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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Briefe an August Wilhelm Schlegel

befinden möchte! Es geht hier, wie bei so vielen andern Gelegenheiten: man
lernt das Gute erst schätzen, wenn man es entbehrt und so kurz die Erfahrung
auch ist, die ich hier gemacht habe, so re'ehe sie doch hin, mich von den
mancherley Vorzügen der Göttingischen Lebensart zu überzeugen. Mochte sie
auch etwas Langeweile mit sich führen, so wars doch mehrentheils meiner
Wilkühr überlassen, mich ihr zu entziehn und daß ich mich lezt an das Gegen¬
theil gewöhnen soll, das will meinem Freiheitssinne gar nicht einleuchten. Am
meisten aber vermisse ich die Annehmlichkeiten eines Umgangs, wie der unsrige
war und wie ich ihn, wenn schon nicht in gleichem Grade der Vertraulichkeit
mit einigen wenigen andern genoß! Schwerlich kan er ohne eine gewisse
Gleichheit des Alters und der Verhältnisse, unter denen man lebt, Statt finden
und schwerlich wird er eine gewisse Dauer und einen immer gleich starken Reiz
gewinnen, wenn nicht ein gemeinschaftliches und ich darf hinzusetzes, edleres
Interesse als die meisten Menschen zusammenführt, noch hinzukommt! Und wo
sollen sich alle diese Erfordernisse wol so leicht vereinigen außer GMingenl.?
Rechnen Sie die Leichtigkeit hinzu, mit der man dort bekannt und wenn man
sich einander nähern kan, auch vertraut wird und die fast an jedem andern
Orte wegsällt, die Zwanglosigkeit, die den Gjottinger^ Umgang begleitet, den
Vorzug, daß man unter so vielen für seinen Umgang ganz nach seiner Neigung
waten und bei seiner Wal so gewis sein kan, daß sie Kopf und Herz befriedigen
werde, und Sie werden in meine Klage gewiß einstimmen.

Abgerechnet diese nicht ganz angenehmen Empfindungen, die die Ver¬
änderung meines Aufenthalts zur folge gehabt hat, leb' ich ganz froh und
genieße der glücklichen Muße, aus der ich noch immer nicht gerissen bin, da die
Koenigliche Genehmigung meiner Ansehung ^) nach immer auf den Fluten des
Ozeans schwebt! Ich habe sie dazu genüzt, die hinterlassnen Werke'') des
Koenigs von Preußen, die lezt eben erschienen sind, wenigstens dem größten
Theile nach, durchzulesen. Die Iriswire als mon was, welche den Anfang
dieser interessanten Sammlung macht, enthält die Geschichte seiner Regierung
von 1740--1745 und ist mit allem Feuer der Jugend geschrieben. Voran
geht eine Schilderung der europäischen Hoefe zur Zeit, als er seine Regierung
antrat, und einige Charakterschilderungen von Regenten und Ministern sind
nach meinem Gefühl Meisterstücke! In der ganzen Erzählung verleugnet sich
der große Charakter nicht, der den König vielleicht noch höher hebt als seine
glänzenden Talente; nirgends trifft man auf eine Spur selbstgefälliger Eitelkeit
und partheiischen Selbstlobes! So gerecht er die Verdienste seiner Feinde
erkennt, so enthusiastisch er die Tapferkeit seiner Generale und seiner Truppen
der Nachwelt zum Muster vorhält, so offenherzig gesteht er alle seine Fehler
ein und so wenig eignet er sich selbst einiges Verdienst zu und möchte oft selbst
auf Rechnung eines günstigen Zufalls schreiben, was doch nur Folge seiner




8) Arnswalde wartete auf seine Anstellung als Hannoverscher Kanzleiauditor.
°) Oeuvres postliumes 15 vol. Berlin 1788.
Briefe an August Wilhelm Schlegel

befinden möchte! Es geht hier, wie bei so vielen andern Gelegenheiten: man
lernt das Gute erst schätzen, wenn man es entbehrt und so kurz die Erfahrung
auch ist, die ich hier gemacht habe, so re'ehe sie doch hin, mich von den
mancherley Vorzügen der Göttingischen Lebensart zu überzeugen. Mochte sie
auch etwas Langeweile mit sich führen, so wars doch mehrentheils meiner
Wilkühr überlassen, mich ihr zu entziehn und daß ich mich lezt an das Gegen¬
theil gewöhnen soll, das will meinem Freiheitssinne gar nicht einleuchten. Am
meisten aber vermisse ich die Annehmlichkeiten eines Umgangs, wie der unsrige
war und wie ich ihn, wenn schon nicht in gleichem Grade der Vertraulichkeit
mit einigen wenigen andern genoß! Schwerlich kan er ohne eine gewisse
Gleichheit des Alters und der Verhältnisse, unter denen man lebt, Statt finden
und schwerlich wird er eine gewisse Dauer und einen immer gleich starken Reiz
gewinnen, wenn nicht ein gemeinschaftliches und ich darf hinzusetzes, edleres
Interesse als die meisten Menschen zusammenführt, noch hinzukommt! Und wo
sollen sich alle diese Erfordernisse wol so leicht vereinigen außer GMingenl.?
Rechnen Sie die Leichtigkeit hinzu, mit der man dort bekannt und wenn man
sich einander nähern kan, auch vertraut wird und die fast an jedem andern
Orte wegsällt, die Zwanglosigkeit, die den Gjottinger^ Umgang begleitet, den
Vorzug, daß man unter so vielen für seinen Umgang ganz nach seiner Neigung
waten und bei seiner Wal so gewis sein kan, daß sie Kopf und Herz befriedigen
werde, und Sie werden in meine Klage gewiß einstimmen.

Abgerechnet diese nicht ganz angenehmen Empfindungen, die die Ver¬
änderung meines Aufenthalts zur folge gehabt hat, leb' ich ganz froh und
genieße der glücklichen Muße, aus der ich noch immer nicht gerissen bin, da die
Koenigliche Genehmigung meiner Ansehung ^) nach immer auf den Fluten des
Ozeans schwebt! Ich habe sie dazu genüzt, die hinterlassnen Werke'') des
Koenigs von Preußen, die lezt eben erschienen sind, wenigstens dem größten
Theile nach, durchzulesen. Die Iriswire als mon was, welche den Anfang
dieser interessanten Sammlung macht, enthält die Geschichte seiner Regierung
von 1740—1745 und ist mit allem Feuer der Jugend geschrieben. Voran
geht eine Schilderung der europäischen Hoefe zur Zeit, als er seine Regierung
antrat, und einige Charakterschilderungen von Regenten und Ministern sind
nach meinem Gefühl Meisterstücke! In der ganzen Erzählung verleugnet sich
der große Charakter nicht, der den König vielleicht noch höher hebt als seine
glänzenden Talente; nirgends trifft man auf eine Spur selbstgefälliger Eitelkeit
und partheiischen Selbstlobes! So gerecht er die Verdienste seiner Feinde
erkennt, so enthusiastisch er die Tapferkeit seiner Generale und seiner Truppen
der Nachwelt zum Muster vorhält, so offenherzig gesteht er alle seine Fehler
ein und so wenig eignet er sich selbst einiges Verdienst zu und möchte oft selbst
auf Rechnung eines günstigen Zufalls schreiben, was doch nur Folge seiner




8) Arnswalde wartete auf seine Anstellung als Hannoverscher Kanzleiauditor.
°) Oeuvres postliumes 15 vol. Berlin 1788.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/503>, abgerufen am 29.12.2024.