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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Unzurechnungsfähigkeit und Strafrecht

der das Geklapper in eine Reihenfolge von Buchstaben überträgt, und das
Begriffszentrum ist der General, der den Befehl zur Alarmierung der Garnison
herausliest. Nun soll es vorgekommen sein, daß ein Beamter, ohne durch den
Empfangsapparat dazu veranlaßt zu sein, ein derartiges Telegramm weiter¬
gegeben hat, und verständige Menschen fanden es verzeihlich, daß es der Ge¬
neral für echt ansah und die Garnison alarmierte. Genau so haben wir uns
die Entstehung einer Gehörshalluzination vorzustellen, indem in der Hörsinnes-
sphäre entweder automatisch oder doch durch andere Reize als den normalen
Hörnervenimpuls Wortklangbilder wachgerufen werden, mit denen das Begriffs¬
zentrum selbstverständlich den gewohnten Sinn verbindet und von denen es
verzeihlicherweise annimmt, daß sie dem Hörzentrum wohl durch die normale
Leitung des Ohres zugegangen sein werden. So gelangt der Halluzinant dazu,
Worte zu hören, die in der Tat niemand gesprochen hat, und ebenso kommt
es, wenn andere GeHirnzentren von dem krankhaften Erregungszustande be¬
troffen werden, zu Gesichts-, Geschmacks-, Geruchs- und Gefühlshalluzmationen.

Da der Kranke kein Mittel in der Hand hat, um seine Halluzinationen
als Täuschungen zu erkennen, so wird er mit ihnen ebenso in seinem Geiste
operieren, wie mit den normalen Sinneswahrnehmungen und auf diese Weise
in völlig gutem Glauben zu objektiv falschen Vorstellungen, Schlüssen und Hand¬
lungen gelangen.

Die subjektive Wahrscheinlichkeit der Halluzinationen schließt es dabei keines¬
wegs aus. daß sie dem Kranken dennoch, namentlich im Beginn der Erkrankung,
befremdend vorkommen, teils durch ihren mit sonstigen Sinneswahrnehmungen
schwer vereinbaren Inhalt, teils durch ihre häufige Wiederholung. Darum
pflegen sie dem geistigen und körperlichen Verhalten des frisch Erkrankten ein
dem Geübten schnell erkennbares Gepräge aufzudrücken, während der schon
längere Zeit Erkrankte es meistens versteht, solche Sinnestäuschungen und an¬
schließende Wahnideen, von denen er schon erfahren hat, daß sie ihn in den
Ruf der Geisteskrankheit gebracht haben, obwohl er selbst an ihrer Wahrheit
keinen Zweifel hegt, dem Arzte ziemlich geschickt zu verheimlichen.

Ohne auf die vielen Varianten der halluzinatorischen Erkrankungen, die
alle Stadien bis zu völliger Verwirrtheit durchlaufen können, einzugehen, will
ich nur bemerken, daß es vielfach, z. B. bei der sogenannten "einfachen Ver¬
rücktheit", auch Wahnideen gibt, die nicht auf Sinnestäuschungen zurückzuführen
sind, Größenwahn, Verfolgungswahn usw., die manchmal ihrerseits erst dadurch,
daß sie den Kranken in einen bestimmten Vorstellungskreis hineindrängen,
Sinnestäuschungen zur Folge haben. Hier handelt es sich dann meist im
Gegensatz zu den vorhin besprochenen Halluzinationen um sogenannte Illu¬
sionen. Als solche bezeichnen wir krankhaft gedeutete wirkliche Wahrnehmungen,
z. B. wenn ein an Verfolgungswahn Leidender in jedem Menschen einen ver¬
kappten Polizisten sieht oder aus jedem von ihm belauschten Gespräch heraus¬
zuhören glaubt, es drehe sich um ihn usw.


Unzurechnungsfähigkeit und Strafrecht

der das Geklapper in eine Reihenfolge von Buchstaben überträgt, und das
Begriffszentrum ist der General, der den Befehl zur Alarmierung der Garnison
herausliest. Nun soll es vorgekommen sein, daß ein Beamter, ohne durch den
Empfangsapparat dazu veranlaßt zu sein, ein derartiges Telegramm weiter¬
gegeben hat, und verständige Menschen fanden es verzeihlich, daß es der Ge¬
neral für echt ansah und die Garnison alarmierte. Genau so haben wir uns
die Entstehung einer Gehörshalluzination vorzustellen, indem in der Hörsinnes-
sphäre entweder automatisch oder doch durch andere Reize als den normalen
Hörnervenimpuls Wortklangbilder wachgerufen werden, mit denen das Begriffs¬
zentrum selbstverständlich den gewohnten Sinn verbindet und von denen es
verzeihlicherweise annimmt, daß sie dem Hörzentrum wohl durch die normale
Leitung des Ohres zugegangen sein werden. So gelangt der Halluzinant dazu,
Worte zu hören, die in der Tat niemand gesprochen hat, und ebenso kommt
es, wenn andere GeHirnzentren von dem krankhaften Erregungszustande be¬
troffen werden, zu Gesichts-, Geschmacks-, Geruchs- und Gefühlshalluzmationen.

Da der Kranke kein Mittel in der Hand hat, um seine Halluzinationen
als Täuschungen zu erkennen, so wird er mit ihnen ebenso in seinem Geiste
operieren, wie mit den normalen Sinneswahrnehmungen und auf diese Weise
in völlig gutem Glauben zu objektiv falschen Vorstellungen, Schlüssen und Hand¬
lungen gelangen.

Die subjektive Wahrscheinlichkeit der Halluzinationen schließt es dabei keines¬
wegs aus. daß sie dem Kranken dennoch, namentlich im Beginn der Erkrankung,
befremdend vorkommen, teils durch ihren mit sonstigen Sinneswahrnehmungen
schwer vereinbaren Inhalt, teils durch ihre häufige Wiederholung. Darum
pflegen sie dem geistigen und körperlichen Verhalten des frisch Erkrankten ein
dem Geübten schnell erkennbares Gepräge aufzudrücken, während der schon
längere Zeit Erkrankte es meistens versteht, solche Sinnestäuschungen und an¬
schließende Wahnideen, von denen er schon erfahren hat, daß sie ihn in den
Ruf der Geisteskrankheit gebracht haben, obwohl er selbst an ihrer Wahrheit
keinen Zweifel hegt, dem Arzte ziemlich geschickt zu verheimlichen.

Ohne auf die vielen Varianten der halluzinatorischen Erkrankungen, die
alle Stadien bis zu völliger Verwirrtheit durchlaufen können, einzugehen, will
ich nur bemerken, daß es vielfach, z. B. bei der sogenannten „einfachen Ver¬
rücktheit", auch Wahnideen gibt, die nicht auf Sinnestäuschungen zurückzuführen
sind, Größenwahn, Verfolgungswahn usw., die manchmal ihrerseits erst dadurch,
daß sie den Kranken in einen bestimmten Vorstellungskreis hineindrängen,
Sinnestäuschungen zur Folge haben. Hier handelt es sich dann meist im
Gegensatz zu den vorhin besprochenen Halluzinationen um sogenannte Illu¬
sionen. Als solche bezeichnen wir krankhaft gedeutete wirkliche Wahrnehmungen,
z. B. wenn ein an Verfolgungswahn Leidender in jedem Menschen einen ver¬
kappten Polizisten sieht oder aus jedem von ihm belauschten Gespräch heraus¬
zuhören glaubt, es drehe sich um ihn usw.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/134>, abgerufen am 20.06.2024.