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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von ZNaycn

Mayener neugierig umherstanden, halb andächtig wurden und halb empört.
Einige nahmen sich vor, nach dem Abzug der Braunschweiger ihre Toten auf
den Schindanger zu werfen: sie haben es später aber doch nicht getan. Vielleicht
weil sie doch christlicher dachten als sie selbst meinten, vielleicht aber auch des¬
wegen, weil die böse Zeit für sie noch lange nicht ihr Ende erreicht hatte und
sie später bitterlich gern die Braunschweiger hier gehabt hätten, als die Fran¬
zosen mit vermehrter Zahl wiederkehrten und kein deutsches Heer Wider¬
stand entgegensetzte.

In Laach und Niedermendig lagen Verwundete und Heilwig mußte pflegen
und verbinden helfen. In dem großen Steinhaus der Frau von Bremer hatte
eine Reihe von Verwundeten Aufnahme gefunden, auch in den Nachbarhöfen,
und der Feldscher allein konnte nicht alle versorgen. Der Junker Franz Taver
von Bremer hatte eine Kugel im Bein, die ihm herausgeschnitten wurde; eine
Operation, die ihn heftig auf die Franzosen fluchen ließ.

Nachher aber wurde er wieder wohlgemut, half, wo es zu helfen
gab, und wollte sich dem Herzog Hans Adolf für seine kleine Schar zur Ver¬
fügung stellen. Dies aber gab seine Mutter nicht zu.

"Er soll Hierbleiben und die Steinbrüche arbeiten lassen!" sagte sie zu
Heilwig. "Was soll aus der Welt werden, wenn es nur Krieg gibt, Tote und
Verwundete?"

Sie streichelte ihren roten Kater, der sich an ihren Knien rieb, und eilte
mit ihrem großen Schlüsselbunde weiter, um hier Wein, dort Brot auszugeben
und überall nach dem Rechten zu sehen. Von ihr sah Heilwig nicht viel, und
sie entbehrte doch eine Frau, mit der sie sich aussprechen konnte. Ihr Vater
war kühl gegen sie, von den holsteinischen Junkern hörte sie nichts, und als
einmal der Abt gekommen war, um nach den Verwundeten zu sehen, war er
wohl freundlich, aber doch zurückhaltend.

Da war es denn gut, daß eines Tages Josias von Sehestedt erschien, um
sich nach ihr umzusehen. Er hatte zwei Fähnlein Reiter nach Andernach zurück¬
gebracht, um sie durch andere zu ersetzen. Die Stadt Mayen wurde noch besetzt
gehalten und Laach gleichfalls: es war aber anzunehmen, daß sich die Franzosen
vorläufig nicht wieder an den Rhein wagen würden. Sie hatten größere Ver¬
luste erlitten, als sie zugeben wollten, und mußten erst wieder neue Truppen
haben. Der Krieg in Süddeutschland ging immer noch seinen Gang. Wohin
die Franzosen kamen, stiegen die Rauchsäulen gen Himmel und die Einwohner
wurden getötet oder verjagt; es war keine Zeit für Jungfrauen, in der Nähe
zu bleiben, wo vielleicht doch die Kriegsfurie wieder ihre Fackel schwingen konnte.

Josias sprach eifriger, als es sonst seine Art war. Er saß neben Heilwig
in dem Gärtchen der Frau von Bremer, in dem einige Rosen blühten. Der
Hollunder bog seine weißen Blüten über die hohe Mauer, die das Gärtchen
von der Straße trennte, Löwenmaul und Rittersporn standen reglos in der
Sonne. Es war ein heißer Tag. im Dunst lagen die Laacher Berge und vom


Die Hexe von ZNaycn

Mayener neugierig umherstanden, halb andächtig wurden und halb empört.
Einige nahmen sich vor, nach dem Abzug der Braunschweiger ihre Toten auf
den Schindanger zu werfen: sie haben es später aber doch nicht getan. Vielleicht
weil sie doch christlicher dachten als sie selbst meinten, vielleicht aber auch des¬
wegen, weil die böse Zeit für sie noch lange nicht ihr Ende erreicht hatte und
sie später bitterlich gern die Braunschweiger hier gehabt hätten, als die Fran¬
zosen mit vermehrter Zahl wiederkehrten und kein deutsches Heer Wider¬
stand entgegensetzte.

In Laach und Niedermendig lagen Verwundete und Heilwig mußte pflegen
und verbinden helfen. In dem großen Steinhaus der Frau von Bremer hatte
eine Reihe von Verwundeten Aufnahme gefunden, auch in den Nachbarhöfen,
und der Feldscher allein konnte nicht alle versorgen. Der Junker Franz Taver
von Bremer hatte eine Kugel im Bein, die ihm herausgeschnitten wurde; eine
Operation, die ihn heftig auf die Franzosen fluchen ließ.

Nachher aber wurde er wieder wohlgemut, half, wo es zu helfen
gab, und wollte sich dem Herzog Hans Adolf für seine kleine Schar zur Ver¬
fügung stellen. Dies aber gab seine Mutter nicht zu.

„Er soll Hierbleiben und die Steinbrüche arbeiten lassen!" sagte sie zu
Heilwig. „Was soll aus der Welt werden, wenn es nur Krieg gibt, Tote und
Verwundete?"

Sie streichelte ihren roten Kater, der sich an ihren Knien rieb, und eilte
mit ihrem großen Schlüsselbunde weiter, um hier Wein, dort Brot auszugeben
und überall nach dem Rechten zu sehen. Von ihr sah Heilwig nicht viel, und
sie entbehrte doch eine Frau, mit der sie sich aussprechen konnte. Ihr Vater
war kühl gegen sie, von den holsteinischen Junkern hörte sie nichts, und als
einmal der Abt gekommen war, um nach den Verwundeten zu sehen, war er
wohl freundlich, aber doch zurückhaltend.

Da war es denn gut, daß eines Tages Josias von Sehestedt erschien, um
sich nach ihr umzusehen. Er hatte zwei Fähnlein Reiter nach Andernach zurück¬
gebracht, um sie durch andere zu ersetzen. Die Stadt Mayen wurde noch besetzt
gehalten und Laach gleichfalls: es war aber anzunehmen, daß sich die Franzosen
vorläufig nicht wieder an den Rhein wagen würden. Sie hatten größere Ver¬
luste erlitten, als sie zugeben wollten, und mußten erst wieder neue Truppen
haben. Der Krieg in Süddeutschland ging immer noch seinen Gang. Wohin
die Franzosen kamen, stiegen die Rauchsäulen gen Himmel und die Einwohner
wurden getötet oder verjagt; es war keine Zeit für Jungfrauen, in der Nähe
zu bleiben, wo vielleicht doch die Kriegsfurie wieder ihre Fackel schwingen konnte.

Josias sprach eifriger, als es sonst seine Art war. Er saß neben Heilwig
in dem Gärtchen der Frau von Bremer, in dem einige Rosen blühten. Der
Hollunder bog seine weißen Blüten über die hohe Mauer, die das Gärtchen
von der Straße trennte, Löwenmaul und Rittersporn standen reglos in der
Sonne. Es war ein heißer Tag. im Dunst lagen die Laacher Berge und vom


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[0608] Die Hexe von ZNaycn Mayener neugierig umherstanden, halb andächtig wurden und halb empört. Einige nahmen sich vor, nach dem Abzug der Braunschweiger ihre Toten auf den Schindanger zu werfen: sie haben es später aber doch nicht getan. Vielleicht weil sie doch christlicher dachten als sie selbst meinten, vielleicht aber auch des¬ wegen, weil die böse Zeit für sie noch lange nicht ihr Ende erreicht hatte und sie später bitterlich gern die Braunschweiger hier gehabt hätten, als die Fran¬ zosen mit vermehrter Zahl wiederkehrten und kein deutsches Heer Wider¬ stand entgegensetzte. In Laach und Niedermendig lagen Verwundete und Heilwig mußte pflegen und verbinden helfen. In dem großen Steinhaus der Frau von Bremer hatte eine Reihe von Verwundeten Aufnahme gefunden, auch in den Nachbarhöfen, und der Feldscher allein konnte nicht alle versorgen. Der Junker Franz Taver von Bremer hatte eine Kugel im Bein, die ihm herausgeschnitten wurde; eine Operation, die ihn heftig auf die Franzosen fluchen ließ. Nachher aber wurde er wieder wohlgemut, half, wo es zu helfen gab, und wollte sich dem Herzog Hans Adolf für seine kleine Schar zur Ver¬ fügung stellen. Dies aber gab seine Mutter nicht zu. „Er soll Hierbleiben und die Steinbrüche arbeiten lassen!" sagte sie zu Heilwig. „Was soll aus der Welt werden, wenn es nur Krieg gibt, Tote und Verwundete?" Sie streichelte ihren roten Kater, der sich an ihren Knien rieb, und eilte mit ihrem großen Schlüsselbunde weiter, um hier Wein, dort Brot auszugeben und überall nach dem Rechten zu sehen. Von ihr sah Heilwig nicht viel, und sie entbehrte doch eine Frau, mit der sie sich aussprechen konnte. Ihr Vater war kühl gegen sie, von den holsteinischen Junkern hörte sie nichts, und als einmal der Abt gekommen war, um nach den Verwundeten zu sehen, war er wohl freundlich, aber doch zurückhaltend. Da war es denn gut, daß eines Tages Josias von Sehestedt erschien, um sich nach ihr umzusehen. Er hatte zwei Fähnlein Reiter nach Andernach zurück¬ gebracht, um sie durch andere zu ersetzen. Die Stadt Mayen wurde noch besetzt gehalten und Laach gleichfalls: es war aber anzunehmen, daß sich die Franzosen vorläufig nicht wieder an den Rhein wagen würden. Sie hatten größere Ver¬ luste erlitten, als sie zugeben wollten, und mußten erst wieder neue Truppen haben. Der Krieg in Süddeutschland ging immer noch seinen Gang. Wohin die Franzosen kamen, stiegen die Rauchsäulen gen Himmel und die Einwohner wurden getötet oder verjagt; es war keine Zeit für Jungfrauen, in der Nähe zu bleiben, wo vielleicht doch die Kriegsfurie wieder ihre Fackel schwingen konnte. Josias sprach eifriger, als es sonst seine Art war. Er saß neben Heilwig in dem Gärtchen der Frau von Bremer, in dem einige Rosen blühten. Der Hollunder bog seine weißen Blüten über die hohe Mauer, die das Gärtchen von der Straße trennte, Löwenmaul und Rittersporn standen reglos in der Sonne. Es war ein heißer Tag. im Dunst lagen die Laacher Berge und vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/608>, abgerufen am 29.12.2024.