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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Bismarck und Prokesch-Gsten

äußerste Grenze des für die Beleuchtung der politischen Verhältnisse not¬
wendigen.

Manch einer dürfte füglich Anstoß daran nehmen, was z. B. Wendungen
wie diese (Poschinger IV, 234): "Mein erstes Wiedersehen mit Prokesch war
beiderseits frei von Verlegenheit. Die sanfte Heiterkeit, deren Maske er trug,
fand ihren Ausdruck auch in der Farbe seiner Handschuhe, die von zartestem
Himmelblau und ausnahmsweise ganz neu waren" in einem amtlichen Berichte
an den vorgesetzten Minister sollen. Immerhin wirkt dergleichen hier mehr wie
ein gelegentliches aus der Rolle fallen. In den Briefen an Gerlach und ver¬
wandten Kundgebungen besteht dagegen diese Rolle im zügellosesten Sichgehen-
lassen, in einem wahren Ausstreuen von Drastizismen und Schimpfereien, vielfach
freilich Augenblicksergüssen, was dem Schreiber selbst nach Jahrzehnten die
Weisung an seinen Herausgeber eingab, sie seien nur "omissis omittLnäis,
das heißt, unter Zurückhaltung von Stellen, die noch lebende Leute oder deren
Familien mit Recht verletzen könnten", zu veröffentlichen. Das hat freilich nicht
gehindert, daß diese Briefe, die jedenfalls in allem Prokesch Betreffenden das
vollste Originalgepräge tragen, von einzelnen Vertretern der Bismarckliteratur
völlig gleichwertig mit den amtlichen Berichten für die Beurteilung Prokeschs
mit herangezogen worden sind; und wohl oder übel wird man ja auch bekennen
müssen, daß sie so gut wie ihre Echos nur einzelne Glieder eines ganzen Systems
sind, an dem das Traurigste das bleibt, daß der Gewaltige selbst dahinter
steht und so zuletzt der gemeinste Klatsch sich auf ihn berufen durfte. So gingen
obskure Zeitungsschreiber mit Feuilletons hausieren, in denen berichtet wurde,
daß Bismarck beim Abschied Prokeschs von Frankfurt hinter diesem her gehöhnt
habe, die Gläubiger hätten ihm das Haus eingelaufen; und wer dazu verurteilt
ist, diesen ganzen Prozeß Bismarck contra Prokesch wieder aufzurühren, hat
sich in der Bismarckliteratur durch hundertfältige Schimpfblüten durchzuwinden,
angesichts deren er sein saueres Amt jeden Augenblick aufzugeben versucht wäre.
Aber dies geht nicht an. Nachdem bisher diejenigen, die diesen Kampf auf
Bismarckscher Seite geführt, nicht die leiseste Verpflichtung verspürt haben, sich
um Prokesch irgendwie zu kümmern, sich ein Bild davon zu machen, wie der
Mann in Wirklichkeit gewesen, nachdem somit Prokesch seit Jahrzehnten am
Pranger gestanden, bleibt es umsomehr eine unabweisbare Ehrenpflicht der
deutschen Historik, dieser Beschimpfung des Andenkens eines der besten deutschen
Männer endlich ein Ziel zu setzen. Das Volk Bismarcks wäre seine damaligen
Siege nicht wert, wenn seine Wortführer diese nur dahin nutzen könnten, die
Männer, welche in jenem heißen Ringen aus der Gegenseite tapfer und klug
für ihr Vaterland eingestanden sind, zu verunglimpfen, statt sie zu würdigen.

Wünschenswerter und natürlicher wäre es wohl gewesen, wenn ein Öster¬
reicher diese notwendige Berichtigung vorgenommen hätte, für den dies zugleich
eine patriotische Pflichterfüllung gewesen wäre, während sie für einen Reichs¬
deutschen lediglich einen Akt der Wahrheitsliebe bedeutet, den er sich noch dazu


Bismarck und Prokesch-Gsten

äußerste Grenze des für die Beleuchtung der politischen Verhältnisse not¬
wendigen.

Manch einer dürfte füglich Anstoß daran nehmen, was z. B. Wendungen
wie diese (Poschinger IV, 234): „Mein erstes Wiedersehen mit Prokesch war
beiderseits frei von Verlegenheit. Die sanfte Heiterkeit, deren Maske er trug,
fand ihren Ausdruck auch in der Farbe seiner Handschuhe, die von zartestem
Himmelblau und ausnahmsweise ganz neu waren" in einem amtlichen Berichte
an den vorgesetzten Minister sollen. Immerhin wirkt dergleichen hier mehr wie
ein gelegentliches aus der Rolle fallen. In den Briefen an Gerlach und ver¬
wandten Kundgebungen besteht dagegen diese Rolle im zügellosesten Sichgehen-
lassen, in einem wahren Ausstreuen von Drastizismen und Schimpfereien, vielfach
freilich Augenblicksergüssen, was dem Schreiber selbst nach Jahrzehnten die
Weisung an seinen Herausgeber eingab, sie seien nur „omissis omittLnäis,
das heißt, unter Zurückhaltung von Stellen, die noch lebende Leute oder deren
Familien mit Recht verletzen könnten", zu veröffentlichen. Das hat freilich nicht
gehindert, daß diese Briefe, die jedenfalls in allem Prokesch Betreffenden das
vollste Originalgepräge tragen, von einzelnen Vertretern der Bismarckliteratur
völlig gleichwertig mit den amtlichen Berichten für die Beurteilung Prokeschs
mit herangezogen worden sind; und wohl oder übel wird man ja auch bekennen
müssen, daß sie so gut wie ihre Echos nur einzelne Glieder eines ganzen Systems
sind, an dem das Traurigste das bleibt, daß der Gewaltige selbst dahinter
steht und so zuletzt der gemeinste Klatsch sich auf ihn berufen durfte. So gingen
obskure Zeitungsschreiber mit Feuilletons hausieren, in denen berichtet wurde,
daß Bismarck beim Abschied Prokeschs von Frankfurt hinter diesem her gehöhnt
habe, die Gläubiger hätten ihm das Haus eingelaufen; und wer dazu verurteilt
ist, diesen ganzen Prozeß Bismarck contra Prokesch wieder aufzurühren, hat
sich in der Bismarckliteratur durch hundertfältige Schimpfblüten durchzuwinden,
angesichts deren er sein saueres Amt jeden Augenblick aufzugeben versucht wäre.
Aber dies geht nicht an. Nachdem bisher diejenigen, die diesen Kampf auf
Bismarckscher Seite geführt, nicht die leiseste Verpflichtung verspürt haben, sich
um Prokesch irgendwie zu kümmern, sich ein Bild davon zu machen, wie der
Mann in Wirklichkeit gewesen, nachdem somit Prokesch seit Jahrzehnten am
Pranger gestanden, bleibt es umsomehr eine unabweisbare Ehrenpflicht der
deutschen Historik, dieser Beschimpfung des Andenkens eines der besten deutschen
Männer endlich ein Ziel zu setzen. Das Volk Bismarcks wäre seine damaligen
Siege nicht wert, wenn seine Wortführer diese nur dahin nutzen könnten, die
Männer, welche in jenem heißen Ringen aus der Gegenseite tapfer und klug
für ihr Vaterland eingestanden sind, zu verunglimpfen, statt sie zu würdigen.

Wünschenswerter und natürlicher wäre es wohl gewesen, wenn ein Öster¬
reicher diese notwendige Berichtigung vorgenommen hätte, für den dies zugleich
eine patriotische Pflichterfüllung gewesen wäre, während sie für einen Reichs¬
deutschen lediglich einen Akt der Wahrheitsliebe bedeutet, den er sich noch dazu


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[0562] Bismarck und Prokesch-Gsten äußerste Grenze des für die Beleuchtung der politischen Verhältnisse not¬ wendigen. Manch einer dürfte füglich Anstoß daran nehmen, was z. B. Wendungen wie diese (Poschinger IV, 234): „Mein erstes Wiedersehen mit Prokesch war beiderseits frei von Verlegenheit. Die sanfte Heiterkeit, deren Maske er trug, fand ihren Ausdruck auch in der Farbe seiner Handschuhe, die von zartestem Himmelblau und ausnahmsweise ganz neu waren" in einem amtlichen Berichte an den vorgesetzten Minister sollen. Immerhin wirkt dergleichen hier mehr wie ein gelegentliches aus der Rolle fallen. In den Briefen an Gerlach und ver¬ wandten Kundgebungen besteht dagegen diese Rolle im zügellosesten Sichgehen- lassen, in einem wahren Ausstreuen von Drastizismen und Schimpfereien, vielfach freilich Augenblicksergüssen, was dem Schreiber selbst nach Jahrzehnten die Weisung an seinen Herausgeber eingab, sie seien nur „omissis omittLnäis, das heißt, unter Zurückhaltung von Stellen, die noch lebende Leute oder deren Familien mit Recht verletzen könnten", zu veröffentlichen. Das hat freilich nicht gehindert, daß diese Briefe, die jedenfalls in allem Prokesch Betreffenden das vollste Originalgepräge tragen, von einzelnen Vertretern der Bismarckliteratur völlig gleichwertig mit den amtlichen Berichten für die Beurteilung Prokeschs mit herangezogen worden sind; und wohl oder übel wird man ja auch bekennen müssen, daß sie so gut wie ihre Echos nur einzelne Glieder eines ganzen Systems sind, an dem das Traurigste das bleibt, daß der Gewaltige selbst dahinter steht und so zuletzt der gemeinste Klatsch sich auf ihn berufen durfte. So gingen obskure Zeitungsschreiber mit Feuilletons hausieren, in denen berichtet wurde, daß Bismarck beim Abschied Prokeschs von Frankfurt hinter diesem her gehöhnt habe, die Gläubiger hätten ihm das Haus eingelaufen; und wer dazu verurteilt ist, diesen ganzen Prozeß Bismarck contra Prokesch wieder aufzurühren, hat sich in der Bismarckliteratur durch hundertfältige Schimpfblüten durchzuwinden, angesichts deren er sein saueres Amt jeden Augenblick aufzugeben versucht wäre. Aber dies geht nicht an. Nachdem bisher diejenigen, die diesen Kampf auf Bismarckscher Seite geführt, nicht die leiseste Verpflichtung verspürt haben, sich um Prokesch irgendwie zu kümmern, sich ein Bild davon zu machen, wie der Mann in Wirklichkeit gewesen, nachdem somit Prokesch seit Jahrzehnten am Pranger gestanden, bleibt es umsomehr eine unabweisbare Ehrenpflicht der deutschen Historik, dieser Beschimpfung des Andenkens eines der besten deutschen Männer endlich ein Ziel zu setzen. Das Volk Bismarcks wäre seine damaligen Siege nicht wert, wenn seine Wortführer diese nur dahin nutzen könnten, die Männer, welche in jenem heißen Ringen aus der Gegenseite tapfer und klug für ihr Vaterland eingestanden sind, zu verunglimpfen, statt sie zu würdigen. Wünschenswerter und natürlicher wäre es wohl gewesen, wenn ein Öster¬ reicher diese notwendige Berichtigung vorgenommen hätte, für den dies zugleich eine patriotische Pflichterfüllung gewesen wäre, während sie für einen Reichs¬ deutschen lediglich einen Akt der Wahrheitsliebe bedeutet, den er sich noch dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/562>, abgerufen am 01.01.2025.