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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Maya"

aber was nicht in Flammen stand, konnte vielleicht gerettet werden. Aber ganz
Schierensee wäre doch wohl ein Raub der Flammen geworden, wenn nicht ein
starker Regen gekommen wäre, der das Schlimmste verhütete. Zwei Scheuern
rauchten noch, als der Morgen kam, und hier und dort lag ein verbranntes
Stück Vieh, aber das alte Schloß stand unbeschädigt, wie die anderen Hof¬
gebäude und wie die Wohnungen der Leibeigenen.

Frau Heilwig hatte geholfen und mit Hand angelegt, wie es sich gehörte.
Die Leibeigenen hatte der Vogt angetrieben, denn sie waren leicht störrisch und
verlangten zuerst ihre Habe zu retten, anstatt die ihrer Herrschaft. Nun stand
die Edelfrau rauchgeschwärzt auf der Schloßtreppe und der Vogt gab ihr Bericht.
Der Gefangene, der gestern in den Turm gesteckt worden war, war gleich
nach Mitternacht ausgebrochen und hatte das Feuer angelegt. Zwei Strolche
waren mit ihm gegangen, die anderen saßen noch im Gefängnis und erzählten,
welch gotteslästerliche Reden der Kerl geführt hatte. Von Hexen hatte er ge¬
redet, von Zauberei -- verstanden hatten sie nicht alles --, aber, obgleich er an
der Kette lag, war es ihm doch gelungen, sich frei zu machen und das Unheil
anzustiften.

"Hätte ich ihn hängen dürfen!" Der Vogt sagte es mehr als einmal und
seine Stimme klang vorwurfsvoll. "Aber die edle Frau wollte ja nicht, wollte
ihn sogar laufen lassen!"

"Es muß Botschaft an den edlen Herrn geschickt werden!" sagte Heilwig,
und der Vogt erwiderte, daß dies schon lange geschehen sei. Er war kein
schlechter Diener, aber einer von den Harten, wie sie die harte Zeit hervor¬
brachte. Daß die Edelfrau gesagt hatte, den Kerl laufen zu lassen, konnte er
nicht vergessen. Und die anderen Leibeigenen steckten die Köpfe zusammen und
flüsterten, anstatt zu arbeiten. Der Brandstifter hatte im Turm so wunderliche
Reden geführt und Geerke, der Knecht, der den Gefangenen Wasser und Brod
brachte, hatte allerlei aufgeschnappt. Er berichtete es seiner Lise und die sagte
es den anderen Weibern. Die edle Frau war ehedem eine Hexe gewesen. Dafür
hatte sie einmal im Turm gesessen und hatte brennen sollen, aber sie war ge¬
rettet worden. Dieser hier, der das Feuer anlegte, war ihr Lehrmeister gewesen,
deshalb wollte sie ihn laufen lassen. Die alten und jungen Weiber hatten viel
miteinander zu raunen und die Männer machten finstere Gesichter. In der
Kirche sagte zwar der Prädikcmt, daß es nicht mehr viele Hexen gäbe, aber er
wußte doch selbst, daß in Kiel kürzlich eine aus dem Schornstein quer über den
Markt geritten war.

Der Vogt schalt über diese Geschichten, trieb die Leute an, den Schutt
wegzuräumen und schlug, wen es gerade traf; aber auch er war weniger ehrer¬
bietig gegen die edle Frau als sonst und betrachtete sie von der Seite, als sie
selbst unter den Leibeigenen erschien, um ihre Befehle zu geben.

Heilwig empfand nicht die feindselige Stimmung. Sie war noch immer
verstört und ihre Gedanken gingen anderswo hin. Erst als ihr ältester Sohn


Grenzbowi II I!)14 9
Die Hexe von Maya»

aber was nicht in Flammen stand, konnte vielleicht gerettet werden. Aber ganz
Schierensee wäre doch wohl ein Raub der Flammen geworden, wenn nicht ein
starker Regen gekommen wäre, der das Schlimmste verhütete. Zwei Scheuern
rauchten noch, als der Morgen kam, und hier und dort lag ein verbranntes
Stück Vieh, aber das alte Schloß stand unbeschädigt, wie die anderen Hof¬
gebäude und wie die Wohnungen der Leibeigenen.

Frau Heilwig hatte geholfen und mit Hand angelegt, wie es sich gehörte.
Die Leibeigenen hatte der Vogt angetrieben, denn sie waren leicht störrisch und
verlangten zuerst ihre Habe zu retten, anstatt die ihrer Herrschaft. Nun stand
die Edelfrau rauchgeschwärzt auf der Schloßtreppe und der Vogt gab ihr Bericht.
Der Gefangene, der gestern in den Turm gesteckt worden war, war gleich
nach Mitternacht ausgebrochen und hatte das Feuer angelegt. Zwei Strolche
waren mit ihm gegangen, die anderen saßen noch im Gefängnis und erzählten,
welch gotteslästerliche Reden der Kerl geführt hatte. Von Hexen hatte er ge¬
redet, von Zauberei — verstanden hatten sie nicht alles —, aber, obgleich er an
der Kette lag, war es ihm doch gelungen, sich frei zu machen und das Unheil
anzustiften.

„Hätte ich ihn hängen dürfen!" Der Vogt sagte es mehr als einmal und
seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Aber die edle Frau wollte ja nicht, wollte
ihn sogar laufen lassen!"

„Es muß Botschaft an den edlen Herrn geschickt werden!" sagte Heilwig,
und der Vogt erwiderte, daß dies schon lange geschehen sei. Er war kein
schlechter Diener, aber einer von den Harten, wie sie die harte Zeit hervor¬
brachte. Daß die Edelfrau gesagt hatte, den Kerl laufen zu lassen, konnte er
nicht vergessen. Und die anderen Leibeigenen steckten die Köpfe zusammen und
flüsterten, anstatt zu arbeiten. Der Brandstifter hatte im Turm so wunderliche
Reden geführt und Geerke, der Knecht, der den Gefangenen Wasser und Brod
brachte, hatte allerlei aufgeschnappt. Er berichtete es seiner Lise und die sagte
es den anderen Weibern. Die edle Frau war ehedem eine Hexe gewesen. Dafür
hatte sie einmal im Turm gesessen und hatte brennen sollen, aber sie war ge¬
rettet worden. Dieser hier, der das Feuer anlegte, war ihr Lehrmeister gewesen,
deshalb wollte sie ihn laufen lassen. Die alten und jungen Weiber hatten viel
miteinander zu raunen und die Männer machten finstere Gesichter. In der
Kirche sagte zwar der Prädikcmt, daß es nicht mehr viele Hexen gäbe, aber er
wußte doch selbst, daß in Kiel kürzlich eine aus dem Schornstein quer über den
Markt geritten war.

Der Vogt schalt über diese Geschichten, trieb die Leute an, den Schutt
wegzuräumen und schlug, wen es gerade traf; aber auch er war weniger ehrer¬
bietig gegen die edle Frau als sonst und betrachtete sie von der Seite, als sie
selbst unter den Leibeigenen erschien, um ihre Befehle zu geben.

Heilwig empfand nicht die feindselige Stimmung. Sie war noch immer
verstört und ihre Gedanken gingen anderswo hin. Erst als ihr ältester Sohn


Grenzbowi II I!)14 9
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[0141] Die Hexe von Maya» aber was nicht in Flammen stand, konnte vielleicht gerettet werden. Aber ganz Schierensee wäre doch wohl ein Raub der Flammen geworden, wenn nicht ein starker Regen gekommen wäre, der das Schlimmste verhütete. Zwei Scheuern rauchten noch, als der Morgen kam, und hier und dort lag ein verbranntes Stück Vieh, aber das alte Schloß stand unbeschädigt, wie die anderen Hof¬ gebäude und wie die Wohnungen der Leibeigenen. Frau Heilwig hatte geholfen und mit Hand angelegt, wie es sich gehörte. Die Leibeigenen hatte der Vogt angetrieben, denn sie waren leicht störrisch und verlangten zuerst ihre Habe zu retten, anstatt die ihrer Herrschaft. Nun stand die Edelfrau rauchgeschwärzt auf der Schloßtreppe und der Vogt gab ihr Bericht. Der Gefangene, der gestern in den Turm gesteckt worden war, war gleich nach Mitternacht ausgebrochen und hatte das Feuer angelegt. Zwei Strolche waren mit ihm gegangen, die anderen saßen noch im Gefängnis und erzählten, welch gotteslästerliche Reden der Kerl geführt hatte. Von Hexen hatte er ge¬ redet, von Zauberei — verstanden hatten sie nicht alles —, aber, obgleich er an der Kette lag, war es ihm doch gelungen, sich frei zu machen und das Unheil anzustiften. „Hätte ich ihn hängen dürfen!" Der Vogt sagte es mehr als einmal und seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Aber die edle Frau wollte ja nicht, wollte ihn sogar laufen lassen!" „Es muß Botschaft an den edlen Herrn geschickt werden!" sagte Heilwig, und der Vogt erwiderte, daß dies schon lange geschehen sei. Er war kein schlechter Diener, aber einer von den Harten, wie sie die harte Zeit hervor¬ brachte. Daß die Edelfrau gesagt hatte, den Kerl laufen zu lassen, konnte er nicht vergessen. Und die anderen Leibeigenen steckten die Köpfe zusammen und flüsterten, anstatt zu arbeiten. Der Brandstifter hatte im Turm so wunderliche Reden geführt und Geerke, der Knecht, der den Gefangenen Wasser und Brod brachte, hatte allerlei aufgeschnappt. Er berichtete es seiner Lise und die sagte es den anderen Weibern. Die edle Frau war ehedem eine Hexe gewesen. Dafür hatte sie einmal im Turm gesessen und hatte brennen sollen, aber sie war ge¬ rettet worden. Dieser hier, der das Feuer anlegte, war ihr Lehrmeister gewesen, deshalb wollte sie ihn laufen lassen. Die alten und jungen Weiber hatten viel miteinander zu raunen und die Männer machten finstere Gesichter. In der Kirche sagte zwar der Prädikcmt, daß es nicht mehr viele Hexen gäbe, aber er wußte doch selbst, daß in Kiel kürzlich eine aus dem Schornstein quer über den Markt geritten war. Der Vogt schalt über diese Geschichten, trieb die Leute an, den Schutt wegzuräumen und schlug, wen es gerade traf; aber auch er war weniger ehrer¬ bietig gegen die edle Frau als sonst und betrachtete sie von der Seite, als sie selbst unter den Leibeigenen erschien, um ihre Befehle zu geben. Heilwig empfand nicht die feindselige Stimmung. Sie war noch immer verstört und ihre Gedanken gingen anderswo hin. Erst als ihr ältester Sohn Grenzbowi II I!)14 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/141>, abgerufen am 24.07.2024.