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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem
ihn sein verstorbener Herr Vater nun einmal bestimmt hätte.

Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und
es langsam durchbuchstabiert hatte. Denn Schreiben und Lesen waren nicht
ihre Stärke, und den Brief an ihren Bruder hatte sie von ihrem Kaplan ver¬
fassen lassen. Diese Antwort entzifferte sie nun allein und seufzte dazu.

"Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher
zu ihrem Mann, der unbeweglich in seinem Lehnstuhl saß. "Immer für die
Bücher und für die Gelehrsamkeit. Die heilige Jungfrau mag wissen, wo er es
her hat. Der Herr Vater schoß doch lieber Wildsauen, als daß er ein Feder¬
rohr in die Hand nahm. Und der Herr Großvater ist im Krieg gefallen.
Wo mag der Bastei sein gelehrtes Wesen herhaben?"

Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so
wischte Frau Emmeline ihrem Ältesten das schmutzige Gesicht, und zog dem
Zweitältesten das Wämschen aus, weil er es im Kampf mit den Andernacher
Straßenjungen zerrissen hatte. Und schob ihren Bruder Sebastian so weit aus
ihren Gedanken, wie es eben ging. Denn sie hatte ihn lieb, und er war ihr
immer als etwas besonderes erschienen, schon deswegen, weil er ja einstmals
ein Domherr werden sollte, der sich nicht um schmutzige Kinder und um die
alltägliche Not des Lebens zu kümmern brauchte. Und jetzt, da er von seiner
Besonderheit hinabsteigen sollte, kam es ihr vor. als liebte sie ihn noch mehr.
Er aber wollte nicht umsorgt sein -- also mußte sie wieder an andres denken.

Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬
lichen Garten flog: dazumal geschah so viel in der Welt, daß kleine Ereignisse
gleich wieder vergessen wurden. Sebastian vergaß sie natürlich nicht. Er sah
ja jeden Tag das Loch in der Mauer und die weite Welt dahinten. Und
obgleich er an die heilige Frau denken wollte, deren Leben er beschrieb, so stand
er doch manchmal an der Mauer und dachte an die Franzleute, die Trier jetzt
erobert hatten und die dort so übel hausten, daß die traurigsten Geschichten
über die Berge und hierher flatterten. Sebastian konnte sich eigentlich kaum
denken, daß die Soldaten des französischen Ludwigs so schlecht sein konnten.
Ja, wenn es noch Ketzer gewesen wären! Von der Art, wie sie jetzt sich dem
Rhein näherten, und auf die das arme Land hoffte. norddeutsche waren es:
Braunschweiger und andere Völker, die sich lutherisch nannten und weder an
Wunder glaubten noch an Heilige. Wenn Sebastian die Welt zu regieren
gehabt hätte, dann würden alle Ketzer verbrannt werden, und alle Christ¬
katholische nahmen Friedenspalmen in die Hand und regierten die Lande mit
Sanftmut und Güte. Aber Ludwig von Frankreich war andrer Ansicht. Seine
Soldaten gingen in die Messe, beteten den Rosenkranz und nannten sich katholisch.
Aber sie zerstörten die Städte der katholischen Rheinländer, entehrten die Frauen,
töteten die Kinder und ließen die Männer unter Qualen sterben. Sie benahmen sich
wie Teufel, und die Lutherischen aus dem Norden mußten kommen, sie zu vertreiben.


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Die Hexe von Mayen

lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem
ihn sein verstorbener Herr Vater nun einmal bestimmt hätte.

Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und
es langsam durchbuchstabiert hatte. Denn Schreiben und Lesen waren nicht
ihre Stärke, und den Brief an ihren Bruder hatte sie von ihrem Kaplan ver¬
fassen lassen. Diese Antwort entzifferte sie nun allein und seufzte dazu.

„Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher
zu ihrem Mann, der unbeweglich in seinem Lehnstuhl saß. „Immer für die
Bücher und für die Gelehrsamkeit. Die heilige Jungfrau mag wissen, wo er es
her hat. Der Herr Vater schoß doch lieber Wildsauen, als daß er ein Feder¬
rohr in die Hand nahm. Und der Herr Großvater ist im Krieg gefallen.
Wo mag der Bastei sein gelehrtes Wesen herhaben?"

Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so
wischte Frau Emmeline ihrem Ältesten das schmutzige Gesicht, und zog dem
Zweitältesten das Wämschen aus, weil er es im Kampf mit den Andernacher
Straßenjungen zerrissen hatte. Und schob ihren Bruder Sebastian so weit aus
ihren Gedanken, wie es eben ging. Denn sie hatte ihn lieb, und er war ihr
immer als etwas besonderes erschienen, schon deswegen, weil er ja einstmals
ein Domherr werden sollte, der sich nicht um schmutzige Kinder und um die
alltägliche Not des Lebens zu kümmern brauchte. Und jetzt, da er von seiner
Besonderheit hinabsteigen sollte, kam es ihr vor. als liebte sie ihn noch mehr.
Er aber wollte nicht umsorgt sein — also mußte sie wieder an andres denken.

Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬
lichen Garten flog: dazumal geschah so viel in der Welt, daß kleine Ereignisse
gleich wieder vergessen wurden. Sebastian vergaß sie natürlich nicht. Er sah
ja jeden Tag das Loch in der Mauer und die weite Welt dahinten. Und
obgleich er an die heilige Frau denken wollte, deren Leben er beschrieb, so stand
er doch manchmal an der Mauer und dachte an die Franzleute, die Trier jetzt
erobert hatten und die dort so übel hausten, daß die traurigsten Geschichten
über die Berge und hierher flatterten. Sebastian konnte sich eigentlich kaum
denken, daß die Soldaten des französischen Ludwigs so schlecht sein konnten.
Ja, wenn es noch Ketzer gewesen wären! Von der Art, wie sie jetzt sich dem
Rhein näherten, und auf die das arme Land hoffte. norddeutsche waren es:
Braunschweiger und andere Völker, die sich lutherisch nannten und weder an
Wunder glaubten noch an Heilige. Wenn Sebastian die Welt zu regieren
gehabt hätte, dann würden alle Ketzer verbrannt werden, und alle Christ¬
katholische nahmen Friedenspalmen in die Hand und regierten die Lande mit
Sanftmut und Güte. Aber Ludwig von Frankreich war andrer Ansicht. Seine
Soldaten gingen in die Messe, beteten den Rosenkranz und nannten sich katholisch.
Aber sie zerstörten die Städte der katholischen Rheinländer, entehrten die Frauen,
töteten die Kinder und ließen die Männer unter Qualen sterben. Sie benahmen sich
wie Teufel, und die Lutherischen aus dem Norden mußten kommen, sie zu vertreiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/47>, abgerufen am 29.12.2024.