Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Die Hexe von Mayen lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und "Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬ g"
Die Hexe von Mayen lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und „Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬ g«
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327513"/> <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/> <p xml:id="ID_97" prev="#ID_96"> lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem<lb/> ihn sein verstorbener Herr Vater nun einmal bestimmt hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_98"> Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und<lb/> es langsam durchbuchstabiert hatte. Denn Schreiben und Lesen waren nicht<lb/> ihre Stärke, und den Brief an ihren Bruder hatte sie von ihrem Kaplan ver¬<lb/> fassen lassen. Diese Antwort entzifferte sie nun allein und seufzte dazu.</p><lb/> <p xml:id="ID_99"> „Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher<lb/> zu ihrem Mann, der unbeweglich in seinem Lehnstuhl saß. „Immer für die<lb/> Bücher und für die Gelehrsamkeit. Die heilige Jungfrau mag wissen, wo er es<lb/> her hat. Der Herr Vater schoß doch lieber Wildsauen, als daß er ein Feder¬<lb/> rohr in die Hand nahm. Und der Herr Großvater ist im Krieg gefallen.<lb/> Wo mag der Bastei sein gelehrtes Wesen herhaben?"</p><lb/> <p xml:id="ID_100"> Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so<lb/> wischte Frau Emmeline ihrem Ältesten das schmutzige Gesicht, und zog dem<lb/> Zweitältesten das Wämschen aus, weil er es im Kampf mit den Andernacher<lb/> Straßenjungen zerrissen hatte. Und schob ihren Bruder Sebastian so weit aus<lb/> ihren Gedanken, wie es eben ging. Denn sie hatte ihn lieb, und er war ihr<lb/> immer als etwas besonderes erschienen, schon deswegen, weil er ja einstmals<lb/> ein Domherr werden sollte, der sich nicht um schmutzige Kinder und um die<lb/> alltägliche Not des Lebens zu kümmern brauchte. Und jetzt, da er von seiner<lb/> Besonderheit hinabsteigen sollte, kam es ihr vor. als liebte sie ihn noch mehr.<lb/> Er aber wollte nicht umsorgt sein — also mußte sie wieder an andres denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬<lb/> lichen Garten flog: dazumal geschah so viel in der Welt, daß kleine Ereignisse<lb/> gleich wieder vergessen wurden. Sebastian vergaß sie natürlich nicht. Er sah<lb/> ja jeden Tag das Loch in der Mauer und die weite Welt dahinten. Und<lb/> obgleich er an die heilige Frau denken wollte, deren Leben er beschrieb, so stand<lb/> er doch manchmal an der Mauer und dachte an die Franzleute, die Trier jetzt<lb/> erobert hatten und die dort so übel hausten, daß die traurigsten Geschichten<lb/> über die Berge und hierher flatterten. Sebastian konnte sich eigentlich kaum<lb/> denken, daß die Soldaten des französischen Ludwigs so schlecht sein konnten.<lb/> Ja, wenn es noch Ketzer gewesen wären! Von der Art, wie sie jetzt sich dem<lb/> Rhein näherten, und auf die das arme Land hoffte. norddeutsche waren es:<lb/> Braunschweiger und andere Völker, die sich lutherisch nannten und weder an<lb/> Wunder glaubten noch an Heilige. Wenn Sebastian die Welt zu regieren<lb/> gehabt hätte, dann würden alle Ketzer verbrannt werden, und alle Christ¬<lb/> katholische nahmen Friedenspalmen in die Hand und regierten die Lande mit<lb/> Sanftmut und Güte. Aber Ludwig von Frankreich war andrer Ansicht. Seine<lb/> Soldaten gingen in die Messe, beteten den Rosenkranz und nannten sich katholisch.<lb/> Aber sie zerstörten die Städte der katholischen Rheinländer, entehrten die Frauen,<lb/> töteten die Kinder und ließen die Männer unter Qualen sterben. Sie benahmen sich<lb/> wie Teufel, und die Lutherischen aus dem Norden mußten kommen, sie zu vertreiben.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> g«</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Die Hexe von Mayen
lieber dei dem bleiben wollte, das er sich einmal vorgenommen und zu dem
ihn sein verstorbener Herr Vater nun einmal bestimmt hätte.
Frau Emmeline schüttelte den Kopf, als sie dieses Schreiben erhielt und
es langsam durchbuchstabiert hatte. Denn Schreiben und Lesen waren nicht
ihre Stärke, und den Brief an ihren Bruder hatte sie von ihrem Kaplan ver¬
fassen lassen. Diese Antwort entzifferte sie nun allein und seufzte dazu.
„Der Bastei ist immer ein besonderes Kraut gewesen!" sagte sie nachher
zu ihrem Mann, der unbeweglich in seinem Lehnstuhl saß. „Immer für die
Bücher und für die Gelehrsamkeit. Die heilige Jungfrau mag wissen, wo er es
her hat. Der Herr Vater schoß doch lieber Wildsauen, als daß er ein Feder¬
rohr in die Hand nahm. Und der Herr Großvater ist im Krieg gefallen.
Wo mag der Bastei sein gelehrtes Wesen herhaben?"
Aber da Herr Diedrich mürrisch entgegnete, daß er es nicht wisse, so
wischte Frau Emmeline ihrem Ältesten das schmutzige Gesicht, und zog dem
Zweitältesten das Wämschen aus, weil er es im Kampf mit den Andernacher
Straßenjungen zerrissen hatte. Und schob ihren Bruder Sebastian so weit aus
ihren Gedanken, wie es eben ging. Denn sie hatte ihn lieb, und er war ihr
immer als etwas besonderes erschienen, schon deswegen, weil er ja einstmals
ein Domherr werden sollte, der sich nicht um schmutzige Kinder und um die
alltägliche Not des Lebens zu kümmern brauchte. Und jetzt, da er von seiner
Besonderheit hinabsteigen sollte, kam es ihr vor. als liebte sie ihn noch mehr.
Er aber wollte nicht umsorgt sein — also mußte sie wieder an andres denken.
Sie ahnte nicht, daß die französische Haubitzenkugel in Sebastians fried¬
lichen Garten flog: dazumal geschah so viel in der Welt, daß kleine Ereignisse
gleich wieder vergessen wurden. Sebastian vergaß sie natürlich nicht. Er sah
ja jeden Tag das Loch in der Mauer und die weite Welt dahinten. Und
obgleich er an die heilige Frau denken wollte, deren Leben er beschrieb, so stand
er doch manchmal an der Mauer und dachte an die Franzleute, die Trier jetzt
erobert hatten und die dort so übel hausten, daß die traurigsten Geschichten
über die Berge und hierher flatterten. Sebastian konnte sich eigentlich kaum
denken, daß die Soldaten des französischen Ludwigs so schlecht sein konnten.
Ja, wenn es noch Ketzer gewesen wären! Von der Art, wie sie jetzt sich dem
Rhein näherten, und auf die das arme Land hoffte. norddeutsche waren es:
Braunschweiger und andere Völker, die sich lutherisch nannten und weder an
Wunder glaubten noch an Heilige. Wenn Sebastian die Welt zu regieren
gehabt hätte, dann würden alle Ketzer verbrannt werden, und alle Christ¬
katholische nahmen Friedenspalmen in die Hand und regierten die Lande mit
Sanftmut und Güte. Aber Ludwig von Frankreich war andrer Ansicht. Seine
Soldaten gingen in die Messe, beteten den Rosenkranz und nannten sich katholisch.
Aber sie zerstörten die Städte der katholischen Rheinländer, entehrten die Frauen,
töteten die Kinder und ließen die Männer unter Qualen sterben. Sie benahmen sich
wie Teufel, und die Lutherischen aus dem Norden mußten kommen, sie zu vertreiben.
g«
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |