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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Rüstungen

sondern um die Grade der Schädlichkeit für den einen und für den anderen
Teil. In dieser Fragestellung aber liegt der Grund dafür, daß in der diplo¬
matischen Geschichte unseres Zeitalters der Bluff eine so große Rolle spielt, wie
in keiner früheren Zeit. Er ist das Hauptrcquisit der diplomatischen Methode
geworden. Der Charakter des diplomatischen Spiels hat sich geändert. Wenn
zwischen zwei streitenden Teilen niemand den Krieg will, so wird nicht immer
der Mächtigere, das heißt der, der den Krieg leichter vertragen kann, siegen,
sondern derjenige, der mit der Behauptung, daß er bereit sei, loszuschlagen,
länger aushält, also mehr Ruhe, Haltung, Hartnäckigkeit und Geschmeidigkeit
hat. Wenn auch im großen ganzen der Mächtigere über eine dieser Eigen¬
schaften in höherem Grade verfügen wird, so bietet doch das diplomatische Spiel
und die Fülle der Nebenumstände im einzelnen auch dem Schwächeren die
Möglichkeit des Erfolges -- eben dank des Umstandes, daß, so wie die Dinge
heute zwischen den Großmächten liegen, auch der Mächtigere ungern das Schwert
zieht. Aus der Eigenart dieser Methode ergibt sich nun das Moment, das für
unsere Zeit die größte Gefahr des Krieges enthält. Es ist nicht so, daß das
Handeln der Staaten immer ein reiner Ausdruck der Rechnung wäre, daß die
Regierungen immer imstande oder immer gewillt wären, das dem Interesse der
Nationen Entsprechendste zu tun. Hat eine Regierung sich, durch die Methode
des Bluffs verleitet, zu weit vorgewagt oder, wie man sagt, sestgeblusft, so ist
sie vielleicht nicht mehr imstande, einen Rückzug, auch wenn er sachlich richtig
wäre, anzutreten -- die Rücksicht auf persönliche Interessen, der Ehrgeiz der
Regierungen oder der zu erwartende Entrüstungssturm der Nationalisten kann
einen Krieg herbeiführen, den das sachliche Interesse allein nie gerechtfertigt
Wte. Daher liegt die Kriegsgefahr unserer Zeit in der inneren
Politik solcher Länder, in der eine schwache Regierung einer starken
nationalistischen Bewegung gegenübersteht.




Die Rüstungen

sondern um die Grade der Schädlichkeit für den einen und für den anderen
Teil. In dieser Fragestellung aber liegt der Grund dafür, daß in der diplo¬
matischen Geschichte unseres Zeitalters der Bluff eine so große Rolle spielt, wie
in keiner früheren Zeit. Er ist das Hauptrcquisit der diplomatischen Methode
geworden. Der Charakter des diplomatischen Spiels hat sich geändert. Wenn
zwischen zwei streitenden Teilen niemand den Krieg will, so wird nicht immer
der Mächtigere, das heißt der, der den Krieg leichter vertragen kann, siegen,
sondern derjenige, der mit der Behauptung, daß er bereit sei, loszuschlagen,
länger aushält, also mehr Ruhe, Haltung, Hartnäckigkeit und Geschmeidigkeit
hat. Wenn auch im großen ganzen der Mächtigere über eine dieser Eigen¬
schaften in höherem Grade verfügen wird, so bietet doch das diplomatische Spiel
und die Fülle der Nebenumstände im einzelnen auch dem Schwächeren die
Möglichkeit des Erfolges — eben dank des Umstandes, daß, so wie die Dinge
heute zwischen den Großmächten liegen, auch der Mächtigere ungern das Schwert
zieht. Aus der Eigenart dieser Methode ergibt sich nun das Moment, das für
unsere Zeit die größte Gefahr des Krieges enthält. Es ist nicht so, daß das
Handeln der Staaten immer ein reiner Ausdruck der Rechnung wäre, daß die
Regierungen immer imstande oder immer gewillt wären, das dem Interesse der
Nationen Entsprechendste zu tun. Hat eine Regierung sich, durch die Methode
des Bluffs verleitet, zu weit vorgewagt oder, wie man sagt, sestgeblusft, so ist
sie vielleicht nicht mehr imstande, einen Rückzug, auch wenn er sachlich richtig
wäre, anzutreten — die Rücksicht auf persönliche Interessen, der Ehrgeiz der
Regierungen oder der zu erwartende Entrüstungssturm der Nationalisten kann
einen Krieg herbeiführen, den das sachliche Interesse allein nie gerechtfertigt
Wte. Daher liegt die Kriegsgefahr unserer Zeit in der inneren
Politik solcher Länder, in der eine schwache Regierung einer starken
nationalistischen Bewegung gegenübersteht.




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[0449] Die Rüstungen sondern um die Grade der Schädlichkeit für den einen und für den anderen Teil. In dieser Fragestellung aber liegt der Grund dafür, daß in der diplo¬ matischen Geschichte unseres Zeitalters der Bluff eine so große Rolle spielt, wie in keiner früheren Zeit. Er ist das Hauptrcquisit der diplomatischen Methode geworden. Der Charakter des diplomatischen Spiels hat sich geändert. Wenn zwischen zwei streitenden Teilen niemand den Krieg will, so wird nicht immer der Mächtigere, das heißt der, der den Krieg leichter vertragen kann, siegen, sondern derjenige, der mit der Behauptung, daß er bereit sei, loszuschlagen, länger aushält, also mehr Ruhe, Haltung, Hartnäckigkeit und Geschmeidigkeit hat. Wenn auch im großen ganzen der Mächtigere über eine dieser Eigen¬ schaften in höherem Grade verfügen wird, so bietet doch das diplomatische Spiel und die Fülle der Nebenumstände im einzelnen auch dem Schwächeren die Möglichkeit des Erfolges — eben dank des Umstandes, daß, so wie die Dinge heute zwischen den Großmächten liegen, auch der Mächtigere ungern das Schwert zieht. Aus der Eigenart dieser Methode ergibt sich nun das Moment, das für unsere Zeit die größte Gefahr des Krieges enthält. Es ist nicht so, daß das Handeln der Staaten immer ein reiner Ausdruck der Rechnung wäre, daß die Regierungen immer imstande oder immer gewillt wären, das dem Interesse der Nationen Entsprechendste zu tun. Hat eine Regierung sich, durch die Methode des Bluffs verleitet, zu weit vorgewagt oder, wie man sagt, sestgeblusft, so ist sie vielleicht nicht mehr imstande, einen Rückzug, auch wenn er sachlich richtig wäre, anzutreten — die Rücksicht auf persönliche Interessen, der Ehrgeiz der Regierungen oder der zu erwartende Entrüstungssturm der Nationalisten kann einen Krieg herbeiführen, den das sachliche Interesse allein nie gerechtfertigt Wte. Daher liegt die Kriegsgefahr unserer Zeit in der inneren Politik solcher Länder, in der eine schwache Regierung einer starken nationalistischen Bewegung gegenübersteht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/449>, abgerufen am 29.12.2024.