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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

deutsche a noch heute vielfach im Volksmuude als o oder u vorkomme, und
daß nicht bloß ein Breslauer Vokabularium das Wort "Hornoff" für einen
gebackenen Ring oder Kreppel des Jahres 1422 ergebe, sondern daß auch
analog der heutige "Maulaffe" sich früher als Mauloff, Mulop oder Meulop
finde, den nach dem Vorgange von Luther die Verfasser des Deutschen Wörter-
buches und andere ohne alles Bedenken zu einem Menschen stempeln, "dem das
Maul aufgesperrt (oder offen) steht."

Der Blick hatte dabei örtlich nur von Mitteldeutschland nach Süddeutsch¬
land und der Schweiz, zeitlich rückwärts nur bis in das Mittelalter gereicht.
Der Natur der Sache nach konnte eine solche Untersuchung, selbst wenn sie sich
auf die Länder deutscher Zunge beschränkte, nicht erschöpfend sein. Wer ver¬
möchte alle deutschen Chroniken, Wörterbücher, Urkunden, Sprachgebrauche, Ge-
schichtsvereinszeitschriften und sonstige etwa einschlagenden Quellen heranzuziehen?
Aber mancherlei dem gefundenen Resultate beistimmende Äußerungen, die zu¬
gleich ergänzendes Material enthielten, ließen doch ein Sprachwissenschaftliches
Interesse erkennen und regten zu weiterer Nachforschung an. In wundersamen
Ausläufern führte nunmehr baldigst der Weg über die deutsche Grenze hinaus
nach Frankreich, England, Rußland und in den Sagenkreis, wie in die ent¬
legensten Gebiete der Religions- und Profangeschichte verschiedenster Länder.
Nicht vorherzusehen war, daß der Hornaffe sogar Leistungen der Kunst beein¬
flußt hatte. Ebensowenig war vorherzusehen, daß das zu sehr verschiedenen
Zwecken geschaffene Geschwisterpaar des Horn- und des Maulaffen sich schließlich
zu einen: gemeinsamen Zwecke einte, dein es heute noch dient, nämlich dem
nicht gerade edlen Zwecke, in der einen wie der anderen Form als Scheltwort
ein und derselben Bedeutung sein Leben zu fristen und im Mohhorn einen voll-
bürtigen Genossen zu finden.

Ja, in der letzten Periode seiner Entwicklung, nachdem der Hornoff das
zweite o in seinen! Namen längst in das modernere a ungeschliffen hatte, ist
sogar diesem Beispiele, wie wir weiter ersehen werden, das erste o gefolgt:
zunächst entstand aus dem Hornoff oder Horoff ein "Haraff", in weiterer
Vervollkommnung sogar ein "Haaraff", damit der Hornoff möglichst seiner
Verdunkelung anheimfiel. Nichtsdestoweniger ließ auch aus diesem Haaraff
sich der Hornoff zurückenträtseln und darin ein handgreiflicher, gewiß nicht
gleichgültiger Rest altgsrmanischer Vergangenheit feststellen. Es werden sich
nicht viel solcher Reste als in der Gegenwart noch lebenskräftig nachweisen
lassen. Nur mit Hilfe kühner sprachlicher Metamorphose" sind sie erhalten
geblieben.

In Berliner Privatbesitz befindet sich der 25 Zentimeter hohe Gnpsabguß
eines Gebildes, das einen aufrechtstehenden, nach vorn gebeugten Affen mit
häßlichem Menschenantlitz darstellt. Seine vorderen Extremitäten halten einen
Frosch gefaßt und stützen sich auf eine Mauerecke; die Hinteren Extremitäten
fehlen, weil sie in der Mauer verschwinden. Mitten auf dem kahlen Schädel


Lin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

deutsche a noch heute vielfach im Volksmuude als o oder u vorkomme, und
daß nicht bloß ein Breslauer Vokabularium das Wort „Hornoff" für einen
gebackenen Ring oder Kreppel des Jahres 1422 ergebe, sondern daß auch
analog der heutige „Maulaffe" sich früher als Mauloff, Mulop oder Meulop
finde, den nach dem Vorgange von Luther die Verfasser des Deutschen Wörter-
buches und andere ohne alles Bedenken zu einem Menschen stempeln, „dem das
Maul aufgesperrt (oder offen) steht."

Der Blick hatte dabei örtlich nur von Mitteldeutschland nach Süddeutsch¬
land und der Schweiz, zeitlich rückwärts nur bis in das Mittelalter gereicht.
Der Natur der Sache nach konnte eine solche Untersuchung, selbst wenn sie sich
auf die Länder deutscher Zunge beschränkte, nicht erschöpfend sein. Wer ver¬
möchte alle deutschen Chroniken, Wörterbücher, Urkunden, Sprachgebrauche, Ge-
schichtsvereinszeitschriften und sonstige etwa einschlagenden Quellen heranzuziehen?
Aber mancherlei dem gefundenen Resultate beistimmende Äußerungen, die zu¬
gleich ergänzendes Material enthielten, ließen doch ein Sprachwissenschaftliches
Interesse erkennen und regten zu weiterer Nachforschung an. In wundersamen
Ausläufern führte nunmehr baldigst der Weg über die deutsche Grenze hinaus
nach Frankreich, England, Rußland und in den Sagenkreis, wie in die ent¬
legensten Gebiete der Religions- und Profangeschichte verschiedenster Länder.
Nicht vorherzusehen war, daß der Hornaffe sogar Leistungen der Kunst beein¬
flußt hatte. Ebensowenig war vorherzusehen, daß das zu sehr verschiedenen
Zwecken geschaffene Geschwisterpaar des Horn- und des Maulaffen sich schließlich
zu einen: gemeinsamen Zwecke einte, dein es heute noch dient, nämlich dem
nicht gerade edlen Zwecke, in der einen wie der anderen Form als Scheltwort
ein und derselben Bedeutung sein Leben zu fristen und im Mohhorn einen voll-
bürtigen Genossen zu finden.

Ja, in der letzten Periode seiner Entwicklung, nachdem der Hornoff das
zweite o in seinen! Namen längst in das modernere a ungeschliffen hatte, ist
sogar diesem Beispiele, wie wir weiter ersehen werden, das erste o gefolgt:
zunächst entstand aus dem Hornoff oder Horoff ein „Haraff", in weiterer
Vervollkommnung sogar ein „Haaraff", damit der Hornoff möglichst seiner
Verdunkelung anheimfiel. Nichtsdestoweniger ließ auch aus diesem Haaraff
sich der Hornoff zurückenträtseln und darin ein handgreiflicher, gewiß nicht
gleichgültiger Rest altgsrmanischer Vergangenheit feststellen. Es werden sich
nicht viel solcher Reste als in der Gegenwart noch lebenskräftig nachweisen
lassen. Nur mit Hilfe kühner sprachlicher Metamorphose» sind sie erhalten
geblieben.

In Berliner Privatbesitz befindet sich der 25 Zentimeter hohe Gnpsabguß
eines Gebildes, das einen aufrechtstehenden, nach vorn gebeugten Affen mit
häßlichem Menschenantlitz darstellt. Seine vorderen Extremitäten halten einen
Frosch gefaßt und stützen sich auf eine Mauerecke; die Hinteren Extremitäten
fehlen, weil sie in der Mauer verschwinden. Mitten auf dem kahlen Schädel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/69>, abgerufen am 29.12.2024.