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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

abziehen und ertappte sich auf dem Wunsch, hinter ihm herlaufen und ihn
zusammenhauen zu dürfen. Ein Wunsch, dessen er sich gleich schämte. Denn
wollte er nicht ein Diener der Kirche und somit ein Mann des Friedens
werden? Zwar hatte der Kurfürst von Trier ein Schreiben an die jungen
adligen Herren erlassen, die von ihren Eltern ins Domstift zu Trier einge¬
schrieben waren. In diesem Schreiben sagte er, daß diejenigen, die noch nicht
die kirchlichen Weihen empfangen hätten, lieber einen andern als gerade den
geistlichen Beruf ergreifen sollten. Denn das Domstift hatte der schlechten
Zeiten wegen aufgelöst werden müssen, und die Franzosen legten die Hand
auf alles Eigentum der Kirche.

Dieses Schreiben hatte bewirkt, daß mancher junge Herr, der geglaubt
hatte, als zukünftiges Mitglied des reichen Domkapitels ein gutes Leben führen
zu können, verstimmt wurde. War es doch nicht leicht, in diesen Zeiten einen
anderen Beruf zu finden, der mühelos etwas einbrachte. Aber einige sahen
ein, daß der Kurfürst es nicht schlecht mit ihnen meinte, und sie wurden Sol¬
daten oder suchten sich an fremden Höfen durchzuschlagen so gut es eben ging.
Auch Frau Emmeline von Kolben in Andernach schrieb an ihren Bruder
Sebastian, er möge das Studium der heiligen Sachen aufgeben und zu ihr
kommen. Sie hatte nicht gerade viel. Nur einen Weinberg, einen kranken
Mann und ein halbes Dutzend Kinder, die alle des Unterrichts bedurften.
Wenn der Bruder ihr in dem Weinberg und bei den Kindern helfen wollte, dann
hätte sie ein Zimmer für ihn und zwei gute Anzüge von ihrem Diedrich, die
er doch sicher nicht mehr tragen würde, da er gelähmt war. Und dicht bei
Andernach wohnten die Nickenichs mit einer großen und schönen Tochter. Sie
sollten ziemlich viel Geld in der Erde vergraben haben, und ihre Weinberge
trugen gut, wenn nicht der Feind sie zertrampelte. Also möchte Sebastian
kommen, sobald er Gelegenheit hätte, und der Schlachtermeister Lövenich aus
der Rheingasse führe nächstens nach Manen, um einige Schweine zu kaufen.
Auf seinen Wagen könnten Sebastians Habseligkeiten gelegt werden, und er
selbst möge nur einen blauen Kittel anlegen, und neben Meister Lövenich her¬
gehen. Damit niemand in ihm einen adligen Herrn vermutete, der in dieser
Zeit von den Soldaten, mochten sie Freund oder Feind sein, besonders scheel
angesehen würde.

Dieser Brief war vor etwa zwei Monaten in Herrn Sebastians Hände
gelangt, und er hatte ihn bald beantwortet. Frau Emmeline war eine von
den empfindlichen Frauen, wie Sebastian mit einem leichten Lächeln zu sich
selbst bemerkte. Daher schrieb er ihr nicht, daß er sich bedankte, in ihrem
Weinberg die Reben zu beschneiden und ihren unartigen Kindern Schreiben
und Lesen zu lehren. Er äußerte sich auch nicht darüber, daß Herr Diedrich
von Kolben ein dicker, schwerer Mann war, dessen Anzüge dem schlanken
Sebastian um die Glieder schlottern würden. Er schrieb nur ganz kurz, daß
er seiner lieben Frau Schwester für ihre Anerbieten herzlich danke, aber doch


Die Hexe von Mayen

abziehen und ertappte sich auf dem Wunsch, hinter ihm herlaufen und ihn
zusammenhauen zu dürfen. Ein Wunsch, dessen er sich gleich schämte. Denn
wollte er nicht ein Diener der Kirche und somit ein Mann des Friedens
werden? Zwar hatte der Kurfürst von Trier ein Schreiben an die jungen
adligen Herren erlassen, die von ihren Eltern ins Domstift zu Trier einge¬
schrieben waren. In diesem Schreiben sagte er, daß diejenigen, die noch nicht
die kirchlichen Weihen empfangen hätten, lieber einen andern als gerade den
geistlichen Beruf ergreifen sollten. Denn das Domstift hatte der schlechten
Zeiten wegen aufgelöst werden müssen, und die Franzosen legten die Hand
auf alles Eigentum der Kirche.

Dieses Schreiben hatte bewirkt, daß mancher junge Herr, der geglaubt
hatte, als zukünftiges Mitglied des reichen Domkapitels ein gutes Leben führen
zu können, verstimmt wurde. War es doch nicht leicht, in diesen Zeiten einen
anderen Beruf zu finden, der mühelos etwas einbrachte. Aber einige sahen
ein, daß der Kurfürst es nicht schlecht mit ihnen meinte, und sie wurden Sol¬
daten oder suchten sich an fremden Höfen durchzuschlagen so gut es eben ging.
Auch Frau Emmeline von Kolben in Andernach schrieb an ihren Bruder
Sebastian, er möge das Studium der heiligen Sachen aufgeben und zu ihr
kommen. Sie hatte nicht gerade viel. Nur einen Weinberg, einen kranken
Mann und ein halbes Dutzend Kinder, die alle des Unterrichts bedurften.
Wenn der Bruder ihr in dem Weinberg und bei den Kindern helfen wollte, dann
hätte sie ein Zimmer für ihn und zwei gute Anzüge von ihrem Diedrich, die
er doch sicher nicht mehr tragen würde, da er gelähmt war. Und dicht bei
Andernach wohnten die Nickenichs mit einer großen und schönen Tochter. Sie
sollten ziemlich viel Geld in der Erde vergraben haben, und ihre Weinberge
trugen gut, wenn nicht der Feind sie zertrampelte. Also möchte Sebastian
kommen, sobald er Gelegenheit hätte, und der Schlachtermeister Lövenich aus
der Rheingasse führe nächstens nach Manen, um einige Schweine zu kaufen.
Auf seinen Wagen könnten Sebastians Habseligkeiten gelegt werden, und er
selbst möge nur einen blauen Kittel anlegen, und neben Meister Lövenich her¬
gehen. Damit niemand in ihm einen adligen Herrn vermutete, der in dieser
Zeit von den Soldaten, mochten sie Freund oder Feind sein, besonders scheel
angesehen würde.

Dieser Brief war vor etwa zwei Monaten in Herrn Sebastians Hände
gelangt, und er hatte ihn bald beantwortet. Frau Emmeline war eine von
den empfindlichen Frauen, wie Sebastian mit einem leichten Lächeln zu sich
selbst bemerkte. Daher schrieb er ihr nicht, daß er sich bedankte, in ihrem
Weinberg die Reben zu beschneiden und ihren unartigen Kindern Schreiben
und Lesen zu lehren. Er äußerte sich auch nicht darüber, daß Herr Diedrich
von Kolben ein dicker, schwerer Mann war, dessen Anzüge dem schlanken
Sebastian um die Glieder schlottern würden. Er schrieb nur ganz kurz, daß
er seiner lieben Frau Schwester für ihre Anerbieten herzlich danke, aber doch


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[0046] Die Hexe von Mayen abziehen und ertappte sich auf dem Wunsch, hinter ihm herlaufen und ihn zusammenhauen zu dürfen. Ein Wunsch, dessen er sich gleich schämte. Denn wollte er nicht ein Diener der Kirche und somit ein Mann des Friedens werden? Zwar hatte der Kurfürst von Trier ein Schreiben an die jungen adligen Herren erlassen, die von ihren Eltern ins Domstift zu Trier einge¬ schrieben waren. In diesem Schreiben sagte er, daß diejenigen, die noch nicht die kirchlichen Weihen empfangen hätten, lieber einen andern als gerade den geistlichen Beruf ergreifen sollten. Denn das Domstift hatte der schlechten Zeiten wegen aufgelöst werden müssen, und die Franzosen legten die Hand auf alles Eigentum der Kirche. Dieses Schreiben hatte bewirkt, daß mancher junge Herr, der geglaubt hatte, als zukünftiges Mitglied des reichen Domkapitels ein gutes Leben führen zu können, verstimmt wurde. War es doch nicht leicht, in diesen Zeiten einen anderen Beruf zu finden, der mühelos etwas einbrachte. Aber einige sahen ein, daß der Kurfürst es nicht schlecht mit ihnen meinte, und sie wurden Sol¬ daten oder suchten sich an fremden Höfen durchzuschlagen so gut es eben ging. Auch Frau Emmeline von Kolben in Andernach schrieb an ihren Bruder Sebastian, er möge das Studium der heiligen Sachen aufgeben und zu ihr kommen. Sie hatte nicht gerade viel. Nur einen Weinberg, einen kranken Mann und ein halbes Dutzend Kinder, die alle des Unterrichts bedurften. Wenn der Bruder ihr in dem Weinberg und bei den Kindern helfen wollte, dann hätte sie ein Zimmer für ihn und zwei gute Anzüge von ihrem Diedrich, die er doch sicher nicht mehr tragen würde, da er gelähmt war. Und dicht bei Andernach wohnten die Nickenichs mit einer großen und schönen Tochter. Sie sollten ziemlich viel Geld in der Erde vergraben haben, und ihre Weinberge trugen gut, wenn nicht der Feind sie zertrampelte. Also möchte Sebastian kommen, sobald er Gelegenheit hätte, und der Schlachtermeister Lövenich aus der Rheingasse führe nächstens nach Manen, um einige Schweine zu kaufen. Auf seinen Wagen könnten Sebastians Habseligkeiten gelegt werden, und er selbst möge nur einen blauen Kittel anlegen, und neben Meister Lövenich her¬ gehen. Damit niemand in ihm einen adligen Herrn vermutete, der in dieser Zeit von den Soldaten, mochten sie Freund oder Feind sein, besonders scheel angesehen würde. Dieser Brief war vor etwa zwei Monaten in Herrn Sebastians Hände gelangt, und er hatte ihn bald beantwortet. Frau Emmeline war eine von den empfindlichen Frauen, wie Sebastian mit einem leichten Lächeln zu sich selbst bemerkte. Daher schrieb er ihr nicht, daß er sich bedankte, in ihrem Weinberg die Reben zu beschneiden und ihren unartigen Kindern Schreiben und Lesen zu lehren. Er äußerte sich auch nicht darüber, daß Herr Diedrich von Kolben ein dicker, schwerer Mann war, dessen Anzüge dem schlanken Sebastian um die Glieder schlottern würden. Er schrieb nur ganz kurz, daß er seiner lieben Frau Schwester für ihre Anerbieten herzlich danke, aber doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/46>, abgerufen am 29.12.2024.