Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel das solche Unaufrichtigkeit erzeugt, wächst aber auch etwas anderes herauf: die So ist es denn auch kein Wunder, daß der deutsche Geschäftsmann, der Über eins wollen wir uns keinen Illusionen hingeben: der Kampf gegen In bestimmten Kreisen, die heute einen Teil der Diplomatie und wohl die Die Regierung des Zaren hat von ihrem Standpunkt aus keine Veranlassung, Reichsspiegel das solche Unaufrichtigkeit erzeugt, wächst aber auch etwas anderes herauf: die So ist es denn auch kein Wunder, daß der deutsche Geschäftsmann, der Über eins wollen wir uns keinen Illusionen hingeben: der Kampf gegen In bestimmten Kreisen, die heute einen Teil der Diplomatie und wohl die Die Regierung des Zaren hat von ihrem Standpunkt aus keine Veranlassung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327947"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2265" prev="#ID_2264"> das solche Unaufrichtigkeit erzeugt, wächst aber auch etwas anderes herauf: die<lb/> Spekulation ä la baiZss bei allen denen, die daraus Nutzen zu ziehen hoffen. Es<lb/> wuchern allerhand Wünsche und Probleme auf. die von sich aus den allgemeinen<lb/> Frieden bedrohen. Es ist kein Zufall, daß gerade jetzt wieder bei den Polen der<lb/> Gedanke an eine Intervention gewisser Mächte zu ihren Gunsten lebendig wird.<lb/> Blättern wir in der Geschichte dieses unglücklichen Volkes während der letzten<lb/> hundert Jahre, so finden wir die Polen immer in besonderer Gärung, wenn<lb/> Roland im Verdacht kriegerischer Absichten steht; seit zwei Dezennien bildet auch<lb/> die internationale Demokratie ein politisches Barometer, von dem man ablesen<lb/> tann, wie etwa die Stimmung in Rußland ist. sozialdemokratische Wanderredner<lb/> aus Rußland agitieren speziell unter den in Deutschland und Frankreich lebenden<lb/> Russen und die preußische Polizei ist häufiger in die unangenehme Lage versetzt,<lb/> Ausweisungen russischer Staatsangehöriger vornehmen zu müssen. An die unklare<lb/> Haltung der russischen Diplomatie klammern sich wie gesagt allerhand Wünsche;<lb/> phantastische Freiheitshelden und Bolksbeglücker bauen auf sie Pläne, die neben<lb/> einer ehrlich arbeitenden Friedenspolitik keinen Raum mehr haben können, und so<lb/> kann es — besonders wenn starke chauvinistische Strömungen im Innern hinzu¬<lb/> treten — geschehen, daß die unaufrichtige Haltung der Diplomatie auch unab¬<lb/> sichtlich Kräfte erstarken läßt, denen sie sich in einem ihr ungeeignet scheinenden<lb/> Augenblicks unterordnen müßte. Und darin sehe ich auch ein wesentliches Gefahren-<lb/> Moment, das in der russischen Diplomatie der Gegenwart liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2266"> So ist es denn auch kein Wunder, daß der deutsche Geschäftsmann, der<lb/> langjährige Verbindungen mit dem russischen Nachbarlande hat, von dessen Wohl¬<lb/> stand sein persönlicher Wohlstand, das Bestehen vielleicht seiner Firma abhängig<lb/> ist. daß der Geschäftsmann, dem natürlich weder das Treiben der Demokratie,<lb/> noch die nervöse Unruhe bei Polen, Juden, Ruthenen verborgen bleibt, häufiger<lb/> die Frage an uns richtet: „Gibt es Krieg? Hat Rußland die Absicht Krieg zu<lb/> führen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2267"> Über eins wollen wir uns keinen Illusionen hingeben: der Kampf gegen<lb/> Deutschland ist gegenwärtig in ganz Rußland populär; die Frage bleibt, ob die<lb/> Kampflust bereits eine Temperatur erreicht hat, daß man von Kriegslust oder<lb/> gar von bestimmten kriegerischen Absichten sprechen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2268"> In bestimmten Kreisen, die heute einen Teil der Diplomatie und wohl die<lb/> gesamte Armee umfassen, besteht eine ungeheuere Lust, sich mit den Deutschen zu<lb/> messen, die so lange und auf so vielen Gebieten Rußlands Lehrmeister gewesen<lb/> send. In jenen Kreisen herrscht obendrein schon seit mehr als vierzig Jahren die<lb/> Auffassung, Deutschland habe es auf die ehemals polnischen und littauischen<lb/> Landesteile sowie auf die baltischen Provinzen abgesehen. Das gibt einen<lb/> kräftigen Anreiz, der der Ausbildung der Armee zugute kommt: man will die<lb/> Scharte in Ostasien am deutschen Stein auswetzen. Entsprechend sind die für die<lb/> Ausbildung angewandten Maßstäbe, entsprechend ist auch der Eifer der russischen<lb/> Offiziere. Die Deutschen zu schlagen, wäre ihnen eine außerordentliche Genug-<lb/> tuung!</p><lb/> <p xml:id="ID_2269" next="#ID_2270"> Die Regierung des Zaren hat von ihrem Standpunkt aus keine Veranlassung,<lb/> der gekennzeichneten Stimmung entgegenzuwirken! sie lenkt von den innerpolMschen<lb/> Fragen ab, konzentriert die Aufmerksamkeit auf einen ausländischen Gegner, stärkt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0481]
Reichsspiegel
das solche Unaufrichtigkeit erzeugt, wächst aber auch etwas anderes herauf: die
Spekulation ä la baiZss bei allen denen, die daraus Nutzen zu ziehen hoffen. Es
wuchern allerhand Wünsche und Probleme auf. die von sich aus den allgemeinen
Frieden bedrohen. Es ist kein Zufall, daß gerade jetzt wieder bei den Polen der
Gedanke an eine Intervention gewisser Mächte zu ihren Gunsten lebendig wird.
Blättern wir in der Geschichte dieses unglücklichen Volkes während der letzten
hundert Jahre, so finden wir die Polen immer in besonderer Gärung, wenn
Roland im Verdacht kriegerischer Absichten steht; seit zwei Dezennien bildet auch
die internationale Demokratie ein politisches Barometer, von dem man ablesen
tann, wie etwa die Stimmung in Rußland ist. sozialdemokratische Wanderredner
aus Rußland agitieren speziell unter den in Deutschland und Frankreich lebenden
Russen und die preußische Polizei ist häufiger in die unangenehme Lage versetzt,
Ausweisungen russischer Staatsangehöriger vornehmen zu müssen. An die unklare
Haltung der russischen Diplomatie klammern sich wie gesagt allerhand Wünsche;
phantastische Freiheitshelden und Bolksbeglücker bauen auf sie Pläne, die neben
einer ehrlich arbeitenden Friedenspolitik keinen Raum mehr haben können, und so
kann es — besonders wenn starke chauvinistische Strömungen im Innern hinzu¬
treten — geschehen, daß die unaufrichtige Haltung der Diplomatie auch unab¬
sichtlich Kräfte erstarken läßt, denen sie sich in einem ihr ungeeignet scheinenden
Augenblicks unterordnen müßte. Und darin sehe ich auch ein wesentliches Gefahren-
Moment, das in der russischen Diplomatie der Gegenwart liegt.
So ist es denn auch kein Wunder, daß der deutsche Geschäftsmann, der
langjährige Verbindungen mit dem russischen Nachbarlande hat, von dessen Wohl¬
stand sein persönlicher Wohlstand, das Bestehen vielleicht seiner Firma abhängig
ist. daß der Geschäftsmann, dem natürlich weder das Treiben der Demokratie,
noch die nervöse Unruhe bei Polen, Juden, Ruthenen verborgen bleibt, häufiger
die Frage an uns richtet: „Gibt es Krieg? Hat Rußland die Absicht Krieg zu
führen?"
Über eins wollen wir uns keinen Illusionen hingeben: der Kampf gegen
Deutschland ist gegenwärtig in ganz Rußland populär; die Frage bleibt, ob die
Kampflust bereits eine Temperatur erreicht hat, daß man von Kriegslust oder
gar von bestimmten kriegerischen Absichten sprechen könnte.
In bestimmten Kreisen, die heute einen Teil der Diplomatie und wohl die
gesamte Armee umfassen, besteht eine ungeheuere Lust, sich mit den Deutschen zu
messen, die so lange und auf so vielen Gebieten Rußlands Lehrmeister gewesen
send. In jenen Kreisen herrscht obendrein schon seit mehr als vierzig Jahren die
Auffassung, Deutschland habe es auf die ehemals polnischen und littauischen
Landesteile sowie auf die baltischen Provinzen abgesehen. Das gibt einen
kräftigen Anreiz, der der Ausbildung der Armee zugute kommt: man will die
Scharte in Ostasien am deutschen Stein auswetzen. Entsprechend sind die für die
Ausbildung angewandten Maßstäbe, entsprechend ist auch der Eifer der russischen
Offiziere. Die Deutschen zu schlagen, wäre ihnen eine außerordentliche Genug-
tuung!
Die Regierung des Zaren hat von ihrem Standpunkt aus keine Veranlassung,
der gekennzeichneten Stimmung entgegenzuwirken! sie lenkt von den innerpolMschen
Fragen ab, konzentriert die Aufmerksamkeit auf einen ausländischen Gegner, stärkt
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