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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

in Krefeld, Kommerzienrat Engelhard in
Mannheim und der Handelskammer zu
Liegnitz, schon eine Erste Neichskammer als
ein besseres Mittel zur Verstärkung des ge¬
werblichen Einflusses bezeichnet worden ist,
als der Eintritt zahlreicher Industrieller und
Kaufleute in die Ersten Kammern der Bundes¬
staaten. Man könnte auch aus der Düssel¬
dorfer Denkschrift für den Vorschlag von
Dr. Schlenler die Meinung anführen, daß
die Gewerbetreibenden in den Ersten Kam¬
mern der Bundes Staaten doch recht weit von
dem Kampfplatz entfernt sind, wo die Ent¬
scheidungsschlachten über die gewerblichen
Fragen fallen. Das ist der Reichstag.

Indessen kann man sich dem Gedanken
eines Reichsoberhciuses nicht anschließen.
Dr. Schlenler beruft sich auf Bismarck für
seinen Vorschlag, jedoch darf man Bismarck
nicht in so einseitiger Weise anführen. Der
Gedanke, auch den Reichstag aus zwei Kammern
bestehen zu lassen, ist nicht neu. Der Ver-
fnssungsausschuß der deutschen konstituierenden
Nationalversammlung sah ein Zweikammer-
shstem vor. Sein Artikel 1 des Verfassungs¬
entwurfes über den Reichstag sagte: "Der
Reichstag besteht aus zwei Häusern, dein
Staatenhaus und demVolkshaus." Aus dieser
Fassung geht schon hervor, daß die Erste Kam¬
mer aus Staatsvertretern bestehen sollte. Z 4
sagt weiter, daß die Mitglieder des Staaten¬
hauses zur Hälfte durch die Regierung, zur
Hälfte durch die Volksvertretung der Staaten
ernannt werden sollten. Der deutsche Bundes¬
tag hatte nur ein Staatenhaus, das vom
Deutschen Reiche als Bundesrat übernommen
wurde. Das Volkshaus, der Reichstag,
wurde dazugefügt. Aber schon im Reichstag
des Norddeutschen Bundes stellten Windthorst
und von Below den Antrag auf Errichtung
einer Ersten Kammer. Dieses Oberhaus
wurde von Bismarck in der Tat als ein
Hemmschuh zum Bremsen der Staatsmaschine
an abschüssigen Stellen grundsätzlich nicht
abgelehnt. Bismarck hielt es an sich nicht
für unnützlich, die an den Staatsgeschäften
stärker zu beteiligen, die etwas zu verlieren
haben und daher nicht geneigt sind, auf
Kosten und Gefahr des Staates zu hoch zu
spielen, da der eigene Einsatz zu stark war.
Bismarck lehnte das Neichsoberhaus damals

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mehr aus Praktischen Gründen ab. Er wollte
den schon verwickelten Aufbau der VerfassnngS-
maschine durch Einschiebung eines dritten
oder (wenn man den Kaiser mitrechnet"
vierten Gliedes nicht noch schwerfälliger machen
und in die Gefahr des Stillstandes bringen.
Bismarck sagte: "Die Gesetzgebung desBnndes
kann schon durch einen anhaltenden Wider¬
spruch zwischen dem Bundesrat und dem
Reichstage zum Stillstand gebracht werden,
wie das in jedem Zweikammersystem der
Fall ist; aber bei einem Dreikammersystem
-- wenn ich den Bundesrat als Kammer
bezeichnen darf -- würde die Möglichkeit, die
Wahrscheinlichkeit dieses Stillstandes noch viel
näher liegen." Aber Bismarck hat seine
Meinung auch grundsätzlich geändert. Er hat
am 19. April 1371 folgendes ausgeführt:
"Ich wollte nur ein Wort noch über das
Korrektiv sagen, welches die Abgeordneten
Windthorst und Graf Münster in der Gestalt
eines Zweikammersystems finden. Ich muß
zu meinem Bedauern sagen -- und ich gebe
damit nicht jetzt, sondern habe früher schon
Überzeugungen aufgegeben, die denen ver¬
wandt waren, und nicht ohne Bedauern --,
aber die Politische Erfahrung hat mich über¬
zeugt, daß solche Versammlung (die Ersten
Kammern) den Zweck, ein Gegengewicht und
einen Schutz zu gewähren gegen die Gefahren,
die das allgemeine Stimmrecht in seiner
vollsten Ausbeutung in sich bergen kann, nicht
erfüllen können. Ich gehöre ja selbst einer
solchen Versammlung, dem preußischen Herren¬
haus, an, und Sie werden deshalb nicht von
mir verlangen, daß ich contra clomum spreche;
aber ich habe keinen Glauben an die Stärke
dieses Gegengewichts in den jetzigen Zeiten;
wenn eins frisch durch Wahlen legitimierte,
den Anspruch einer Vertretung des gesamten
Volkes in sich tragende Versammlung das
Gegenteil votiere, dann brauche ich ein schwe¬
reres Gegengewicht." Dieses schwere Gegen¬
gewicht war der Bundesrat, wo, wie
Bismarck sich ausdrückte, "nicht der Bundes¬
bevollmächtigte Freiherr von Friesen als
Person, sondern das Königreich Sachsen
durch ihn abstimmt mit einem Votum, das
sorgfältig destilliert ist aus den Kräften,
die am öffentlichen Leben in Sachsen mit¬
wirken. "

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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in Krefeld, Kommerzienrat Engelhard in
Mannheim und der Handelskammer zu
Liegnitz, schon eine Erste Neichskammer als
ein besseres Mittel zur Verstärkung des ge¬
werblichen Einflusses bezeichnet worden ist,
als der Eintritt zahlreicher Industrieller und
Kaufleute in die Ersten Kammern der Bundes¬
staaten. Man könnte auch aus der Düssel¬
dorfer Denkschrift für den Vorschlag von
Dr. Schlenler die Meinung anführen, daß
die Gewerbetreibenden in den Ersten Kam¬
mern der Bundes Staaten doch recht weit von
dem Kampfplatz entfernt sind, wo die Ent¬
scheidungsschlachten über die gewerblichen
Fragen fallen. Das ist der Reichstag.

Indessen kann man sich dem Gedanken
eines Reichsoberhciuses nicht anschließen.
Dr. Schlenler beruft sich auf Bismarck für
seinen Vorschlag, jedoch darf man Bismarck
nicht in so einseitiger Weise anführen. Der
Gedanke, auch den Reichstag aus zwei Kammern
bestehen zu lassen, ist nicht neu. Der Ver-
fnssungsausschuß der deutschen konstituierenden
Nationalversammlung sah ein Zweikammer-
shstem vor. Sein Artikel 1 des Verfassungs¬
entwurfes über den Reichstag sagte: „Der
Reichstag besteht aus zwei Häusern, dein
Staatenhaus und demVolkshaus." Aus dieser
Fassung geht schon hervor, daß die Erste Kam¬
mer aus Staatsvertretern bestehen sollte. Z 4
sagt weiter, daß die Mitglieder des Staaten¬
hauses zur Hälfte durch die Regierung, zur
Hälfte durch die Volksvertretung der Staaten
ernannt werden sollten. Der deutsche Bundes¬
tag hatte nur ein Staatenhaus, das vom
Deutschen Reiche als Bundesrat übernommen
wurde. Das Volkshaus, der Reichstag,
wurde dazugefügt. Aber schon im Reichstag
des Norddeutschen Bundes stellten Windthorst
und von Below den Antrag auf Errichtung
einer Ersten Kammer. Dieses Oberhaus
wurde von Bismarck in der Tat als ein
Hemmschuh zum Bremsen der Staatsmaschine
an abschüssigen Stellen grundsätzlich nicht
abgelehnt. Bismarck hielt es an sich nicht
für unnützlich, die an den Staatsgeschäften
stärker zu beteiligen, die etwas zu verlieren
haben und daher nicht geneigt sind, auf
Kosten und Gefahr des Staates zu hoch zu
spielen, da der eigene Einsatz zu stark war.
Bismarck lehnte das Neichsoberhaus damals

[Spaltenumbruch]

mehr aus Praktischen Gründen ab. Er wollte
den schon verwickelten Aufbau der VerfassnngS-
maschine durch Einschiebung eines dritten
oder (wenn man den Kaiser mitrechnet»
vierten Gliedes nicht noch schwerfälliger machen
und in die Gefahr des Stillstandes bringen.
Bismarck sagte: „Die Gesetzgebung desBnndes
kann schon durch einen anhaltenden Wider¬
spruch zwischen dem Bundesrat und dem
Reichstage zum Stillstand gebracht werden,
wie das in jedem Zweikammersystem der
Fall ist; aber bei einem Dreikammersystem
— wenn ich den Bundesrat als Kammer
bezeichnen darf — würde die Möglichkeit, die
Wahrscheinlichkeit dieses Stillstandes noch viel
näher liegen." Aber Bismarck hat seine
Meinung auch grundsätzlich geändert. Er hat
am 19. April 1371 folgendes ausgeführt:
„Ich wollte nur ein Wort noch über das
Korrektiv sagen, welches die Abgeordneten
Windthorst und Graf Münster in der Gestalt
eines Zweikammersystems finden. Ich muß
zu meinem Bedauern sagen — und ich gebe
damit nicht jetzt, sondern habe früher schon
Überzeugungen aufgegeben, die denen ver¬
wandt waren, und nicht ohne Bedauern —,
aber die Politische Erfahrung hat mich über¬
zeugt, daß solche Versammlung (die Ersten
Kammern) den Zweck, ein Gegengewicht und
einen Schutz zu gewähren gegen die Gefahren,
die das allgemeine Stimmrecht in seiner
vollsten Ausbeutung in sich bergen kann, nicht
erfüllen können. Ich gehöre ja selbst einer
solchen Versammlung, dem preußischen Herren¬
haus, an, und Sie werden deshalb nicht von
mir verlangen, daß ich contra clomum spreche;
aber ich habe keinen Glauben an die Stärke
dieses Gegengewichts in den jetzigen Zeiten;
wenn eins frisch durch Wahlen legitimierte,
den Anspruch einer Vertretung des gesamten
Volkes in sich tragende Versammlung das
Gegenteil votiere, dann brauche ich ein schwe¬
reres Gegengewicht." Dieses schwere Gegen¬
gewicht war der Bundesrat, wo, wie
Bismarck sich ausdrückte, „nicht der Bundes¬
bevollmächtigte Freiherr von Friesen als
Person, sondern das Königreich Sachsen
durch ihn abstimmt mit einem Votum, das
sorgfältig destilliert ist aus den Kräften,
die am öffentlichen Leben in Sachsen mit¬
wirken. "

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[0484] Maßgebliches und Unmaßgebliches in Krefeld, Kommerzienrat Engelhard in Mannheim und der Handelskammer zu Liegnitz, schon eine Erste Neichskammer als ein besseres Mittel zur Verstärkung des ge¬ werblichen Einflusses bezeichnet worden ist, als der Eintritt zahlreicher Industrieller und Kaufleute in die Ersten Kammern der Bundes¬ staaten. Man könnte auch aus der Düssel¬ dorfer Denkschrift für den Vorschlag von Dr. Schlenler die Meinung anführen, daß die Gewerbetreibenden in den Ersten Kam¬ mern der Bundes Staaten doch recht weit von dem Kampfplatz entfernt sind, wo die Ent¬ scheidungsschlachten über die gewerblichen Fragen fallen. Das ist der Reichstag. Indessen kann man sich dem Gedanken eines Reichsoberhciuses nicht anschließen. Dr. Schlenler beruft sich auf Bismarck für seinen Vorschlag, jedoch darf man Bismarck nicht in so einseitiger Weise anführen. Der Gedanke, auch den Reichstag aus zwei Kammern bestehen zu lassen, ist nicht neu. Der Ver- fnssungsausschuß der deutschen konstituierenden Nationalversammlung sah ein Zweikammer- shstem vor. Sein Artikel 1 des Verfassungs¬ entwurfes über den Reichstag sagte: „Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dein Staatenhaus und demVolkshaus." Aus dieser Fassung geht schon hervor, daß die Erste Kam¬ mer aus Staatsvertretern bestehen sollte. Z 4 sagt weiter, daß die Mitglieder des Staaten¬ hauses zur Hälfte durch die Regierung, zur Hälfte durch die Volksvertretung der Staaten ernannt werden sollten. Der deutsche Bundes¬ tag hatte nur ein Staatenhaus, das vom Deutschen Reiche als Bundesrat übernommen wurde. Das Volkshaus, der Reichstag, wurde dazugefügt. Aber schon im Reichstag des Norddeutschen Bundes stellten Windthorst und von Below den Antrag auf Errichtung einer Ersten Kammer. Dieses Oberhaus wurde von Bismarck in der Tat als ein Hemmschuh zum Bremsen der Staatsmaschine an abschüssigen Stellen grundsätzlich nicht abgelehnt. Bismarck hielt es an sich nicht für unnützlich, die an den Staatsgeschäften stärker zu beteiligen, die etwas zu verlieren haben und daher nicht geneigt sind, auf Kosten und Gefahr des Staates zu hoch zu spielen, da der eigene Einsatz zu stark war. Bismarck lehnte das Neichsoberhaus damals mehr aus Praktischen Gründen ab. Er wollte den schon verwickelten Aufbau der VerfassnngS- maschine durch Einschiebung eines dritten oder (wenn man den Kaiser mitrechnet» vierten Gliedes nicht noch schwerfälliger machen und in die Gefahr des Stillstandes bringen. Bismarck sagte: „Die Gesetzgebung desBnndes kann schon durch einen anhaltenden Wider¬ spruch zwischen dem Bundesrat und dem Reichstage zum Stillstand gebracht werden, wie das in jedem Zweikammersystem der Fall ist; aber bei einem Dreikammersystem — wenn ich den Bundesrat als Kammer bezeichnen darf — würde die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit dieses Stillstandes noch viel näher liegen." Aber Bismarck hat seine Meinung auch grundsätzlich geändert. Er hat am 19. April 1371 folgendes ausgeführt: „Ich wollte nur ein Wort noch über das Korrektiv sagen, welches die Abgeordneten Windthorst und Graf Münster in der Gestalt eines Zweikammersystems finden. Ich muß zu meinem Bedauern sagen — und ich gebe damit nicht jetzt, sondern habe früher schon Überzeugungen aufgegeben, die denen ver¬ wandt waren, und nicht ohne Bedauern —, aber die Politische Erfahrung hat mich über¬ zeugt, daß solche Versammlung (die Ersten Kammern) den Zweck, ein Gegengewicht und einen Schutz zu gewähren gegen die Gefahren, die das allgemeine Stimmrecht in seiner vollsten Ausbeutung in sich bergen kann, nicht erfüllen können. Ich gehöre ja selbst einer solchen Versammlung, dem preußischen Herren¬ haus, an, und Sie werden deshalb nicht von mir verlangen, daß ich contra clomum spreche; aber ich habe keinen Glauben an die Stärke dieses Gegengewichts in den jetzigen Zeiten; wenn eins frisch durch Wahlen legitimierte, den Anspruch einer Vertretung des gesamten Volkes in sich tragende Versammlung das Gegenteil votiere, dann brauche ich ein schwe¬ reres Gegengewicht." Dieses schwere Gegen¬ gewicht war der Bundesrat, wo, wie Bismarck sich ausdrückte, „nicht der Bundes¬ bevollmächtigte Freiherr von Friesen als Person, sondern das Königreich Sachsen durch ihn abstimmt mit einem Votum, das sorgfältig destilliert ist aus den Kräften, die am öffentlichen Leben in Sachsen mit¬ wirken. "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/484>, abgerufen am 01.01.2025.