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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichssxiegel

noch zwischen rechts und links besteht, beruht darauf, daß diejenigen Parteien,
die sonst für ein weitestes Ausleben des Individualismus, daß Freisinnige und
Sozialdemokraten es dem Individuum grundsätzlich verwehren wollen, seine
persönliche Ehre auch individuell zu verteidigen, während die anderen (Kon¬
servative und Nationalliberale) darin einig sind, daß unsere Gesetzgebung noch
nicht so fein ausgebildet ist, um befähigt zu sein, den Einzelmenschen in allen
und jeden Lebenslagen vor Angriffen auf seine Ehre zu schützen. Man findet
wieder einmal bestätigt, daß echte liberale Anschauungen viel reiner in unseren
Parteien der Rechten zu finden sind, als in denen der demokratischen
Linken.--Das Duell wird solange bestehen und als notwendig empfunden
werden, solange in unseren menschlichen Beziehungen Vorgänge möglich sind,
die den gesund empfindenden Mann zur Selbsthilfe aufrufen. Man erinnere
sich des Dramas von Dawykowo-Mokrn! In dem Metzer Fall hat die strenge
militärische Disziplin und der Militärehrenrat den betrogenen Ehemann von
der Selbsthilfe zurückgehalten. Nach den im Reichstage und im Anschluß daran
in der Presse stattgehabten Erörterungen, herrscht die Auffassung, daß im vor¬
liegenden Falle das Duell überhaupt verhindert werden mußte, da sich der
Ehebrecher ehrlos und satisfaktionsunfähig gemacht habe. Sollte diese Auf¬
fassung zur herrschenden werden, so würden sich die Fälle der Selbsthilfe, be¬
sonders auch nach dem Freispruch Mielczvnskis, bald in erschreckender Weise
mehren. Wer bei den heutigen Bestimmungen über Duelle noch zur Pistole
greift, bereitet sich zum wohlbedachten Morde vor, der ist im Begriff, dem
strafenden Arm der Gerechtigkeit einen Übeltäter zu entziehen. Was zwingt
ihn? Doch in erster Linie die Empfindung, daß das ordentliche Gericht nicht
imstande ist, die ihm zugefügte Beleidigung ihrer Schwere entsprechend zu
sühnen. Ist es nicht auch ein unüberbrückbarer Widerspruch, wenn auf der einen
Seite der Gesetzgeber für dasselbe Delikt eine Geldstrafe von SO Mark für
ausreichend hält, während auf der anderen das gesunde Empfinden die Todes¬
strafe fordert? Man schütze durch das Gesetz auch feiner empfindende Naturen,
auch Individuen mit fein ausgebildetem Ehrbegriff -- das ist ein Persönlichkeits¬
wert -- vor Roheiten und Angriffen auf die Ehre, dann wird man auch den
mit dem Duellwesen verbundenen Unfug am wirksamsten bekämpfen.


G. Lleinow


Reichssxiegel

noch zwischen rechts und links besteht, beruht darauf, daß diejenigen Parteien,
die sonst für ein weitestes Ausleben des Individualismus, daß Freisinnige und
Sozialdemokraten es dem Individuum grundsätzlich verwehren wollen, seine
persönliche Ehre auch individuell zu verteidigen, während die anderen (Kon¬
servative und Nationalliberale) darin einig sind, daß unsere Gesetzgebung noch
nicht so fein ausgebildet ist, um befähigt zu sein, den Einzelmenschen in allen
und jeden Lebenslagen vor Angriffen auf seine Ehre zu schützen. Man findet
wieder einmal bestätigt, daß echte liberale Anschauungen viel reiner in unseren
Parteien der Rechten zu finden sind, als in denen der demokratischen
Linken.--Das Duell wird solange bestehen und als notwendig empfunden
werden, solange in unseren menschlichen Beziehungen Vorgänge möglich sind,
die den gesund empfindenden Mann zur Selbsthilfe aufrufen. Man erinnere
sich des Dramas von Dawykowo-Mokrn! In dem Metzer Fall hat die strenge
militärische Disziplin und der Militärehrenrat den betrogenen Ehemann von
der Selbsthilfe zurückgehalten. Nach den im Reichstage und im Anschluß daran
in der Presse stattgehabten Erörterungen, herrscht die Auffassung, daß im vor¬
liegenden Falle das Duell überhaupt verhindert werden mußte, da sich der
Ehebrecher ehrlos und satisfaktionsunfähig gemacht habe. Sollte diese Auf¬
fassung zur herrschenden werden, so würden sich die Fälle der Selbsthilfe, be¬
sonders auch nach dem Freispruch Mielczvnskis, bald in erschreckender Weise
mehren. Wer bei den heutigen Bestimmungen über Duelle noch zur Pistole
greift, bereitet sich zum wohlbedachten Morde vor, der ist im Begriff, dem
strafenden Arm der Gerechtigkeit einen Übeltäter zu entziehen. Was zwingt
ihn? Doch in erster Linie die Empfindung, daß das ordentliche Gericht nicht
imstande ist, die ihm zugefügte Beleidigung ihrer Schwere entsprechend zu
sühnen. Ist es nicht auch ein unüberbrückbarer Widerspruch, wenn auf der einen
Seite der Gesetzgeber für dasselbe Delikt eine Geldstrafe von SO Mark für
ausreichend hält, während auf der anderen das gesunde Empfinden die Todes¬
strafe fordert? Man schütze durch das Gesetz auch feiner empfindende Naturen,
auch Individuen mit fein ausgebildetem Ehrbegriff — das ist ein Persönlichkeits¬
wert — vor Roheiten und Angriffen auf die Ehre, dann wird man auch den
mit dem Duellwesen verbundenen Unfug am wirksamsten bekämpfen.


G. Lleinow


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[0536] Reichssxiegel noch zwischen rechts und links besteht, beruht darauf, daß diejenigen Parteien, die sonst für ein weitestes Ausleben des Individualismus, daß Freisinnige und Sozialdemokraten es dem Individuum grundsätzlich verwehren wollen, seine persönliche Ehre auch individuell zu verteidigen, während die anderen (Kon¬ servative und Nationalliberale) darin einig sind, daß unsere Gesetzgebung noch nicht so fein ausgebildet ist, um befähigt zu sein, den Einzelmenschen in allen und jeden Lebenslagen vor Angriffen auf seine Ehre zu schützen. Man findet wieder einmal bestätigt, daß echte liberale Anschauungen viel reiner in unseren Parteien der Rechten zu finden sind, als in denen der demokratischen Linken.--Das Duell wird solange bestehen und als notwendig empfunden werden, solange in unseren menschlichen Beziehungen Vorgänge möglich sind, die den gesund empfindenden Mann zur Selbsthilfe aufrufen. Man erinnere sich des Dramas von Dawykowo-Mokrn! In dem Metzer Fall hat die strenge militärische Disziplin und der Militärehrenrat den betrogenen Ehemann von der Selbsthilfe zurückgehalten. Nach den im Reichstage und im Anschluß daran in der Presse stattgehabten Erörterungen, herrscht die Auffassung, daß im vor¬ liegenden Falle das Duell überhaupt verhindert werden mußte, da sich der Ehebrecher ehrlos und satisfaktionsunfähig gemacht habe. Sollte diese Auf¬ fassung zur herrschenden werden, so würden sich die Fälle der Selbsthilfe, be¬ sonders auch nach dem Freispruch Mielczvnskis, bald in erschreckender Weise mehren. Wer bei den heutigen Bestimmungen über Duelle noch zur Pistole greift, bereitet sich zum wohlbedachten Morde vor, der ist im Begriff, dem strafenden Arm der Gerechtigkeit einen Übeltäter zu entziehen. Was zwingt ihn? Doch in erster Linie die Empfindung, daß das ordentliche Gericht nicht imstande ist, die ihm zugefügte Beleidigung ihrer Schwere entsprechend zu sühnen. Ist es nicht auch ein unüberbrückbarer Widerspruch, wenn auf der einen Seite der Gesetzgeber für dasselbe Delikt eine Geldstrafe von SO Mark für ausreichend hält, während auf der anderen das gesunde Empfinden die Todes¬ strafe fordert? Man schütze durch das Gesetz auch feiner empfindende Naturen, auch Individuen mit fein ausgebildetem Ehrbegriff — das ist ein Persönlichkeits¬ wert — vor Roheiten und Angriffen auf die Ehre, dann wird man auch den mit dem Duellwesen verbundenen Unfug am wirksamsten bekämpfen. G. Lleinow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/536>, abgerufen am 29.12.2024.