Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Diü Rüstungen Lasten, die er den Individuen auferlegt und um die angeblich die Sache des Das rührt nun daher, daß sie den notwendigen Ausdruck des grenzen¬ Alle Staaten betonen den defensiven Charakter ihrer Rüstungen. Es wäre Diü Rüstungen Lasten, die er den Individuen auferlegt und um die angeblich die Sache des Das rührt nun daher, daß sie den notwendigen Ausdruck des grenzen¬ Alle Staaten betonen den defensiven Charakter ihrer Rüstungen. Es wäre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327912"/> <fw type="header" place="top"> Diü Rüstungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2087" prev="#ID_2086"> Lasten, die er den Individuen auferlegt und um die angeblich die Sache des<lb/> kulturellen Fortschritts der Menschheit geschädigt wird, eine organisierte Gegen¬<lb/> bewegung hervorgerufen, die sich die Abrüstung oder wenigstens die Einschränkung<lb/> der Rüstungen zum Ziele setzt. Aber diese Bewegung hat, obwohl sie in ver¬<lb/> schiedenen Parlamenten über Einfluß verfügt, praktisch bislang nicht das<lb/> geringste ausrichten können: die Regierungen sind ihr wohl gelegentlich in<lb/> öffentlichen Reden der Minister, noch nie aber in Handlungen entgegen¬<lb/> gekommen. Die Erscheinung des allgemeinen Rüstens scheint also zu tief<lb/> in den Verhältnissen verankert, als daß ihr durch solche Bewegungen beizu¬<lb/> kommen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2088"> Das rührt nun daher, daß sie den notwendigen Ausdruck des grenzen¬<lb/> losen Lebenswillens der Nationen auf der einen Seite, der allgemeinen Kon¬<lb/> stellation, die der Entfaltung dieses Lebenswillens heute gegeben ist, auf der<lb/> anderen Seite darstellt. Alle Nationen fassen das Nebeneinander als eine Vor¬<lb/> bereitung des Gegeneinander, als einen Aufschub der Feindschaft auf. Wie wir<lb/> sahen, hat das Nebeneinander das Gegeneinander nicht aus der Welt geschafft,<lb/> sondern zurückgedrängt. Die großen Gegensätze, auch die speziellen politischen<lb/> Fragen, in denen unausweichliche Gegensätze liegen, zum Beispiel die elsa߬<lb/> lothringische Frage, bestehen fort; sie werden nur, solange die Möglichkeit<lb/> paralleler Entfaltung vorliegt, nicht ausgetragen. Sie siud auch im Schlummer<lb/> lebendig; und ihre Lebendigkeit beweisen sie eben in den Rüstungen. Die<lb/> Rüstungen sind die moderne Form des Aufschubs.</p><lb/> <p xml:id="ID_2089" next="#ID_2090"> Alle Staaten betonen den defensiven Charakter ihrer Rüstungen. Es wäre<lb/> oberflächlich, anzunehmen, daß diese Betonung nichts weiter wäre als Heuchelei.<lb/> Es will allerdings so scheinen, als beanspruche zwar jeder Staat den Glauben<lb/> an die Ehrlichkeit seiner rein defensiven Absichten für sich, verweigere aber den¬<lb/> selben Glauben dem möglichen Gegner, gegen dessen eventuelle Angriffe er sich<lb/> eben rüste. In der Tat aber sind wohl alle modernen Großmächte kriegerischen<lb/> Auseinandersetzungen durchweg abgeneigt und würden sich nur im Falle der<lb/> Not zu solchen entschließen. Der Fall der Not ist aber eben der Fall der<lb/> Verteidigung. Der Widerspruch löst sich dadurch, daß, wenn ein Staat heute<lb/> ohne Rüstungen dastünde, sich dieser Fall der Not sehr bald herausstellen<lb/> würde, auch ohne daß der gerüstete Gegner einen reinen Eroberungskrieg<lb/> unternähme. Die Nationen leben nicht getrennt nebeneinander und bebauen<lb/> nicht nur, eine jede in ihrem Gebiet, ihre Felder. Ihre Interessen berühren,<lb/> begegnen, kreuzen sich allerorten. Jederzeit sind eine Unzahl kleinerer und<lb/> größerer Interessenkonflikte zu verhandeln und zu lösen. Ein schutzloser Staat<lb/> wäre genötigt, gegenüber einem gerüsteten Gegner in allen solchen Fragen<lb/> immerzu nachzugeben, er würde sehr bald Schritt für Schritt so weit zurück¬<lb/> gedrängt sein, daß der Fall der Not für ihn eintritt, ohne daß der gerüstete<lb/> Gegner etwas anderes getan hätte, als seine Interessen hartnäckig zu vertreten.<lb/> Es ist überaus leicht, Verteidigung und Angriff in Worten zu unterscheiden,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
Diü Rüstungen
Lasten, die er den Individuen auferlegt und um die angeblich die Sache des
kulturellen Fortschritts der Menschheit geschädigt wird, eine organisierte Gegen¬
bewegung hervorgerufen, die sich die Abrüstung oder wenigstens die Einschränkung
der Rüstungen zum Ziele setzt. Aber diese Bewegung hat, obwohl sie in ver¬
schiedenen Parlamenten über Einfluß verfügt, praktisch bislang nicht das
geringste ausrichten können: die Regierungen sind ihr wohl gelegentlich in
öffentlichen Reden der Minister, noch nie aber in Handlungen entgegen¬
gekommen. Die Erscheinung des allgemeinen Rüstens scheint also zu tief
in den Verhältnissen verankert, als daß ihr durch solche Bewegungen beizu¬
kommen wäre.
Das rührt nun daher, daß sie den notwendigen Ausdruck des grenzen¬
losen Lebenswillens der Nationen auf der einen Seite, der allgemeinen Kon¬
stellation, die der Entfaltung dieses Lebenswillens heute gegeben ist, auf der
anderen Seite darstellt. Alle Nationen fassen das Nebeneinander als eine Vor¬
bereitung des Gegeneinander, als einen Aufschub der Feindschaft auf. Wie wir
sahen, hat das Nebeneinander das Gegeneinander nicht aus der Welt geschafft,
sondern zurückgedrängt. Die großen Gegensätze, auch die speziellen politischen
Fragen, in denen unausweichliche Gegensätze liegen, zum Beispiel die elsa߬
lothringische Frage, bestehen fort; sie werden nur, solange die Möglichkeit
paralleler Entfaltung vorliegt, nicht ausgetragen. Sie siud auch im Schlummer
lebendig; und ihre Lebendigkeit beweisen sie eben in den Rüstungen. Die
Rüstungen sind die moderne Form des Aufschubs.
Alle Staaten betonen den defensiven Charakter ihrer Rüstungen. Es wäre
oberflächlich, anzunehmen, daß diese Betonung nichts weiter wäre als Heuchelei.
Es will allerdings so scheinen, als beanspruche zwar jeder Staat den Glauben
an die Ehrlichkeit seiner rein defensiven Absichten für sich, verweigere aber den¬
selben Glauben dem möglichen Gegner, gegen dessen eventuelle Angriffe er sich
eben rüste. In der Tat aber sind wohl alle modernen Großmächte kriegerischen
Auseinandersetzungen durchweg abgeneigt und würden sich nur im Falle der
Not zu solchen entschließen. Der Fall der Not ist aber eben der Fall der
Verteidigung. Der Widerspruch löst sich dadurch, daß, wenn ein Staat heute
ohne Rüstungen dastünde, sich dieser Fall der Not sehr bald herausstellen
würde, auch ohne daß der gerüstete Gegner einen reinen Eroberungskrieg
unternähme. Die Nationen leben nicht getrennt nebeneinander und bebauen
nicht nur, eine jede in ihrem Gebiet, ihre Felder. Ihre Interessen berühren,
begegnen, kreuzen sich allerorten. Jederzeit sind eine Unzahl kleinerer und
größerer Interessenkonflikte zu verhandeln und zu lösen. Ein schutzloser Staat
wäre genötigt, gegenüber einem gerüsteten Gegner in allen solchen Fragen
immerzu nachzugeben, er würde sehr bald Schritt für Schritt so weit zurück¬
gedrängt sein, daß der Fall der Not für ihn eintritt, ohne daß der gerüstete
Gegner etwas anderes getan hätte, als seine Interessen hartnäckig zu vertreten.
Es ist überaus leicht, Verteidigung und Angriff in Worten zu unterscheiden,
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