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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Wende des Naturalismus
Dr. Lritz Reck - Malleczewen von
II. Spiel und Dramentechnik

lec und neue Schauspielkunst sah ich vor kurzem schroffer einander
gegenüberstehen als je. Die Durieux als Maria Stuart. Ihre
königliche Partnerin der Parkszene in Fotherinhai alte Schule im
besten Sinne: sorgfältigste Sprachkultur, wohl auch die besseren
Stimnnttel; ruhiges, gemessenes Schreiten der Jambenrhythmen,
wohlbewahrt von aller Deklamation; große, geschwungene Bewegungen, wuchtig
und gemessen, auch im Affekt, in der Wut verletzter Weibeseitelkeit noch.
Nirgends das Verlangen, aus den Worten des antiken Schwabens neuen, dem
Menschen heute näherliegenden Sinn zu entdecken. Nicht mehr und nicht weniger,
als das, was der Dichter wollte. Und innerhalb dieses Rahmens alles, was
man sich wünschen mag.

Dort drüben eine andere Kunst: ein sorgloses Schalten mit den Kon¬
sonanten, ein sorgloseres noch mit den Registern der Stimme; Tempowechsel in
jedem Augenblick, wo das Gefühl anders zu schwingen scheint. So wird es
ein völliges Abhauen, ein Verwischen des Verses. Und dann das Spiel selbst:
auf dem Boden kauert der binsenschlanke Leib, der Unterkörper ganz still. Bei
jedem Wort schwingt sich Bewegung blitzschnell aus den Hüften durch Brust
und den dünnen, langen Hals zum Kopf, den die Haarmuscheln an den Schläfen
verbreitern und dieser kauernden Gestalt ganz die Illusion eines schönen,
züngelnden Giftreptils geben. Zu jedem Wort eine neue Geste, ein neues
Zucken im Gesicht. Als sie der Feindin die letzten Argumente ihrer Unschuld
und königlichen Hoheit ins Gesicht schleudert, springt sie jäh (wieder die Schlangen¬
ähnlichkeit) die Gegnerin an, läßt die Stimme bis zu den Höhen hinaufrasen,
in denen sich das Organ schrill bricht. Die Hände schlagen aufeinander, jedes
einzelne Wort bekräftigend und messerscharf eins vom anderen trennend. Und
aus dem Weib, das der Dichter auch im Zorn tiefverletzter Weiblichkeit noch




Die Wende des Naturalismus
Dr. Lritz Reck - Malleczewen von
II. Spiel und Dramentechnik

lec und neue Schauspielkunst sah ich vor kurzem schroffer einander
gegenüberstehen als je. Die Durieux als Maria Stuart. Ihre
königliche Partnerin der Parkszene in Fotherinhai alte Schule im
besten Sinne: sorgfältigste Sprachkultur, wohl auch die besseren
Stimnnttel; ruhiges, gemessenes Schreiten der Jambenrhythmen,
wohlbewahrt von aller Deklamation; große, geschwungene Bewegungen, wuchtig
und gemessen, auch im Affekt, in der Wut verletzter Weibeseitelkeit noch.
Nirgends das Verlangen, aus den Worten des antiken Schwabens neuen, dem
Menschen heute näherliegenden Sinn zu entdecken. Nicht mehr und nicht weniger,
als das, was der Dichter wollte. Und innerhalb dieses Rahmens alles, was
man sich wünschen mag.

Dort drüben eine andere Kunst: ein sorgloses Schalten mit den Kon¬
sonanten, ein sorgloseres noch mit den Registern der Stimme; Tempowechsel in
jedem Augenblick, wo das Gefühl anders zu schwingen scheint. So wird es
ein völliges Abhauen, ein Verwischen des Verses. Und dann das Spiel selbst:
auf dem Boden kauert der binsenschlanke Leib, der Unterkörper ganz still. Bei
jedem Wort schwingt sich Bewegung blitzschnell aus den Hüften durch Brust
und den dünnen, langen Hals zum Kopf, den die Haarmuscheln an den Schläfen
verbreitern und dieser kauernden Gestalt ganz die Illusion eines schönen,
züngelnden Giftreptils geben. Zu jedem Wort eine neue Geste, ein neues
Zucken im Gesicht. Als sie der Feindin die letzten Argumente ihrer Unschuld
und königlichen Hoheit ins Gesicht schleudert, springt sie jäh (wieder die Schlangen¬
ähnlichkeit) die Gegnerin an, läßt die Stimme bis zu den Höhen hinaufrasen,
in denen sich das Organ schrill bricht. Die Hände schlagen aufeinander, jedes
einzelne Wort bekräftigend und messerscharf eins vom anderen trennend. Und
aus dem Weib, das der Dichter auch im Zorn tiefverletzter Weiblichkeit noch


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[0529] [Abbildung] Die Wende des Naturalismus Dr. Lritz Reck - Malleczewen von II. Spiel und Dramentechnik lec und neue Schauspielkunst sah ich vor kurzem schroffer einander gegenüberstehen als je. Die Durieux als Maria Stuart. Ihre königliche Partnerin der Parkszene in Fotherinhai alte Schule im besten Sinne: sorgfältigste Sprachkultur, wohl auch die besseren Stimnnttel; ruhiges, gemessenes Schreiten der Jambenrhythmen, wohlbewahrt von aller Deklamation; große, geschwungene Bewegungen, wuchtig und gemessen, auch im Affekt, in der Wut verletzter Weibeseitelkeit noch. Nirgends das Verlangen, aus den Worten des antiken Schwabens neuen, dem Menschen heute näherliegenden Sinn zu entdecken. Nicht mehr und nicht weniger, als das, was der Dichter wollte. Und innerhalb dieses Rahmens alles, was man sich wünschen mag. Dort drüben eine andere Kunst: ein sorgloses Schalten mit den Kon¬ sonanten, ein sorgloseres noch mit den Registern der Stimme; Tempowechsel in jedem Augenblick, wo das Gefühl anders zu schwingen scheint. So wird es ein völliges Abhauen, ein Verwischen des Verses. Und dann das Spiel selbst: auf dem Boden kauert der binsenschlanke Leib, der Unterkörper ganz still. Bei jedem Wort schwingt sich Bewegung blitzschnell aus den Hüften durch Brust und den dünnen, langen Hals zum Kopf, den die Haarmuscheln an den Schläfen verbreitern und dieser kauernden Gestalt ganz die Illusion eines schönen, züngelnden Giftreptils geben. Zu jedem Wort eine neue Geste, ein neues Zucken im Gesicht. Als sie der Feindin die letzten Argumente ihrer Unschuld und königlichen Hoheit ins Gesicht schleudert, springt sie jäh (wieder die Schlangen¬ ähnlichkeit) die Gegnerin an, läßt die Stimme bis zu den Höhen hinaufrasen, in denen sich das Organ schrill bricht. Die Hände schlagen aufeinander, jedes einzelne Wort bekräftigend und messerscharf eins vom anderen trennend. Und aus dem Weib, das der Dichter auch im Zorn tiefverletzter Weiblichkeit noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/529>, abgerufen am 29.12.2024.