen" und. . . „in überwiegend deutschen
Gemeinden die deutsche Predigt zur Regel zu
erheben". Ferner in einem Briefe vom
9. März 1863 sagteer: „Polens Unabhängig¬
keit ist gleichbedeutend mit einer starken fran¬
zösischen Armee in der Weichselposition." Mit
Spannung folgt man dem Kampf des einen
Mannes während des Polnischen Aufstandes
1363 gegen das Abgeordnetenhaus und den kläg¬
lichen Mangel an Polnischer Einsicht und
StaatSgefühl, der sich darin breit machte
(S. 2ö bis 52). Auch der Kulturkampf war
eine Wirkung der Polengefahr. „Wir hätten
den ganzen Kulturkampf entbehren können,
wenn die polnische Frage nicht daran hing.
Aber sie hing daran. Denn wir hatten da¬
mals den Nuntius nicht als fremden Diplo¬
maten in Berlin, sondern inmitten des
preußischen Ministeriums in Gestalt der
(katholischen) Abteilung, die ursprünglich ge¬
stiftet worden war, die Rechte des Königs
der Kirche gegenüber zu vertreten und die
schließlich dahin gekommen war, die Rechte der
Kirche und der Polen dem Könige gegenüber
zu vertreten" (1892 in Jena>. Deshalb hob
Bismarck diese Abteilung schon 1871 auf;
„ihr Chef (Geheimrat Krätzig) sei so gut wie
ein Radziwillscher Leibeigner."

Bei der ganzen Frage dürfen aber zwei
Verschiebungen nicht übersehen werden, die
das Buch nicht deutlich hervorhebt. Bismarck
erblickte den Feind ausschließlich im polnischen
Adel und der Polnischen Geistlichkeit, während
er den Bauern und kleinen Mann für ini
wesentlichen loyal hielt und einen Mittelstand
kaum anerkannte. Rum hat sich aber in¬
zwischen, dank der bewunderungswürdigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/154>, abgerufen am 20.06.2024.