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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Raym

ein Junge war, hatte er einen kleinen Dachshund, der ihm auf Tritt und
Schritt folgte. Den hatte er selbst gebürstet und sauber gehalten, und sein
Fell glänzte wie Samt. Ja, das war damals, als der Vater noch in Einzig
wohnte und er noch eine Mutter hatte. Dann war, nach dem großen Kriege,
die Pest gekommen, und nur er und seine Schwester Emmeline waren übrig
geblieben. Außer der Anwartschaft auf die Domherrenstelle war auch kein Gi'it
mehr dagewesen. Ein alter Oheim hatte ihn in Köln behalten und ihm nach
seinem Tode dies Häuschen in Muyen hinterlassen.

Sebastian rümpfte zuerst die Nase über dieses Erbteil: aber, wenn er es
nicht gehabt hätte, würde er doch wohl auf die Zuflucht bei seiner Schwester
angewiesen sein, während er jetzt noch immer ein wenig auf diesen kleinen
Besitz borgen konnte. Freilich, der Färber Lenharts war neulich schon wenig
freundlich gewesen, und daß er mit dem Jupp über ihn sprach, ging gegen den
Respekt: wo aber war dieser noch zu finden?

Sebastian saß in dem alten, mit Leder bezogenen Stuhl, in dem einst sein
Ohm gestorben war, und betrachtete den Haufen beschriebenen und unbeschriebenen
Papiers vor sich. Es war eine schöne Arbeit, die er vor hatte, und sie mußte
ihm Ehre bringen. Allerdings: hungrig durfte man nicht immer sein -- dann
verwirrten sich die Gedanken, und wenn dann eine Hexe im Turm saß. dann
wurde das Nachdenken noch schwerer. Wahrlich: solche vom Bösen Geplagte
konnte eine ganze Stadt verderbe"! Es gab grausige Geschichte" von Hexen:
in Sinzig war eine gewesen, die hatte dorihin die Pest gebracht, und nachher
war sie mit einen, feurigen Wagen durch die Nacht und über den Rhein gefahren.
Der Türmer hatte sie gesehen und war gleich hinterher vor Schreck gestorben.
Ja. solche Wesen waren eine Gefahr für jeden christlichen Ort, und wenn
Sebastians Herz auch nicht an Manen hing, so würde es ihm doch leid tun,
wenn die kleine Stadt Übles erleiden mußte. Einmal war der Teufel schon
über sie dahinzefahren und hatte ihren Kirchturm schief gedreht, daß er noch
immer nicht seine gerade Spitze hatte. Nun kam die zweite Anfechtung!

Stbastinn fuhr zusammen. Quiekte da nichts neben ihm? Wahrlich, da
huschte ein Mäuslein über den Estrich, und im selben Augenblick hing nur noch
ihr Schwanz aus dem Maule des Körers, der sie mit Behagen verspeiste.
Noch eine kam gelaufen, dann die zweite und dritte -- sie rochen die Wurst
im Schrank und hatten schon lange gehungert. Nun aber dienten sie dem
Grauhaarigen zur Speise, der großes Geschick im Fangen bekundete. Wahr¬
scheinlich waren diese Tiere seine einzige Nahrung in der Gefangenschaft
gewesen. Sebastian sah dem Hunde und seiner Jagd nicht ohne Vergnügen
zu. Mäuse gab es genug in seinem Haus, schon oft hatten sie ihn bei der
Arbeit gestört, und manchmal kamen auch die Ratten vom Stadtgraben und
zerbissen was sie fanden. Es waren böse Tiere mit glühenden Augen und
scharfen Zähnen, fast zum fürchten. Wenn der Graue auch mit ihnen fertig
werden konnte, dann war es Unfug ihn zu töten. Aber er war schmutzig, so


Die Hexe von Raym

ein Junge war, hatte er einen kleinen Dachshund, der ihm auf Tritt und
Schritt folgte. Den hatte er selbst gebürstet und sauber gehalten, und sein
Fell glänzte wie Samt. Ja, das war damals, als der Vater noch in Einzig
wohnte und er noch eine Mutter hatte. Dann war, nach dem großen Kriege,
die Pest gekommen, und nur er und seine Schwester Emmeline waren übrig
geblieben. Außer der Anwartschaft auf die Domherrenstelle war auch kein Gi'it
mehr dagewesen. Ein alter Oheim hatte ihn in Köln behalten und ihm nach
seinem Tode dies Häuschen in Muyen hinterlassen.

Sebastian rümpfte zuerst die Nase über dieses Erbteil: aber, wenn er es
nicht gehabt hätte, würde er doch wohl auf die Zuflucht bei seiner Schwester
angewiesen sein, während er jetzt noch immer ein wenig auf diesen kleinen
Besitz borgen konnte. Freilich, der Färber Lenharts war neulich schon wenig
freundlich gewesen, und daß er mit dem Jupp über ihn sprach, ging gegen den
Respekt: wo aber war dieser noch zu finden?

Sebastian saß in dem alten, mit Leder bezogenen Stuhl, in dem einst sein
Ohm gestorben war, und betrachtete den Haufen beschriebenen und unbeschriebenen
Papiers vor sich. Es war eine schöne Arbeit, die er vor hatte, und sie mußte
ihm Ehre bringen. Allerdings: hungrig durfte man nicht immer sein — dann
verwirrten sich die Gedanken, und wenn dann eine Hexe im Turm saß. dann
wurde das Nachdenken noch schwerer. Wahrlich: solche vom Bösen Geplagte
konnte eine ganze Stadt verderbe»! Es gab grausige Geschichte» von Hexen:
in Sinzig war eine gewesen, die hatte dorihin die Pest gebracht, und nachher
war sie mit einen, feurigen Wagen durch die Nacht und über den Rhein gefahren.
Der Türmer hatte sie gesehen und war gleich hinterher vor Schreck gestorben.
Ja. solche Wesen waren eine Gefahr für jeden christlichen Ort, und wenn
Sebastians Herz auch nicht an Manen hing, so würde es ihm doch leid tun,
wenn die kleine Stadt Übles erleiden mußte. Einmal war der Teufel schon
über sie dahinzefahren und hatte ihren Kirchturm schief gedreht, daß er noch
immer nicht seine gerade Spitze hatte. Nun kam die zweite Anfechtung!

Stbastinn fuhr zusammen. Quiekte da nichts neben ihm? Wahrlich, da
huschte ein Mäuslein über den Estrich, und im selben Augenblick hing nur noch
ihr Schwanz aus dem Maule des Körers, der sie mit Behagen verspeiste.
Noch eine kam gelaufen, dann die zweite und dritte — sie rochen die Wurst
im Schrank und hatten schon lange gehungert. Nun aber dienten sie dem
Grauhaarigen zur Speise, der großes Geschick im Fangen bekundete. Wahr¬
scheinlich waren diese Tiere seine einzige Nahrung in der Gefangenschaft
gewesen. Sebastian sah dem Hunde und seiner Jagd nicht ohne Vergnügen
zu. Mäuse gab es genug in seinem Haus, schon oft hatten sie ihn bei der
Arbeit gestört, und manchmal kamen auch die Ratten vom Stadtgraben und
zerbissen was sie fanden. Es waren böse Tiere mit glühenden Augen und
scharfen Zähnen, fast zum fürchten. Wenn der Graue auch mit ihnen fertig
werden konnte, dann war es Unfug ihn zu töten. Aber er war schmutzig, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/89>, abgerufen am 29.12.2024.