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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rumäneufrage in Ungarn

alle anderen in Ungarn wohnenden Nationalitäten (Rumänen, Deutsche,
Slowaken, Serben, Ruthenen) in ihren Anteilziffern zurückgegangen sind. Und
daraus könnte man dann wohl schließen, daß die Methoden der ungarischen
Negierung sich recht gut bewährt haben und Ungarn auf dem besten Wege zu
deur angestrebten Ziele eines einheitlichen magyarischen Nationalstaates sei, denn
man könne sich ja ausrechnen, in wie viel Jahren bei Anhalten dieser Pro¬
gression das Ziel der 100 Prozent Magyaren im Staate erreicht sein wird.
Aber solche Schlüsse werden in Ungarn heute kaum noch einem unwissenden
Publikum in den Zeitungen vorgesetzt. Die Zahl der Wissenden wächst, die
sich darüber keiner Täuschung hingeben, wie diese Zahlen zustandegekommen
sind. Die Volkszählung wird von Negierungsorganen durchgeführt und die
Nationalitätenstatistik gründet sich auf die Frage, welche Sprache gewöhnlich
oder c>in liebsten gesprochen wird. In der Instruktion für die Zähler wird
bemerkt, daß bei Kindern, die magyarische Schulen besuchen, statt der Sprache,
die sie in der Familie sprechen, auch das Magyarische eingetragen werden
könne -- ein wahres Wunder, daß bei dieser Praxis die nichtmagyarischen
Nationalitäten auf dem Papier nicht schon vollkommen vernichtet worden sind.
Zu diesen "Erfolgen" steht sehr im Gegensatz, wenn der magyarische Statistiker
Balogh feststellen mußte, daß die Magyaren in den letzten Jahrzehnten zweihundert-
einundsechzig Gemeinden für ihr Volkstum gewonnen, vierhuudertsechsundfünfzig
aber verloren haben, was also einen Ncttoverlust von einhundertfünfundneunzig
Gemeinden ausmacht. Und vor nicht langer Zeit ging die vielleicht etwas
übertreibende Behauptung durch die magyarische Presse, daß in Siebenbürgen
in den letzten fünfzig Jahren an zweihundert magyarische Orte rumäuisiert
worden seien. Tatsache ist jedenfalls, daß insbesondere das Szeklerland in
Siebenbürgen von der Numänifierung stark bedroht ist; diese Szekler sind die
rassenreinsten Turanier unter den Magyaren und vielleicht gerade deshalb im
Kampf ums Dasein am wenigsten widerstandsfähig; das Tragikomische dabei
aber ist, daß alle Maßregeln, die die Regierung aufwendet, um die Szekler zu
stärken, nur die Wirkung haben, sie noch weiter zu schwächen, weil sie jeden
Geist wirtschaftlicher Initiative in dieser Bevölkerung ersticken, die geradezu
glaubt, auf Staatspeusionen Anspruch zu haben.

Wenn man also einem ungarländischen Rumänen von den: drohenden
Untergang seines Volkes sprechen wollte, so wird er dafür nur ein herzliches
Lachen haben; er wird den Ungläubigen in ein rumänisches Dorf führen, das
zwar weder ein Bild blühender Wohlhabenheit noch fortgeschrittenster Kultur
bietet, da die Bewohner vielfach uoch fast in reiner Naturalwirtschaft leben,
wo es aber von Kindern wimmelt, denen man anmerkt, daß sie von ihren
Müttern selbst gestillt worden sind und daß im Hause der Milchtopf stets auf
dem Tische steht und keine Milchgenossenschaft dem Nachwuchs die Nahrung
entzieht. Also die Rumänen in Ungarn leben, vermehren sich und bleiben
Rumänen, ganz unabhängig davon, ob sie mit 2 948 146 (dein amtlichen


Die Rumäneufrage in Ungarn

alle anderen in Ungarn wohnenden Nationalitäten (Rumänen, Deutsche,
Slowaken, Serben, Ruthenen) in ihren Anteilziffern zurückgegangen sind. Und
daraus könnte man dann wohl schließen, daß die Methoden der ungarischen
Negierung sich recht gut bewährt haben und Ungarn auf dem besten Wege zu
deur angestrebten Ziele eines einheitlichen magyarischen Nationalstaates sei, denn
man könne sich ja ausrechnen, in wie viel Jahren bei Anhalten dieser Pro¬
gression das Ziel der 100 Prozent Magyaren im Staate erreicht sein wird.
Aber solche Schlüsse werden in Ungarn heute kaum noch einem unwissenden
Publikum in den Zeitungen vorgesetzt. Die Zahl der Wissenden wächst, die
sich darüber keiner Täuschung hingeben, wie diese Zahlen zustandegekommen
sind. Die Volkszählung wird von Negierungsorganen durchgeführt und die
Nationalitätenstatistik gründet sich auf die Frage, welche Sprache gewöhnlich
oder c>in liebsten gesprochen wird. In der Instruktion für die Zähler wird
bemerkt, daß bei Kindern, die magyarische Schulen besuchen, statt der Sprache,
die sie in der Familie sprechen, auch das Magyarische eingetragen werden
könne — ein wahres Wunder, daß bei dieser Praxis die nichtmagyarischen
Nationalitäten auf dem Papier nicht schon vollkommen vernichtet worden sind.
Zu diesen „Erfolgen" steht sehr im Gegensatz, wenn der magyarische Statistiker
Balogh feststellen mußte, daß die Magyaren in den letzten Jahrzehnten zweihundert-
einundsechzig Gemeinden für ihr Volkstum gewonnen, vierhuudertsechsundfünfzig
aber verloren haben, was also einen Ncttoverlust von einhundertfünfundneunzig
Gemeinden ausmacht. Und vor nicht langer Zeit ging die vielleicht etwas
übertreibende Behauptung durch die magyarische Presse, daß in Siebenbürgen
in den letzten fünfzig Jahren an zweihundert magyarische Orte rumäuisiert
worden seien. Tatsache ist jedenfalls, daß insbesondere das Szeklerland in
Siebenbürgen von der Numänifierung stark bedroht ist; diese Szekler sind die
rassenreinsten Turanier unter den Magyaren und vielleicht gerade deshalb im
Kampf ums Dasein am wenigsten widerstandsfähig; das Tragikomische dabei
aber ist, daß alle Maßregeln, die die Regierung aufwendet, um die Szekler zu
stärken, nur die Wirkung haben, sie noch weiter zu schwächen, weil sie jeden
Geist wirtschaftlicher Initiative in dieser Bevölkerung ersticken, die geradezu
glaubt, auf Staatspeusionen Anspruch zu haben.

Wenn man also einem ungarländischen Rumänen von den: drohenden
Untergang seines Volkes sprechen wollte, so wird er dafür nur ein herzliches
Lachen haben; er wird den Ungläubigen in ein rumänisches Dorf führen, das
zwar weder ein Bild blühender Wohlhabenheit noch fortgeschrittenster Kultur
bietet, da die Bewohner vielfach uoch fast in reiner Naturalwirtschaft leben,
wo es aber von Kindern wimmelt, denen man anmerkt, daß sie von ihren
Müttern selbst gestillt worden sind und daß im Hause der Milchtopf stets auf
dem Tische steht und keine Milchgenossenschaft dem Nachwuchs die Nahrung
entzieht. Also die Rumänen in Ungarn leben, vermehren sich und bleiben
Rumänen, ganz unabhängig davon, ob sie mit 2 948 146 (dein amtlichen


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[0494] Die Rumäneufrage in Ungarn alle anderen in Ungarn wohnenden Nationalitäten (Rumänen, Deutsche, Slowaken, Serben, Ruthenen) in ihren Anteilziffern zurückgegangen sind. Und daraus könnte man dann wohl schließen, daß die Methoden der ungarischen Negierung sich recht gut bewährt haben und Ungarn auf dem besten Wege zu deur angestrebten Ziele eines einheitlichen magyarischen Nationalstaates sei, denn man könne sich ja ausrechnen, in wie viel Jahren bei Anhalten dieser Pro¬ gression das Ziel der 100 Prozent Magyaren im Staate erreicht sein wird. Aber solche Schlüsse werden in Ungarn heute kaum noch einem unwissenden Publikum in den Zeitungen vorgesetzt. Die Zahl der Wissenden wächst, die sich darüber keiner Täuschung hingeben, wie diese Zahlen zustandegekommen sind. Die Volkszählung wird von Negierungsorganen durchgeführt und die Nationalitätenstatistik gründet sich auf die Frage, welche Sprache gewöhnlich oder c>in liebsten gesprochen wird. In der Instruktion für die Zähler wird bemerkt, daß bei Kindern, die magyarische Schulen besuchen, statt der Sprache, die sie in der Familie sprechen, auch das Magyarische eingetragen werden könne — ein wahres Wunder, daß bei dieser Praxis die nichtmagyarischen Nationalitäten auf dem Papier nicht schon vollkommen vernichtet worden sind. Zu diesen „Erfolgen" steht sehr im Gegensatz, wenn der magyarische Statistiker Balogh feststellen mußte, daß die Magyaren in den letzten Jahrzehnten zweihundert- einundsechzig Gemeinden für ihr Volkstum gewonnen, vierhuudertsechsundfünfzig aber verloren haben, was also einen Ncttoverlust von einhundertfünfundneunzig Gemeinden ausmacht. Und vor nicht langer Zeit ging die vielleicht etwas übertreibende Behauptung durch die magyarische Presse, daß in Siebenbürgen in den letzten fünfzig Jahren an zweihundert magyarische Orte rumäuisiert worden seien. Tatsache ist jedenfalls, daß insbesondere das Szeklerland in Siebenbürgen von der Numänifierung stark bedroht ist; diese Szekler sind die rassenreinsten Turanier unter den Magyaren und vielleicht gerade deshalb im Kampf ums Dasein am wenigsten widerstandsfähig; das Tragikomische dabei aber ist, daß alle Maßregeln, die die Regierung aufwendet, um die Szekler zu stärken, nur die Wirkung haben, sie noch weiter zu schwächen, weil sie jeden Geist wirtschaftlicher Initiative in dieser Bevölkerung ersticken, die geradezu glaubt, auf Staatspeusionen Anspruch zu haben. Wenn man also einem ungarländischen Rumänen von den: drohenden Untergang seines Volkes sprechen wollte, so wird er dafür nur ein herzliches Lachen haben; er wird den Ungläubigen in ein rumänisches Dorf führen, das zwar weder ein Bild blühender Wohlhabenheit noch fortgeschrittenster Kultur bietet, da die Bewohner vielfach uoch fast in reiner Naturalwirtschaft leben, wo es aber von Kindern wimmelt, denen man anmerkt, daß sie von ihren Müttern selbst gestillt worden sind und daß im Hause der Milchtopf stets auf dem Tische steht und keine Milchgenossenschaft dem Nachwuchs die Nahrung entzieht. Also die Rumänen in Ungarn leben, vermehren sich und bleiben Rumänen, ganz unabhängig davon, ob sie mit 2 948 146 (dein amtlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/494>, abgerufen am 29.12.2024.