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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nachrichten, alle Interessen des Tages zu
verfolgen und Diskussionen und Polemiken,
sowie eine scharfe Parteischattierung möglichst
zu meiden. Auf Petit Journal folgte Petit
Parisien. Petit Journal und Petit Parisien
haben bis 1900 mit Auflagen von je über
einer halben Million den Markt beherrscht.
Sie boten dem Handwerker, dein Arbeiter
und der bäuerlichen Bevölkerung, was sie
haben wollten. Der Ermordung einer Milch¬
frau wurde als Sensationsnachricht fast ein
höherer Wert beigelegt als einer ausländischen
Thronrede. Vor allem wurde der Verkauf
und die Expedition dieser Blätter wunderbar
organisiert. Auch heute gibt eS kaum ein ein¬
ziges Dorf in Frankreich, wo diese beiden
Blätter nicht jeden Tag morgens für einen
Sou zu haben sind. In dieser Beziehung
dürften Petit Journal und Petit Parisien
auch noch jetzt in Frankreich unerreicht da¬
stehen.

Über den sonstigen Konkurrenzkampf in
der Pariser Presse, namentlich seit den 1880 er
Jahren bis zur Gegenwart sei bemerkt, daß
1883 das Echo de Paris als 2-Sou-Blatt
die Zeitung Gil Blas als literarisches Blatt
ausgestochen hat. Gil Blas wurde dann 1892
wieder durch das Journal als 1-Sou-
Blatt überholt. Das Vorgehen von Gil Blas
zwang wiederum das Echo de Paris, seinen
Preis herabzusetzen und sich zu einem großen
Nachrichtenorgan zu entwickeln, das heute den
Ruf bester Zuverlässigkeit für heimische und
ausländische, besonders Politische Nachrichten
genießt.

Temps und Figaro müssen heute in eine
ganz andere Kategorie von Organen ein¬
geordnet werden als das Echo de Paris usw.,
denn sie haben bis heute ihre alten Preise bei¬
behalten und es verstanden, ihre alten Leser
trotz aller Veränderungen im Pariser Zeitungs¬
wesen zu fesseln. Im Gegensatz zu der weit
verbreiteten irrtümlichen Auffassung, daß die
Auflagehöhe allein für den Erfolg im Jnserat-
geschäft entscheidend ist, haben Temps und
Figaro trotz ihrer beschränkten Zahl von Ab¬
nehmern den Ruf, daß sie eifrig als Jnser-
tionsorgane benutzt werden und daher auch
ihre Preise für die Inserate selbst bestimmen
können. -- Der Matin, der 1881 im Auftrage
einer amerikanischen Finanzgruppe von dem

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am 10. März 1914 verstorbenen Albert
Edwards gegründet wurde und der bis zum
Jahre 1898 eigentlich nur vegetiert hat, wurde
in diesem Jahre von M. de Poidatz aufgekauft.
Poidatz war ein Anhänger des unpersönlichen
Journalismus. Einen geschäftlichen Hauptschlag
tat er, als er mit der Londoner "Times" einen
Vertrag abschloß, wonach er gegen Zahlung
von etwa 120 000 Mark jährlich die Londoner
Nachrichten täglich durch Spezialdrahtmel-
dungen erhielt. Gleichzeitig ermäßigte er den
Preis des Matin auf 1 Sou, erweiterte
den Umfang auf sechs Seilen und bot auch
sonst alles auf, um geschäftlich voranzukommen.
Bis 1898 hatte nur das 3 - Sou - Blatt
Figaro sechs Seiten Umfang, jedoch folgten,
als der Maler seinen Textteil vergrößerte,
auch sofort die übrigen führenden Pariser
Blätter.

Der leitende, geschäftliche Gesichtspunkt
beim Matin, und dies kann für den mo¬
dernen französischen Journalismus überhaupt
gesagt werden, ist: "Der Wert einer Zeitung
hängt in erster Linie ab von Nachrichten, Nach¬
richten und nochmals Nachrichten." Das Geld,
das hierfür ausgegeben wird, kommt auf alle
Fälle wieder herein. Der Reporter ist der
wichtigste Mann, in der Zeitungsredaktion.
Er muß rührig, unermüdlich und findig sein.
Wenn er einen Stil hat und schreiben kann,
so ist das um so besser. Der Matin ist nach
dem Auflauf durch Poidatz bald auf acht
Seiten Text gewachsen, und oft kommt er
sogar mit zwölf Seilen heraus. Er bietet
also heute zwei- bis dreimal soviel Text und
Papier als früher, ohne daß er den Preis
heraufgesetzt hat. Über das Wachstum der
Auflage des bekanntermaßen äußerst deutsch¬
feindlichen Matin weiß Latzarus zu berichten,
daß er 1389 eine Auflage von 73 000 hatte.
Im Jahre 1911 stieg die Auflage auf 816300
und im Jahre 1913 überschritt sie bereits eine
Million. Petit Parisien, Journal, Matin
und Petit Journal zusammen haben eine Auf¬
lage von 41/2 Millionen. Die beiden ersten
haben allein 3 Millionen Auflage zusammen,
wobei die größere Hälfte auf Petit Parisien
entfällt.

Gegenwärtig erscheinen in Paris sechsund-
sechzig politische Tageszeitungen, wobei das
Journal officiel nicht eingerechnet ist. Ferne

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nachrichten, alle Interessen des Tages zu
verfolgen und Diskussionen und Polemiken,
sowie eine scharfe Parteischattierung möglichst
zu meiden. Auf Petit Journal folgte Petit
Parisien. Petit Journal und Petit Parisien
haben bis 1900 mit Auflagen von je über
einer halben Million den Markt beherrscht.
Sie boten dem Handwerker, dein Arbeiter
und der bäuerlichen Bevölkerung, was sie
haben wollten. Der Ermordung einer Milch¬
frau wurde als Sensationsnachricht fast ein
höherer Wert beigelegt als einer ausländischen
Thronrede. Vor allem wurde der Verkauf
und die Expedition dieser Blätter wunderbar
organisiert. Auch heute gibt eS kaum ein ein¬
ziges Dorf in Frankreich, wo diese beiden
Blätter nicht jeden Tag morgens für einen
Sou zu haben sind. In dieser Beziehung
dürften Petit Journal und Petit Parisien
auch noch jetzt in Frankreich unerreicht da¬
stehen.

Über den sonstigen Konkurrenzkampf in
der Pariser Presse, namentlich seit den 1880 er
Jahren bis zur Gegenwart sei bemerkt, daß
1883 das Echo de Paris als 2-Sou-Blatt
die Zeitung Gil Blas als literarisches Blatt
ausgestochen hat. Gil Blas wurde dann 1892
wieder durch das Journal als 1-Sou-
Blatt überholt. Das Vorgehen von Gil Blas
zwang wiederum das Echo de Paris, seinen
Preis herabzusetzen und sich zu einem großen
Nachrichtenorgan zu entwickeln, das heute den
Ruf bester Zuverlässigkeit für heimische und
ausländische, besonders Politische Nachrichten
genießt.

Temps und Figaro müssen heute in eine
ganz andere Kategorie von Organen ein¬
geordnet werden als das Echo de Paris usw.,
denn sie haben bis heute ihre alten Preise bei¬
behalten und es verstanden, ihre alten Leser
trotz aller Veränderungen im Pariser Zeitungs¬
wesen zu fesseln. Im Gegensatz zu der weit
verbreiteten irrtümlichen Auffassung, daß die
Auflagehöhe allein für den Erfolg im Jnserat-
geschäft entscheidend ist, haben Temps und
Figaro trotz ihrer beschränkten Zahl von Ab¬
nehmern den Ruf, daß sie eifrig als Jnser-
tionsorgane benutzt werden und daher auch
ihre Preise für die Inserate selbst bestimmen
können. — Der Matin, der 1881 im Auftrage
einer amerikanischen Finanzgruppe von dem

[Spaltenumbruch]

am 10. März 1914 verstorbenen Albert
Edwards gegründet wurde und der bis zum
Jahre 1898 eigentlich nur vegetiert hat, wurde
in diesem Jahre von M. de Poidatz aufgekauft.
Poidatz war ein Anhänger des unpersönlichen
Journalismus. Einen geschäftlichen Hauptschlag
tat er, als er mit der Londoner „Times" einen
Vertrag abschloß, wonach er gegen Zahlung
von etwa 120 000 Mark jährlich die Londoner
Nachrichten täglich durch Spezialdrahtmel-
dungen erhielt. Gleichzeitig ermäßigte er den
Preis des Matin auf 1 Sou, erweiterte
den Umfang auf sechs Seilen und bot auch
sonst alles auf, um geschäftlich voranzukommen.
Bis 1898 hatte nur das 3 - Sou - Blatt
Figaro sechs Seiten Umfang, jedoch folgten,
als der Maler seinen Textteil vergrößerte,
auch sofort die übrigen führenden Pariser
Blätter.

Der leitende, geschäftliche Gesichtspunkt
beim Matin, und dies kann für den mo¬
dernen französischen Journalismus überhaupt
gesagt werden, ist: „Der Wert einer Zeitung
hängt in erster Linie ab von Nachrichten, Nach¬
richten und nochmals Nachrichten." Das Geld,
das hierfür ausgegeben wird, kommt auf alle
Fälle wieder herein. Der Reporter ist der
wichtigste Mann, in der Zeitungsredaktion.
Er muß rührig, unermüdlich und findig sein.
Wenn er einen Stil hat und schreiben kann,
so ist das um so besser. Der Matin ist nach
dem Auflauf durch Poidatz bald auf acht
Seiten Text gewachsen, und oft kommt er
sogar mit zwölf Seilen heraus. Er bietet
also heute zwei- bis dreimal soviel Text und
Papier als früher, ohne daß er den Preis
heraufgesetzt hat. Über das Wachstum der
Auflage des bekanntermaßen äußerst deutsch¬
feindlichen Matin weiß Latzarus zu berichten,
daß er 1389 eine Auflage von 73 000 hatte.
Im Jahre 1911 stieg die Auflage auf 816300
und im Jahre 1913 überschritt sie bereits eine
Million. Petit Parisien, Journal, Matin
und Petit Journal zusammen haben eine Auf¬
lage von 41/2 Millionen. Die beiden ersten
haben allein 3 Millionen Auflage zusammen,
wobei die größere Hälfte auf Petit Parisien
entfällt.

Gegenwärtig erscheinen in Paris sechsund-
sechzig politische Tageszeitungen, wobei das
Journal officiel nicht eingerechnet ist. Ferne

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[0620] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nachrichten, alle Interessen des Tages zu verfolgen und Diskussionen und Polemiken, sowie eine scharfe Parteischattierung möglichst zu meiden. Auf Petit Journal folgte Petit Parisien. Petit Journal und Petit Parisien haben bis 1900 mit Auflagen von je über einer halben Million den Markt beherrscht. Sie boten dem Handwerker, dein Arbeiter und der bäuerlichen Bevölkerung, was sie haben wollten. Der Ermordung einer Milch¬ frau wurde als Sensationsnachricht fast ein höherer Wert beigelegt als einer ausländischen Thronrede. Vor allem wurde der Verkauf und die Expedition dieser Blätter wunderbar organisiert. Auch heute gibt eS kaum ein ein¬ ziges Dorf in Frankreich, wo diese beiden Blätter nicht jeden Tag morgens für einen Sou zu haben sind. In dieser Beziehung dürften Petit Journal und Petit Parisien auch noch jetzt in Frankreich unerreicht da¬ stehen. Über den sonstigen Konkurrenzkampf in der Pariser Presse, namentlich seit den 1880 er Jahren bis zur Gegenwart sei bemerkt, daß 1883 das Echo de Paris als 2-Sou-Blatt die Zeitung Gil Blas als literarisches Blatt ausgestochen hat. Gil Blas wurde dann 1892 wieder durch das Journal als 1-Sou- Blatt überholt. Das Vorgehen von Gil Blas zwang wiederum das Echo de Paris, seinen Preis herabzusetzen und sich zu einem großen Nachrichtenorgan zu entwickeln, das heute den Ruf bester Zuverlässigkeit für heimische und ausländische, besonders Politische Nachrichten genießt. Temps und Figaro müssen heute in eine ganz andere Kategorie von Organen ein¬ geordnet werden als das Echo de Paris usw., denn sie haben bis heute ihre alten Preise bei¬ behalten und es verstanden, ihre alten Leser trotz aller Veränderungen im Pariser Zeitungs¬ wesen zu fesseln. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten irrtümlichen Auffassung, daß die Auflagehöhe allein für den Erfolg im Jnserat- geschäft entscheidend ist, haben Temps und Figaro trotz ihrer beschränkten Zahl von Ab¬ nehmern den Ruf, daß sie eifrig als Jnser- tionsorgane benutzt werden und daher auch ihre Preise für die Inserate selbst bestimmen können. — Der Matin, der 1881 im Auftrage einer amerikanischen Finanzgruppe von dem am 10. März 1914 verstorbenen Albert Edwards gegründet wurde und der bis zum Jahre 1898 eigentlich nur vegetiert hat, wurde in diesem Jahre von M. de Poidatz aufgekauft. Poidatz war ein Anhänger des unpersönlichen Journalismus. Einen geschäftlichen Hauptschlag tat er, als er mit der Londoner „Times" einen Vertrag abschloß, wonach er gegen Zahlung von etwa 120 000 Mark jährlich die Londoner Nachrichten täglich durch Spezialdrahtmel- dungen erhielt. Gleichzeitig ermäßigte er den Preis des Matin auf 1 Sou, erweiterte den Umfang auf sechs Seilen und bot auch sonst alles auf, um geschäftlich voranzukommen. Bis 1898 hatte nur das 3 - Sou - Blatt Figaro sechs Seiten Umfang, jedoch folgten, als der Maler seinen Textteil vergrößerte, auch sofort die übrigen führenden Pariser Blätter. Der leitende, geschäftliche Gesichtspunkt beim Matin, und dies kann für den mo¬ dernen französischen Journalismus überhaupt gesagt werden, ist: „Der Wert einer Zeitung hängt in erster Linie ab von Nachrichten, Nach¬ richten und nochmals Nachrichten." Das Geld, das hierfür ausgegeben wird, kommt auf alle Fälle wieder herein. Der Reporter ist der wichtigste Mann, in der Zeitungsredaktion. Er muß rührig, unermüdlich und findig sein. Wenn er einen Stil hat und schreiben kann, so ist das um so besser. Der Matin ist nach dem Auflauf durch Poidatz bald auf acht Seiten Text gewachsen, und oft kommt er sogar mit zwölf Seilen heraus. Er bietet also heute zwei- bis dreimal soviel Text und Papier als früher, ohne daß er den Preis heraufgesetzt hat. Über das Wachstum der Auflage des bekanntermaßen äußerst deutsch¬ feindlichen Matin weiß Latzarus zu berichten, daß er 1389 eine Auflage von 73 000 hatte. Im Jahre 1911 stieg die Auflage auf 816300 und im Jahre 1913 überschritt sie bereits eine Million. Petit Parisien, Journal, Matin und Petit Journal zusammen haben eine Auf¬ lage von 41/2 Millionen. Die beiden ersten haben allein 3 Millionen Auflage zusammen, wobei die größere Hälfte auf Petit Parisien entfällt. Gegenwärtig erscheinen in Paris sechsund- sechzig politische Tageszeitungen, wobei das Journal officiel nicht eingerechnet ist. Ferne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/620>, abgerufen am 29.12.2024.