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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Der pressestreit mit Rußland

Fast drei Wochen sind vergangen, seit Dr. Ulrich seinen berühmten Ar¬
tikel "Nußland und Deutschland" in der Kölnischen Zeitung schrieb, und jetzt
erst beginnt der darüber entstandene Pressestreit abzuflauen. Herr Ulrich hat
den deutschrussischen Beziehungen einen sehr guten Dienst geleistet: wenn auch
die beiderseitigen amtlichen Kreise beim Erscheinen des Aufsatzes unangenehm
berührt gewesen sein mögen, nachträglich werden ebenso die deutschen wie die
russischen Diplomaten erkannt haben, daß die Presseerörterungen, die der Ar¬
tikel auflöste, einen: Frühlingsgewitter gleich die Luft gereinigt haben. Wer
die großen Vorteile in ihrer Gesamtheit überblickt, die beide, Rußland und
Deutschland, das russische und das deutsche Volk, voneinander haben, ist sich
dessen auch bewußt, daß Erörterungen, wie die vorübergegangenen, die realen
Grundlagen unserer Beziehungen nicht zu berühren vermögen. Nicht mehr und auch
nicht weniger besagen des Grafen Witte letzte Äußerungen. Für beide Teile
ist es ganz gut, wenn die politische Bühne, hinter deren Kulissen sich mancher
ungebetene Mitspieler decken kann, einmal unvermutet grell beleuchtet wird, so
daß kein Winkel im Schatten bleibt. Dann stieben die Dunkelmänner geblendet
auseinander, rennen sich an, schreien und zetern, und der kühle Beobachter kann
sich vergnüglich die Kulissenschieber und Drahtzieher ansehen. Diese Möglichkeit
hat uns Herr Ulrich mit seinen ausgezeichneten Ausführungen in der Kölnischen
Zeitung gegeben. Der Artikel hat nicht nur deshalb Aufsehen erregt, weil er in
dem angesehenen rheinischen Blatt gestanden, sondern auch deshalb, weil der Herr
Verfasser, der fast ein Jahrzehnt in Nußland lebt und der Gelegenheit gehabt
hat, den russischen Volkscharakter in Kriegs- und Frieoenszeiten zu studieren, sich
den Ruf eines guten Kenners der russischen Verhältnisse erworben hat. Und
der letzte Beweis für seine Tüchtigkeit als Kenner Rußlands liegt in dem Um¬
stände, daß er seinen Artikel durchaus im psychologisch richtigen Augenblick ver¬
öffentlichte; der Anreiz, es früher zu tun, hat oft genug vorgelegen.




Reichsspiegel
Der pressestreit mit Rußland

Fast drei Wochen sind vergangen, seit Dr. Ulrich seinen berühmten Ar¬
tikel „Nußland und Deutschland" in der Kölnischen Zeitung schrieb, und jetzt
erst beginnt der darüber entstandene Pressestreit abzuflauen. Herr Ulrich hat
den deutschrussischen Beziehungen einen sehr guten Dienst geleistet: wenn auch
die beiderseitigen amtlichen Kreise beim Erscheinen des Aufsatzes unangenehm
berührt gewesen sein mögen, nachträglich werden ebenso die deutschen wie die
russischen Diplomaten erkannt haben, daß die Presseerörterungen, die der Ar¬
tikel auflöste, einen: Frühlingsgewitter gleich die Luft gereinigt haben. Wer
die großen Vorteile in ihrer Gesamtheit überblickt, die beide, Rußland und
Deutschland, das russische und das deutsche Volk, voneinander haben, ist sich
dessen auch bewußt, daß Erörterungen, wie die vorübergegangenen, die realen
Grundlagen unserer Beziehungen nicht zu berühren vermögen. Nicht mehr und auch
nicht weniger besagen des Grafen Witte letzte Äußerungen. Für beide Teile
ist es ganz gut, wenn die politische Bühne, hinter deren Kulissen sich mancher
ungebetene Mitspieler decken kann, einmal unvermutet grell beleuchtet wird, so
daß kein Winkel im Schatten bleibt. Dann stieben die Dunkelmänner geblendet
auseinander, rennen sich an, schreien und zetern, und der kühle Beobachter kann
sich vergnüglich die Kulissenschieber und Drahtzieher ansehen. Diese Möglichkeit
hat uns Herr Ulrich mit seinen ausgezeichneten Ausführungen in der Kölnischen
Zeitung gegeben. Der Artikel hat nicht nur deshalb Aufsehen erregt, weil er in
dem angesehenen rheinischen Blatt gestanden, sondern auch deshalb, weil der Herr
Verfasser, der fast ein Jahrzehnt in Nußland lebt und der Gelegenheit gehabt
hat, den russischen Volkscharakter in Kriegs- und Frieoenszeiten zu studieren, sich
den Ruf eines guten Kenners der russischen Verhältnisse erworben hat. Und
der letzte Beweis für seine Tüchtigkeit als Kenner Rußlands liegt in dem Um¬
stände, daß er seinen Artikel durchaus im psychologisch richtigen Augenblick ver¬
öffentlichte; der Anreiz, es früher zu tun, hat oft genug vorgelegen.


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[0533] [Abbildung] Reichsspiegel Der pressestreit mit Rußland Fast drei Wochen sind vergangen, seit Dr. Ulrich seinen berühmten Ar¬ tikel „Nußland und Deutschland" in der Kölnischen Zeitung schrieb, und jetzt erst beginnt der darüber entstandene Pressestreit abzuflauen. Herr Ulrich hat den deutschrussischen Beziehungen einen sehr guten Dienst geleistet: wenn auch die beiderseitigen amtlichen Kreise beim Erscheinen des Aufsatzes unangenehm berührt gewesen sein mögen, nachträglich werden ebenso die deutschen wie die russischen Diplomaten erkannt haben, daß die Presseerörterungen, die der Ar¬ tikel auflöste, einen: Frühlingsgewitter gleich die Luft gereinigt haben. Wer die großen Vorteile in ihrer Gesamtheit überblickt, die beide, Rußland und Deutschland, das russische und das deutsche Volk, voneinander haben, ist sich dessen auch bewußt, daß Erörterungen, wie die vorübergegangenen, die realen Grundlagen unserer Beziehungen nicht zu berühren vermögen. Nicht mehr und auch nicht weniger besagen des Grafen Witte letzte Äußerungen. Für beide Teile ist es ganz gut, wenn die politische Bühne, hinter deren Kulissen sich mancher ungebetene Mitspieler decken kann, einmal unvermutet grell beleuchtet wird, so daß kein Winkel im Schatten bleibt. Dann stieben die Dunkelmänner geblendet auseinander, rennen sich an, schreien und zetern, und der kühle Beobachter kann sich vergnüglich die Kulissenschieber und Drahtzieher ansehen. Diese Möglichkeit hat uns Herr Ulrich mit seinen ausgezeichneten Ausführungen in der Kölnischen Zeitung gegeben. Der Artikel hat nicht nur deshalb Aufsehen erregt, weil er in dem angesehenen rheinischen Blatt gestanden, sondern auch deshalb, weil der Herr Verfasser, der fast ein Jahrzehnt in Nußland lebt und der Gelegenheit gehabt hat, den russischen Volkscharakter in Kriegs- und Frieoenszeiten zu studieren, sich den Ruf eines guten Kenners der russischen Verhältnisse erworben hat. Und der letzte Beweis für seine Tüchtigkeit als Kenner Rußlands liegt in dem Um¬ stände, daß er seinen Artikel durchaus im psychologisch richtigen Augenblick ver¬ öffentlichte; der Anreiz, es früher zu tun, hat oft genug vorgelegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/533>, abgerufen am 29.12.2024.