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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rumänenfrage in Ungarn

Landes und den ethnischen des magyarischen Volkstums besitzt. Er habe den
Rumänen nichts bewilligen können, was gegen diese Einheitlichkeit verstoße, im
übrigen gönne er ihnen aber natürlich den Gebrauch ihrer Sprache, ihre
kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung, die von der Regierung mit dem größten
Wohlwollen gefördert werde. Der Tenor der Rede ist etwa: auf solche Dinge
wie in Österreich können wir uns nicht einlassen, gegen jeden Föderalismus,
gegen jeden Staat im Staate, gegen eine Beeinträchtigung der Staatssprache
wehre ich mich mit aller Kraft, denn das wäre der Anfang des Zerfalls; aber
an Magyarisierung denken wir nicht. Nun gewinnt ja dieser Standpunkt einen
Schein von Berechtigung dadurch, daß im Programm der rumänischen National¬
partei in der Tat die Wiederherstellung der Autonomie Siebenbürgens gefordert
wird, wie sie bis zum Jahre 1867 bestanden hat. Aber bei den Verhandlungen
mit dem Grafen Tisza haben die Rumänen diese Forderung gar nicht erhoben
(was von diesem auch nicht behauptet wurde), weil sie ja genügend urteilsfähig
sind, um zu erkennen, daß es ganz gewaltiger politischer Umwälzungen bedürfte,
ehe ein magyarischer Staatsmann derartiges auch nur diskutieren könnte. Wie
wenig aber die Einheit des ungarischen Staates durch die Forderungen der
rumänischen Führer gefährdet und wie schließlich doch nur die Forderung nach
Einstellung der Magyarisierungspolitik für den Abbruch der Verhandlungen
bestimmend war, geht aus dem hervor, was Graf Tisza mit dankenswerter
Aufrichtigkeit über das Nationalitätengesetz vom Jahre 1868 gesagthat: "Dieses
Gesetz kann nicht durchgeführt werden, ohne daß der ungarische Staat einen
Selbstmord beginge." Es ist schade, daß der Raum es verbietet, dieses Gesetz
mit einigen Erläuterungen hier abzudrucken. Es ist seinerzeit beschlossen worden,
weil die Krone bei Abschluß des Ausgleiches im Jahre 1867 die Bedingung
stellte, daß die Rechte der nichtmagyarischen Nationalitäten gesetzlich geschützt
werden müßten; es war von Deal gewiß auch ganz ehrlich gemeint. Im
Gegensatze zu dem Z 19 der österreichischen Verfassung, der gewissermaßen als
Rahmengesetz in drei Sätzen die Rechte der Nationalitäten in einer Weise theo¬
retisch festlegt, daß kein Weiser und kein Tor diese Grundsätze in die Praxis
übertragen könnte, handelt es sich hier um ein verhältnismäßig gut durch¬
gearbeitetes Gesetz mit präziser Fassung. Voran steht dabei die Festlegung der
magyarischen als Staats- und Amtssprache aller staatlichen Ämter; daneben
wird festgestellt, inwieweit sich die Bürger nichtmagyarischer Zunge im Verkehr
mit den Gerichtshöfen und bei den Verhandlungen mit den untersten Ver¬
waltungsstellen, bei den autonomen Behörden und Körperschaften ihrer Mutter¬
sprache bedienen dürfen. Man kann sagen, daß diese Bestimmungen gerade
dem praktischen Bedürfnisse genügen würden unter der Voraussetzung, daß den
Bevölkerungsschichten, die nur eine Volksschulbildung besitzen, die Kenntnis der
magyarischen Sprache nicht aufgezwungen werden soll. Und das gleiche läßt
sich auch über die Bestimmungen betreffs der Schulen sagen. Der Volksschul¬
unterricht würde im wesentlichen in der Muttersprache erfolgen, in den Mittel-


Die Rumänenfrage in Ungarn

Landes und den ethnischen des magyarischen Volkstums besitzt. Er habe den
Rumänen nichts bewilligen können, was gegen diese Einheitlichkeit verstoße, im
übrigen gönne er ihnen aber natürlich den Gebrauch ihrer Sprache, ihre
kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung, die von der Regierung mit dem größten
Wohlwollen gefördert werde. Der Tenor der Rede ist etwa: auf solche Dinge
wie in Österreich können wir uns nicht einlassen, gegen jeden Föderalismus,
gegen jeden Staat im Staate, gegen eine Beeinträchtigung der Staatssprache
wehre ich mich mit aller Kraft, denn das wäre der Anfang des Zerfalls; aber
an Magyarisierung denken wir nicht. Nun gewinnt ja dieser Standpunkt einen
Schein von Berechtigung dadurch, daß im Programm der rumänischen National¬
partei in der Tat die Wiederherstellung der Autonomie Siebenbürgens gefordert
wird, wie sie bis zum Jahre 1867 bestanden hat. Aber bei den Verhandlungen
mit dem Grafen Tisza haben die Rumänen diese Forderung gar nicht erhoben
(was von diesem auch nicht behauptet wurde), weil sie ja genügend urteilsfähig
sind, um zu erkennen, daß es ganz gewaltiger politischer Umwälzungen bedürfte,
ehe ein magyarischer Staatsmann derartiges auch nur diskutieren könnte. Wie
wenig aber die Einheit des ungarischen Staates durch die Forderungen der
rumänischen Führer gefährdet und wie schließlich doch nur die Forderung nach
Einstellung der Magyarisierungspolitik für den Abbruch der Verhandlungen
bestimmend war, geht aus dem hervor, was Graf Tisza mit dankenswerter
Aufrichtigkeit über das Nationalitätengesetz vom Jahre 1868 gesagthat: „Dieses
Gesetz kann nicht durchgeführt werden, ohne daß der ungarische Staat einen
Selbstmord beginge." Es ist schade, daß der Raum es verbietet, dieses Gesetz
mit einigen Erläuterungen hier abzudrucken. Es ist seinerzeit beschlossen worden,
weil die Krone bei Abschluß des Ausgleiches im Jahre 1867 die Bedingung
stellte, daß die Rechte der nichtmagyarischen Nationalitäten gesetzlich geschützt
werden müßten; es war von Deal gewiß auch ganz ehrlich gemeint. Im
Gegensatze zu dem Z 19 der österreichischen Verfassung, der gewissermaßen als
Rahmengesetz in drei Sätzen die Rechte der Nationalitäten in einer Weise theo¬
retisch festlegt, daß kein Weiser und kein Tor diese Grundsätze in die Praxis
übertragen könnte, handelt es sich hier um ein verhältnismäßig gut durch¬
gearbeitetes Gesetz mit präziser Fassung. Voran steht dabei die Festlegung der
magyarischen als Staats- und Amtssprache aller staatlichen Ämter; daneben
wird festgestellt, inwieweit sich die Bürger nichtmagyarischer Zunge im Verkehr
mit den Gerichtshöfen und bei den Verhandlungen mit den untersten Ver¬
waltungsstellen, bei den autonomen Behörden und Körperschaften ihrer Mutter¬
sprache bedienen dürfen. Man kann sagen, daß diese Bestimmungen gerade
dem praktischen Bedürfnisse genügen würden unter der Voraussetzung, daß den
Bevölkerungsschichten, die nur eine Volksschulbildung besitzen, die Kenntnis der
magyarischen Sprache nicht aufgezwungen werden soll. Und das gleiche läßt
sich auch über die Bestimmungen betreffs der Schulen sagen. Der Volksschul¬
unterricht würde im wesentlichen in der Muttersprache erfolgen, in den Mittel-


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[0496] Die Rumänenfrage in Ungarn Landes und den ethnischen des magyarischen Volkstums besitzt. Er habe den Rumänen nichts bewilligen können, was gegen diese Einheitlichkeit verstoße, im übrigen gönne er ihnen aber natürlich den Gebrauch ihrer Sprache, ihre kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung, die von der Regierung mit dem größten Wohlwollen gefördert werde. Der Tenor der Rede ist etwa: auf solche Dinge wie in Österreich können wir uns nicht einlassen, gegen jeden Föderalismus, gegen jeden Staat im Staate, gegen eine Beeinträchtigung der Staatssprache wehre ich mich mit aller Kraft, denn das wäre der Anfang des Zerfalls; aber an Magyarisierung denken wir nicht. Nun gewinnt ja dieser Standpunkt einen Schein von Berechtigung dadurch, daß im Programm der rumänischen National¬ partei in der Tat die Wiederherstellung der Autonomie Siebenbürgens gefordert wird, wie sie bis zum Jahre 1867 bestanden hat. Aber bei den Verhandlungen mit dem Grafen Tisza haben die Rumänen diese Forderung gar nicht erhoben (was von diesem auch nicht behauptet wurde), weil sie ja genügend urteilsfähig sind, um zu erkennen, daß es ganz gewaltiger politischer Umwälzungen bedürfte, ehe ein magyarischer Staatsmann derartiges auch nur diskutieren könnte. Wie wenig aber die Einheit des ungarischen Staates durch die Forderungen der rumänischen Führer gefährdet und wie schließlich doch nur die Forderung nach Einstellung der Magyarisierungspolitik für den Abbruch der Verhandlungen bestimmend war, geht aus dem hervor, was Graf Tisza mit dankenswerter Aufrichtigkeit über das Nationalitätengesetz vom Jahre 1868 gesagthat: „Dieses Gesetz kann nicht durchgeführt werden, ohne daß der ungarische Staat einen Selbstmord beginge." Es ist schade, daß der Raum es verbietet, dieses Gesetz mit einigen Erläuterungen hier abzudrucken. Es ist seinerzeit beschlossen worden, weil die Krone bei Abschluß des Ausgleiches im Jahre 1867 die Bedingung stellte, daß die Rechte der nichtmagyarischen Nationalitäten gesetzlich geschützt werden müßten; es war von Deal gewiß auch ganz ehrlich gemeint. Im Gegensatze zu dem Z 19 der österreichischen Verfassung, der gewissermaßen als Rahmengesetz in drei Sätzen die Rechte der Nationalitäten in einer Weise theo¬ retisch festlegt, daß kein Weiser und kein Tor diese Grundsätze in die Praxis übertragen könnte, handelt es sich hier um ein verhältnismäßig gut durch¬ gearbeitetes Gesetz mit präziser Fassung. Voran steht dabei die Festlegung der magyarischen als Staats- und Amtssprache aller staatlichen Ämter; daneben wird festgestellt, inwieweit sich die Bürger nichtmagyarischer Zunge im Verkehr mit den Gerichtshöfen und bei den Verhandlungen mit den untersten Ver¬ waltungsstellen, bei den autonomen Behörden und Körperschaften ihrer Mutter¬ sprache bedienen dürfen. Man kann sagen, daß diese Bestimmungen gerade dem praktischen Bedürfnisse genügen würden unter der Voraussetzung, daß den Bevölkerungsschichten, die nur eine Volksschulbildung besitzen, die Kenntnis der magyarischen Sprache nicht aufgezwungen werden soll. Und das gleiche läßt sich auch über die Bestimmungen betreffs der Schulen sagen. Der Volksschul¬ unterricht würde im wesentlichen in der Muttersprache erfolgen, in den Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/496>, abgerufen am 04.01.2025.