Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Streifzug durch die neueste philosophische Literatur

Kulwrbegriff ist allein haltbar, jeder andere unhaltbar, ja lächerlich. Über das
humanistische Kulturideal urteilt Ostwald folgendermaßen (S. 267): "Die Träger
jener künstlichen Kultur, welche Schiller als Ideal vorgeschwebt hat, finden wir
noch gegenwärtig bei den Vertretern der klassischen Philologie und ihren geistigen
Hörigen. Nun wird man vergeblich die Entwicklungsgeschichte des ganzen seitdem
verflossenen Jahrhunderts durchsuchen können, wenn man den Anteil nachweisen
möchte, welchen die Pfleger und Wahrer jener nach ihrer Meinung höchsten Kultur
an der kulturellen Entwicklung des deutschen oder irgendeines anderen Volkes
gehabt haben ... Kein einziger von den zahlreichen großen schöpferischen Männern,
denen wir die gegenwärtige Höhe der deutschen Kultur verdanken, ist ein klassischer
Philologe gewesen. Ja, die Idee, daß unsere Kultur irgend etwas mit den
Vertretern dieser Disziplinen zu tun habe, kommt uns unwillkürlich komisch vor,
weil jeder Deutsche ein ausreichend genaues Bild von der überaus weitgehenden
Weltfremdheit und Unzulänglichkeit der Anschauungen hat, welche bei den Vertretern
dieser Disziplin angetroffen werden." Der Verfasser dieser hämischen Verunglimpfung
der Philologie nennt an anderer Stelle seiner Schrift die Fachphilosophen "amt¬
lich angestellte Dilettanten auf naturwissenschaftlichem Gebiete. (S. 66.) Es ist
erfreulich, daß Ostwald selbst nicht die heutige Naturwissenschaft typisch repräsentiert.
Denn sonst wäre ein Naturwissenschafter ein "amtlich angestellter Dilettant auf
geisteswissenschaftlichem Gebiete". Doch meint ich beleidige die Dilettanten, indem
ich sie in solche Gesellschaft bringe. Ein Dilettant kann ein gebildeter Mensch sein
und mancher Dilettant mit feinfühligen Herzen und weitem, freien Geiste über¬
trifft an Bildung manchen taktlosen, gefühlsrohen und enggeistigen Gelehrten.
Geistiger Hochmut und Intoleranz -- Unduldsamkeit gegen fremde Ansichten und
fremde Art der Geistesbetätigung -- sind die Merkmale eines ungebildeten Menschen.
Wenn man mich fragt, wo solcher Hochmut und solche Unduldsamkeit in der
"modernen Wissenschaft" zu finden seien, so weise ich auf Ostwalds Kulturphilosopie
als "klassisches" Beispiel hin. Deutschland, hüte dich vor einer solchen "Kultur"!

Wiederum war es mir schmerzlich, so harte Worte sprechen zu müssen. Aber
im Kampf gegen Unbildung sind Schonung und Rücksicht gefährlich, und auf
einen groben Klotz gehört ein grober Keil!




Grenzboten Zs"
Ein Streifzug durch die neueste philosophische Literatur

Kulwrbegriff ist allein haltbar, jeder andere unhaltbar, ja lächerlich. Über das
humanistische Kulturideal urteilt Ostwald folgendermaßen (S. 267): „Die Träger
jener künstlichen Kultur, welche Schiller als Ideal vorgeschwebt hat, finden wir
noch gegenwärtig bei den Vertretern der klassischen Philologie und ihren geistigen
Hörigen. Nun wird man vergeblich die Entwicklungsgeschichte des ganzen seitdem
verflossenen Jahrhunderts durchsuchen können, wenn man den Anteil nachweisen
möchte, welchen die Pfleger und Wahrer jener nach ihrer Meinung höchsten Kultur
an der kulturellen Entwicklung des deutschen oder irgendeines anderen Volkes
gehabt haben ... Kein einziger von den zahlreichen großen schöpferischen Männern,
denen wir die gegenwärtige Höhe der deutschen Kultur verdanken, ist ein klassischer
Philologe gewesen. Ja, die Idee, daß unsere Kultur irgend etwas mit den
Vertretern dieser Disziplinen zu tun habe, kommt uns unwillkürlich komisch vor,
weil jeder Deutsche ein ausreichend genaues Bild von der überaus weitgehenden
Weltfremdheit und Unzulänglichkeit der Anschauungen hat, welche bei den Vertretern
dieser Disziplin angetroffen werden." Der Verfasser dieser hämischen Verunglimpfung
der Philologie nennt an anderer Stelle seiner Schrift die Fachphilosophen „amt¬
lich angestellte Dilettanten auf naturwissenschaftlichem Gebiete. (S. 66.) Es ist
erfreulich, daß Ostwald selbst nicht die heutige Naturwissenschaft typisch repräsentiert.
Denn sonst wäre ein Naturwissenschafter ein „amtlich angestellter Dilettant auf
geisteswissenschaftlichem Gebiete". Doch meint ich beleidige die Dilettanten, indem
ich sie in solche Gesellschaft bringe. Ein Dilettant kann ein gebildeter Mensch sein
und mancher Dilettant mit feinfühligen Herzen und weitem, freien Geiste über¬
trifft an Bildung manchen taktlosen, gefühlsrohen und enggeistigen Gelehrten.
Geistiger Hochmut und Intoleranz — Unduldsamkeit gegen fremde Ansichten und
fremde Art der Geistesbetätigung — sind die Merkmale eines ungebildeten Menschen.
Wenn man mich fragt, wo solcher Hochmut und solche Unduldsamkeit in der
„modernen Wissenschaft" zu finden seien, so weise ich auf Ostwalds Kulturphilosopie
als „klassisches" Beispiel hin. Deutschland, hüte dich vor einer solchen „Kultur"!

Wiederum war es mir schmerzlich, so harte Worte sprechen zu müssen. Aber
im Kampf gegen Unbildung sind Schonung und Rücksicht gefährlich, und auf
einen groben Klotz gehört ein grober Keil!




Grenzboten Zs»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327927"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Streifzug durch die neueste philosophische Literatur</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2125" prev="#ID_2124"> Kulwrbegriff ist allein haltbar, jeder andere unhaltbar, ja lächerlich. Über das<lb/>
humanistische Kulturideal urteilt Ostwald folgendermaßen (S. 267): &#x201E;Die Träger<lb/>
jener künstlichen Kultur, welche Schiller als Ideal vorgeschwebt hat, finden wir<lb/>
noch gegenwärtig bei den Vertretern der klassischen Philologie und ihren geistigen<lb/>
Hörigen. Nun wird man vergeblich die Entwicklungsgeschichte des ganzen seitdem<lb/>
verflossenen Jahrhunderts durchsuchen können, wenn man den Anteil nachweisen<lb/>
möchte, welchen die Pfleger und Wahrer jener nach ihrer Meinung höchsten Kultur<lb/>
an der kulturellen Entwicklung des deutschen oder irgendeines anderen Volkes<lb/>
gehabt haben ... Kein einziger von den zahlreichen großen schöpferischen Männern,<lb/>
denen wir die gegenwärtige Höhe der deutschen Kultur verdanken, ist ein klassischer<lb/>
Philologe gewesen. Ja, die Idee, daß unsere Kultur irgend etwas mit den<lb/>
Vertretern dieser Disziplinen zu tun habe, kommt uns unwillkürlich komisch vor,<lb/>
weil jeder Deutsche ein ausreichend genaues Bild von der überaus weitgehenden<lb/>
Weltfremdheit und Unzulänglichkeit der Anschauungen hat, welche bei den Vertretern<lb/>
dieser Disziplin angetroffen werden." Der Verfasser dieser hämischen Verunglimpfung<lb/>
der Philologie nennt an anderer Stelle seiner Schrift die Fachphilosophen &#x201E;amt¬<lb/>
lich angestellte Dilettanten auf naturwissenschaftlichem Gebiete. (S. 66.) Es ist<lb/>
erfreulich, daß Ostwald selbst nicht die heutige Naturwissenschaft typisch repräsentiert.<lb/>
Denn sonst wäre ein Naturwissenschafter ein &#x201E;amtlich angestellter Dilettant auf<lb/>
geisteswissenschaftlichem Gebiete". Doch meint ich beleidige die Dilettanten, indem<lb/>
ich sie in solche Gesellschaft bringe. Ein Dilettant kann ein gebildeter Mensch sein<lb/>
und mancher Dilettant mit feinfühligen Herzen und weitem, freien Geiste über¬<lb/>
trifft an Bildung manchen taktlosen, gefühlsrohen und enggeistigen Gelehrten.<lb/>
Geistiger Hochmut und Intoleranz &#x2014; Unduldsamkeit gegen fremde Ansichten und<lb/>
fremde Art der Geistesbetätigung &#x2014; sind die Merkmale eines ungebildeten Menschen.<lb/>
Wenn man mich fragt, wo solcher Hochmut und solche Unduldsamkeit in der<lb/>
&#x201E;modernen Wissenschaft" zu finden seien, so weise ich auf Ostwalds Kulturphilosopie<lb/>
als &#x201E;klassisches" Beispiel hin. Deutschland, hüte dich vor einer solchen &#x201E;Kultur"!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2126"> Wiederum war es mir schmerzlich, so harte Worte sprechen zu müssen. Aber<lb/>
im Kampf gegen Unbildung sind Schonung und Rücksicht gefährlich, und auf<lb/>
einen groben Klotz gehört ein grober Keil!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten Zs»</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] Ein Streifzug durch die neueste philosophische Literatur Kulwrbegriff ist allein haltbar, jeder andere unhaltbar, ja lächerlich. Über das humanistische Kulturideal urteilt Ostwald folgendermaßen (S. 267): „Die Träger jener künstlichen Kultur, welche Schiller als Ideal vorgeschwebt hat, finden wir noch gegenwärtig bei den Vertretern der klassischen Philologie und ihren geistigen Hörigen. Nun wird man vergeblich die Entwicklungsgeschichte des ganzen seitdem verflossenen Jahrhunderts durchsuchen können, wenn man den Anteil nachweisen möchte, welchen die Pfleger und Wahrer jener nach ihrer Meinung höchsten Kultur an der kulturellen Entwicklung des deutschen oder irgendeines anderen Volkes gehabt haben ... Kein einziger von den zahlreichen großen schöpferischen Männern, denen wir die gegenwärtige Höhe der deutschen Kultur verdanken, ist ein klassischer Philologe gewesen. Ja, die Idee, daß unsere Kultur irgend etwas mit den Vertretern dieser Disziplinen zu tun habe, kommt uns unwillkürlich komisch vor, weil jeder Deutsche ein ausreichend genaues Bild von der überaus weitgehenden Weltfremdheit und Unzulänglichkeit der Anschauungen hat, welche bei den Vertretern dieser Disziplin angetroffen werden." Der Verfasser dieser hämischen Verunglimpfung der Philologie nennt an anderer Stelle seiner Schrift die Fachphilosophen „amt¬ lich angestellte Dilettanten auf naturwissenschaftlichem Gebiete. (S. 66.) Es ist erfreulich, daß Ostwald selbst nicht die heutige Naturwissenschaft typisch repräsentiert. Denn sonst wäre ein Naturwissenschafter ein „amtlich angestellter Dilettant auf geisteswissenschaftlichem Gebiete". Doch meint ich beleidige die Dilettanten, indem ich sie in solche Gesellschaft bringe. Ein Dilettant kann ein gebildeter Mensch sein und mancher Dilettant mit feinfühligen Herzen und weitem, freien Geiste über¬ trifft an Bildung manchen taktlosen, gefühlsrohen und enggeistigen Gelehrten. Geistiger Hochmut und Intoleranz — Unduldsamkeit gegen fremde Ansichten und fremde Art der Geistesbetätigung — sind die Merkmale eines ungebildeten Menschen. Wenn man mich fragt, wo solcher Hochmut und solche Unduldsamkeit in der „modernen Wissenschaft" zu finden seien, so weise ich auf Ostwalds Kulturphilosopie als „klassisches" Beispiel hin. Deutschland, hüte dich vor einer solchen „Kultur"! Wiederum war es mir schmerzlich, so harte Worte sprechen zu müssen. Aber im Kampf gegen Unbildung sind Schonung und Rücksicht gefährlich, und auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil! Grenzboten Zs»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/461>, abgerufen am 29.12.2024.