Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Die österreichische Balkanpolitik die öffentliche Meinung der Großmächte, sondern auch damalige Staatsmänner Mazedonien war nach dem Berliner Frieden türkisches Gebiet geblieben. Die österreichische Balkanpolitik die öffentliche Meinung der Großmächte, sondern auch damalige Staatsmänner Mazedonien war nach dem Berliner Frieden türkisches Gebiet geblieben. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328019"/> <fw type="header" place="top"> Die österreichische Balkanpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2561" prev="#ID_2560"> die öffentliche Meinung der Großmächte, sondern auch damalige Staatsmänner<lb/> ernste Zweifel an der politischen Existenzfähigkeit Serbiens, Bulgariens und selbst<lb/> Rumäniens gehabt haben. Man hielt es durchaus für sicher, daß Bulgarien<lb/> russisch und Serbien österreichisch werden würde, und man hielt es für möglich,<lb/> daß Rumänien zwischen den beiden Mächten geteilt werden könnte. Jedoch das<lb/> nationale Prinzip erwies sich als weit stärker, als die Diplomatie und die Presse<lb/> erwartet hatten. Durch die Schaffung unabhängiger Staaten erlangte es binnen<lb/> kurzem eine solche Kraft, daß schon wenige Jahre nach dem Berliner Kongreß<lb/> sowohl eine russische als eine österreichische Expansionspolitik unmöglich geworden<lb/> waren. Den klassischen Beweis lieferte Bulgarien, das nach einer nur siebenjährigen<lb/> staatlichen Existenz in der Lage war, unterstützt durch die europäischen Gegen¬<lb/> sätze, der russischen Großmacht Trotz zu bieten. Es war bezeichnenderweise die<lb/> Volksbewegung, der demokratische Nationalismus der Bulgaren — die ihre Ver¬<lb/> fassung doch gerade dem Zaren verdankten —, die das konservative amtliche<lb/> Nußland in den Widerstand gegen die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien<lb/> trieb, die es im Frieden von San Stefano selbst hatte durchführen wollen.<lb/> Rußland machte dieselbe Erfahrung mit dem „befreiten" Bulgarien, die es mit<lb/> dem „befreiten" Rumänien, Griechenland und Serbien gemacht hatte; die jungen<lb/> slavischen Nationalitäten behaupteten ihre individuelle, staatliche Existenz und<lb/> waren für eine Rolle russischer Vasallenstaaten durchaus nicht zu haben. Der<lb/> Widerstand Bulgariens verleidete Nußland seine Protektionsgelüste. Hätten die<lb/> Mächte diese starke Vitalität des nationalen Prinzips schon zur Zeit des Berliner<lb/> Kongresses erkannt, so würden Österreich und England sich gewiß nicht der<lb/> Schaffung eines Großbulgariens nach dem Vertrage von San Stefano wider¬<lb/> setzt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_2562" next="#ID_2563"> Mazedonien war nach dem Berliner Frieden türkisches Gebiet geblieben.<lb/> Aber schon in den achtziger Jahren hatten die Balkanstaaten Mazedonien als<lb/> ihr eigenes künftiges Neuland, als ihr eigenes politisches Expansionsgebiet vor¬<lb/> gemerkt. Zwar standen die individuellen Ansprüche Serbiens, Bulgariens und<lb/> Griechenlands im schärfsten Konflikt zueinander, aber gegen das territoriale Vor¬<lb/> dringen einer Großmacht hätten sie sich wohl schon damals geeinigt, wie jüngst<lb/> in ihrem Angriffskrieg gegen die Türkei. Die Bestimmung des serbisch-bul¬<lb/> garischen Bündnisvertrages vom März 1913, die sich gegen eine eventuelle In¬<lb/> vasion mazedonischen Gebietes durch Österreich richtete, erlaubt vielleicht Rück¬<lb/> schlüsse. Österreich soll einmal während des „Schweinekrieges" Bulgarien gewisse<lb/> Vorschlüge gemacht haben, die auf die Aufhebung der Unabhängigkeit Serbiens<lb/> abzielten, und Bulgarien soll diese Vorschläge entschieden abgelehnt haben.<lb/> Gleichviel ob diese Nachricht zutreffend ist oder nicht, die tatsächlichen Verhältnisse<lb/> dürste sie ganz richtig charakterisieren. Und wenn die militärische Leistungs-<lb/> fähigkeit der Balkanstaaten vor zwanzig Jahren stark gegen ihre heutigen Kräfte<lb/> zurückstand, so dursten sie um so mehr auf den Beistand einer Großmacht rechnen.<lb/> Wenn Nußland territorial vordringen wollte, so hatte es Österreich gegen sich,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0553]
Die österreichische Balkanpolitik
die öffentliche Meinung der Großmächte, sondern auch damalige Staatsmänner
ernste Zweifel an der politischen Existenzfähigkeit Serbiens, Bulgariens und selbst
Rumäniens gehabt haben. Man hielt es durchaus für sicher, daß Bulgarien
russisch und Serbien österreichisch werden würde, und man hielt es für möglich,
daß Rumänien zwischen den beiden Mächten geteilt werden könnte. Jedoch das
nationale Prinzip erwies sich als weit stärker, als die Diplomatie und die Presse
erwartet hatten. Durch die Schaffung unabhängiger Staaten erlangte es binnen
kurzem eine solche Kraft, daß schon wenige Jahre nach dem Berliner Kongreß
sowohl eine russische als eine österreichische Expansionspolitik unmöglich geworden
waren. Den klassischen Beweis lieferte Bulgarien, das nach einer nur siebenjährigen
staatlichen Existenz in der Lage war, unterstützt durch die europäischen Gegen¬
sätze, der russischen Großmacht Trotz zu bieten. Es war bezeichnenderweise die
Volksbewegung, der demokratische Nationalismus der Bulgaren — die ihre Ver¬
fassung doch gerade dem Zaren verdankten —, die das konservative amtliche
Nußland in den Widerstand gegen die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien
trieb, die es im Frieden von San Stefano selbst hatte durchführen wollen.
Rußland machte dieselbe Erfahrung mit dem „befreiten" Bulgarien, die es mit
dem „befreiten" Rumänien, Griechenland und Serbien gemacht hatte; die jungen
slavischen Nationalitäten behaupteten ihre individuelle, staatliche Existenz und
waren für eine Rolle russischer Vasallenstaaten durchaus nicht zu haben. Der
Widerstand Bulgariens verleidete Nußland seine Protektionsgelüste. Hätten die
Mächte diese starke Vitalität des nationalen Prinzips schon zur Zeit des Berliner
Kongresses erkannt, so würden Österreich und England sich gewiß nicht der
Schaffung eines Großbulgariens nach dem Vertrage von San Stefano wider¬
setzt haben.
Mazedonien war nach dem Berliner Frieden türkisches Gebiet geblieben.
Aber schon in den achtziger Jahren hatten die Balkanstaaten Mazedonien als
ihr eigenes künftiges Neuland, als ihr eigenes politisches Expansionsgebiet vor¬
gemerkt. Zwar standen die individuellen Ansprüche Serbiens, Bulgariens und
Griechenlands im schärfsten Konflikt zueinander, aber gegen das territoriale Vor¬
dringen einer Großmacht hätten sie sich wohl schon damals geeinigt, wie jüngst
in ihrem Angriffskrieg gegen die Türkei. Die Bestimmung des serbisch-bul¬
garischen Bündnisvertrages vom März 1913, die sich gegen eine eventuelle In¬
vasion mazedonischen Gebietes durch Österreich richtete, erlaubt vielleicht Rück¬
schlüsse. Österreich soll einmal während des „Schweinekrieges" Bulgarien gewisse
Vorschlüge gemacht haben, die auf die Aufhebung der Unabhängigkeit Serbiens
abzielten, und Bulgarien soll diese Vorschläge entschieden abgelehnt haben.
Gleichviel ob diese Nachricht zutreffend ist oder nicht, die tatsächlichen Verhältnisse
dürste sie ganz richtig charakterisieren. Und wenn die militärische Leistungs-
fähigkeit der Balkanstaaten vor zwanzig Jahren stark gegen ihre heutigen Kräfte
zurückstand, so dursten sie um so mehr auf den Beistand einer Großmacht rechnen.
Wenn Nußland territorial vordringen wollte, so hatte es Österreich gegen sich,
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