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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Britische Heeresprobleme

ist, wie er sagt, vielleicht die Teilnahme an einem solchen für England doch
das einzige Mittel, um die Existenz des Reiches sicherzustellen. Die Territorial¬
armee, der dann neben der Flotte allein die Verteidigung gegen eine Invasion
zufalle, ist aber in seinen Augen ein "kriegsunbrauchbares Kinderspielzeug" und
daher nicht in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Nur die allgemeine Wehr¬
pflicht könne diesem Übelstand abhelfen.

Der ganze Streit der Meinungen dreht sich also schließlich nur um die
eine Frage, ob im Kriegsfalle eine Landung starker feindlicher Kräfte an der
englischen Küste möglich sei oder nicht.

General Hamilton hat daher dem genannten Buche eine Denkschrift einer
Autorität auf den: Gebiete des Seewesens, des Admirals Wilson, hinzugefügt,
die ursprünglich als Unterlage für die Beratungen im Oberhaus über diese
Frage dienen sollte, und die in überzeugender Weise die Unmöglichkeit von
großen feindlichen Truppenlandungen dartut.

Wilsons Ausführungen waren den Vertretern der allgemeinen Wehrpflicht
und auch denjenigen Kreisen, die gegen Deutschland zu Hetzen pflegen, ebenso
unangenehm, wie die kürzlichen Erklärungen des Ministerpräsidenten.

Admiral Wilson geht von dem Grundsatz aus, daß der Hauptschutz Eng¬
lands in der Überlegenheit seiner Flotte, die auf alle Fälle erhalten bleiben
muß, liegt. Solange die englische Flotte die Vorherrschaft zur See besitzt, ist
es undenkbar, daß sich eine feindliche Transportflotte den englischen Küsten
nähern kann, da die Funkentelegraphie eine Zusammenziehung der nötigen
Anzahl von Kriegsschiffen nach der gefährdeten Stelle gestatte und somit auf die
Dauer eine Überraschung, von der Lord Roberts mit Vorliebe spricht, nicht möglich ist.

Lord Roberts hat ja 1908 im Oberhause sich offen darüber ausgesprochen,
daß ein überraschender Überfall von deutscher Seite durchaus im Bereich der
Möglichkeit liege. Er ging damals von der Ansicht aus, daß Deutschland in
der Umgebung der Nordseehäfen unauffällig in kurzer Zeit eine Armee von
zweihunderttausend Mann zusammenbringen und mit Hilfe der vorhandenen
zahlreichen Transportschiffe rasch verladen könne. Die Mobilmachung dieser
Armee denkt er sich so wie die unserer westlichen Nachbarn im Jahre 1370,
d. h., indem die Ankunft der Reserven nicht abgewartet wird, die einzelnen
Truppenteile also immobil ausrücken.

Es ist damals in der Tages- und Fachpresse zur Genüge erörtert worden,
wie unsinnig es seitens der deutschen Heeresleitung sein würde, die hierzu
nötigen acht Armeekorps in ein solches Abenteuer zu stürzen, wo bei dem Ent¬
scheidungskampf auf dem Festlande jeder Mann gebraucht wird. Ganz ab¬
gesehen aber von dem strategischen Fehler, den eine solche Verwendung eines
großen Teiles unseres Heeres in sich bergen würde, erscheint es auch bei der
Entwicklung unserer modernen Nachrichtenmittel unmöglich, die Geheimhaltung
der genannten Truppenversammlungen durchzuführen. Schließlich fehlt aber für
ein Gelingen der Landung auf englischem Boden die Hauptvoraussetzung,


Britische Heeresprobleme

ist, wie er sagt, vielleicht die Teilnahme an einem solchen für England doch
das einzige Mittel, um die Existenz des Reiches sicherzustellen. Die Territorial¬
armee, der dann neben der Flotte allein die Verteidigung gegen eine Invasion
zufalle, ist aber in seinen Augen ein „kriegsunbrauchbares Kinderspielzeug" und
daher nicht in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen. Nur die allgemeine Wehr¬
pflicht könne diesem Übelstand abhelfen.

Der ganze Streit der Meinungen dreht sich also schließlich nur um die
eine Frage, ob im Kriegsfalle eine Landung starker feindlicher Kräfte an der
englischen Küste möglich sei oder nicht.

General Hamilton hat daher dem genannten Buche eine Denkschrift einer
Autorität auf den: Gebiete des Seewesens, des Admirals Wilson, hinzugefügt,
die ursprünglich als Unterlage für die Beratungen im Oberhaus über diese
Frage dienen sollte, und die in überzeugender Weise die Unmöglichkeit von
großen feindlichen Truppenlandungen dartut.

Wilsons Ausführungen waren den Vertretern der allgemeinen Wehrpflicht
und auch denjenigen Kreisen, die gegen Deutschland zu Hetzen pflegen, ebenso
unangenehm, wie die kürzlichen Erklärungen des Ministerpräsidenten.

Admiral Wilson geht von dem Grundsatz aus, daß der Hauptschutz Eng¬
lands in der Überlegenheit seiner Flotte, die auf alle Fälle erhalten bleiben
muß, liegt. Solange die englische Flotte die Vorherrschaft zur See besitzt, ist
es undenkbar, daß sich eine feindliche Transportflotte den englischen Küsten
nähern kann, da die Funkentelegraphie eine Zusammenziehung der nötigen
Anzahl von Kriegsschiffen nach der gefährdeten Stelle gestatte und somit auf die
Dauer eine Überraschung, von der Lord Roberts mit Vorliebe spricht, nicht möglich ist.

Lord Roberts hat ja 1908 im Oberhause sich offen darüber ausgesprochen,
daß ein überraschender Überfall von deutscher Seite durchaus im Bereich der
Möglichkeit liege. Er ging damals von der Ansicht aus, daß Deutschland in
der Umgebung der Nordseehäfen unauffällig in kurzer Zeit eine Armee von
zweihunderttausend Mann zusammenbringen und mit Hilfe der vorhandenen
zahlreichen Transportschiffe rasch verladen könne. Die Mobilmachung dieser
Armee denkt er sich so wie die unserer westlichen Nachbarn im Jahre 1370,
d. h., indem die Ankunft der Reserven nicht abgewartet wird, die einzelnen
Truppenteile also immobil ausrücken.

Es ist damals in der Tages- und Fachpresse zur Genüge erörtert worden,
wie unsinnig es seitens der deutschen Heeresleitung sein würde, die hierzu
nötigen acht Armeekorps in ein solches Abenteuer zu stürzen, wo bei dem Ent¬
scheidungskampf auf dem Festlande jeder Mann gebraucht wird. Ganz ab¬
gesehen aber von dem strategischen Fehler, den eine solche Verwendung eines
großen Teiles unseres Heeres in sich bergen würde, erscheint es auch bei der
Entwicklung unserer modernen Nachrichtenmittel unmöglich, die Geheimhaltung
der genannten Truppenversammlungen durchzuführen. Schließlich fehlt aber für
ein Gelingen der Landung auf englischem Boden die Hauptvoraussetzung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/590>, abgerufen am 04.01.2025.