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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dann den Autoren, die durch Pessimistische
Prophezeiungen daS Bild der natürlichen,
idealen Ordnung beeinträchtigten, Malthus
und Ricardo, an. Die Gegner dieser Schulen
Sismondi, Samt Simon, die Assozialisten
Proudhon und List greifen die von den ersten
aufgestellten Grundsätze an und erschüttern
sie. Die liberale Schule mit Stuart Mill in
England und Bastiat in Frankreich erreicht
danach ihre Höhe, von der in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit
vier schismenartigen Richtungen: der histo¬
rischen Schule, dem Staatssozialismus, dem
Marxismus und dem christlichen Sozialismus
die Abwendung erfolgt. Danach erfahren die
neuzeitlichen Lehren ihre Darstellung, die
vielleicht der entsprechenden großzügigen
Systematik entbehrt.

moinungen in die vier Hauptströmungen des
Hedonismus, der Bodenrentler, des Soli-
darismus und des Anarchismus die sozio¬
logische Betrachtungsweise nicht entsprechend
eingeordnet ist. Es fehlt auch Wohl tatsäch¬
lich die Besinnung auf höhere Einheiten, auf
die letzten Endes alle bedeutenden Kontro¬
versen der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen
zurückzuführen sind. Offenbar hat bei aller
Erwähnung der Begriffe der Freiheit und der
Verantwortung (anläßlich Stuart Mills und
anderer) die teleologische Betrachtungsweise in
ihrer Anwendung auf die Wirtschaftswissen¬
schaft überhaupt nicht die entsprechende Klärung
und Erklärung erfahren. Sie ist der kausalen
Betrachtungsweise nicht entsprechend gegen¬
über gestellt. Wäre das der Fall gewesen,
so wäre auch der unglückliche Satz den Ver¬
fassern nicht entschlüpft: "Die Gesetze des
Wirtschaftsleben können als natürliche be¬
zeichnet werden, die Gesetze des Rechts als
Werke gesetzgeberischer Autoritäten." Der
Streit zwischen Liberalismus und anderen
Lehrmeinungen, die die Notwendigkeit ziel¬
bewußter, menschlichen Eingreifens in? Inter¬
esse allgemeiner Ziele verlangen, läuft schlie߬
lich auf den Gegensatz zwischen kausaler und
teleologischer Betrachtungsweise hinaus.

Michels hat seinerzeit bei Besprechung
des französischen Textes bereits mit Recht be¬
merkt, daß den modernen deutschen National¬
ökonomen und ihren Lehrmeinungen nicht die
entsprechende Würdigung zuteil geworden ist,
auch wies er darauf hin, daß derselbe Fehler
gegenüber der verdienstvollen italienischen
Wirtschaftswissenschaft gemacht sei. Gerade
auch bei der Betrachtung der Strömungen der
Gegenwart scheint eine gewisse Zuspitzung auf
französische Verhältnisse augenfällig, die ander¬
seits wiederum natürlich genug ist.

Die Tugenden des Handbuches sind augen¬
fällig. Nicht zum wenigsten sind sie auch
formaler Natur und beweisen die bekannte
romanische Überlegenheit in dieser Beziehung.
Doch fühlt man, wie bei vielen neuzeitlichen,
auch bedeutenden Werken, so auch hier den
Ton epigonenhaften Rationalismus, mit dem
sich unsere Zeit aber keinesfalls zufrieden¬
zugeben braucht. Es sei dazu auf die Zitate
am Eingang der Besprechung hingewiesen.

Die sozialistische Kritik Conrad Schmidts
verzeiht naturgemäß den Autoren nicht, daß
sie der Arbeitswerttheorie nicht die von ihm
verlangte Überlegenheit über die Grenznutz¬
theorie einräumen. Wissenschaftliche Probleme
ihrem politischen Werte nach zu behandeln,
bedeutet allerdings ein Mehr oder Weniger
als kritische Würdigung.

Oppenheimer, der vielumstrittene Boden-
reformer, hat sich mit der Herausgabe des
Handbuches jedenfalls ein beträchtliches Ver¬
dienst erworben, und es wäre sehr bedauer¬
lich, wenn seine exponierte Stellung die Ein¬
führung des Werkes in Deutschland erschweren
würde. Oppenheimer hat sich darauf be¬
schränkt, ausschließlich herauszugeben, und
nicht durch kritische Stellung ein Mehr bieten
wollen. Im übrigen liegt eine Kongenialität
zwischen Autoren und Herausgeber vor, die
der Leser beiden zum besten rechnen wird.

Im übrigen bemerken die Verfasser selbst,
daß sie die Schwelle des letzten Buches,
das sich mit der Neuzeit befaßt, mit einigem
Zögern überschreiten. "Es fehlt uns die Per¬
spektive", so sagen sie. "Um die Tragweite
einer Entwicklung, die sich unter unseren
Augen vollzieht, ohne Voreingenommenheit
ins Auge fassen und schätzen zu können, braucht
man einen größeren Abstand. Hier vielleicht
mehr als an anderen Stellen laufen wir Ge¬
fahr, unsere Auswahl als willkürlich bezeichnet
zu sehen." Und es scheint auch, als ob bei
der Einteilung der wirtschaftlichen Lehr-


Heinrich Freiherr von Gleichen
Maßgebliches und Unmaßgebliches

dann den Autoren, die durch Pessimistische
Prophezeiungen daS Bild der natürlichen,
idealen Ordnung beeinträchtigten, Malthus
und Ricardo, an. Die Gegner dieser Schulen
Sismondi, Samt Simon, die Assozialisten
Proudhon und List greifen die von den ersten
aufgestellten Grundsätze an und erschüttern
sie. Die liberale Schule mit Stuart Mill in
England und Bastiat in Frankreich erreicht
danach ihre Höhe, von der in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit
vier schismenartigen Richtungen: der histo¬
rischen Schule, dem Staatssozialismus, dem
Marxismus und dem christlichen Sozialismus
die Abwendung erfolgt. Danach erfahren die
neuzeitlichen Lehren ihre Darstellung, die
vielleicht der entsprechenden großzügigen
Systematik entbehrt.

moinungen in die vier Hauptströmungen des
Hedonismus, der Bodenrentler, des Soli-
darismus und des Anarchismus die sozio¬
logische Betrachtungsweise nicht entsprechend
eingeordnet ist. Es fehlt auch Wohl tatsäch¬
lich die Besinnung auf höhere Einheiten, auf
die letzten Endes alle bedeutenden Kontro¬
versen der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen
zurückzuführen sind. Offenbar hat bei aller
Erwähnung der Begriffe der Freiheit und der
Verantwortung (anläßlich Stuart Mills und
anderer) die teleologische Betrachtungsweise in
ihrer Anwendung auf die Wirtschaftswissen¬
schaft überhaupt nicht die entsprechende Klärung
und Erklärung erfahren. Sie ist der kausalen
Betrachtungsweise nicht entsprechend gegen¬
über gestellt. Wäre das der Fall gewesen,
so wäre auch der unglückliche Satz den Ver¬
fassern nicht entschlüpft: „Die Gesetze des
Wirtschaftsleben können als natürliche be¬
zeichnet werden, die Gesetze des Rechts als
Werke gesetzgeberischer Autoritäten." Der
Streit zwischen Liberalismus und anderen
Lehrmeinungen, die die Notwendigkeit ziel¬
bewußter, menschlichen Eingreifens in? Inter¬
esse allgemeiner Ziele verlangen, läuft schlie߬
lich auf den Gegensatz zwischen kausaler und
teleologischer Betrachtungsweise hinaus.

Michels hat seinerzeit bei Besprechung
des französischen Textes bereits mit Recht be¬
merkt, daß den modernen deutschen National¬
ökonomen und ihren Lehrmeinungen nicht die
entsprechende Würdigung zuteil geworden ist,
auch wies er darauf hin, daß derselbe Fehler
gegenüber der verdienstvollen italienischen
Wirtschaftswissenschaft gemacht sei. Gerade
auch bei der Betrachtung der Strömungen der
Gegenwart scheint eine gewisse Zuspitzung auf
französische Verhältnisse augenfällig, die ander¬
seits wiederum natürlich genug ist.

Die Tugenden des Handbuches sind augen¬
fällig. Nicht zum wenigsten sind sie auch
formaler Natur und beweisen die bekannte
romanische Überlegenheit in dieser Beziehung.
Doch fühlt man, wie bei vielen neuzeitlichen,
auch bedeutenden Werken, so auch hier den
Ton epigonenhaften Rationalismus, mit dem
sich unsere Zeit aber keinesfalls zufrieden¬
zugeben braucht. Es sei dazu auf die Zitate
am Eingang der Besprechung hingewiesen.

Die sozialistische Kritik Conrad Schmidts
verzeiht naturgemäß den Autoren nicht, daß
sie der Arbeitswerttheorie nicht die von ihm
verlangte Überlegenheit über die Grenznutz¬
theorie einräumen. Wissenschaftliche Probleme
ihrem politischen Werte nach zu behandeln,
bedeutet allerdings ein Mehr oder Weniger
als kritische Würdigung.

Oppenheimer, der vielumstrittene Boden-
reformer, hat sich mit der Herausgabe des
Handbuches jedenfalls ein beträchtliches Ver¬
dienst erworben, und es wäre sehr bedauer¬
lich, wenn seine exponierte Stellung die Ein¬
führung des Werkes in Deutschland erschweren
würde. Oppenheimer hat sich darauf be¬
schränkt, ausschließlich herauszugeben, und
nicht durch kritische Stellung ein Mehr bieten
wollen. Im übrigen liegt eine Kongenialität
zwischen Autoren und Herausgeber vor, die
der Leser beiden zum besten rechnen wird.

Im übrigen bemerken die Verfasser selbst,
daß sie die Schwelle des letzten Buches,
das sich mit der Neuzeit befaßt, mit einigem
Zögern überschreiten. „Es fehlt uns die Per¬
spektive", so sagen sie. „Um die Tragweite
einer Entwicklung, die sich unter unseren
Augen vollzieht, ohne Voreingenommenheit
ins Auge fassen und schätzen zu können, braucht
man einen größeren Abstand. Hier vielleicht
mehr als an anderen Stellen laufen wir Ge¬
fahr, unsere Auswahl als willkürlich bezeichnet
zu sehen." Und es scheint auch, als ob bei
der Einteilung der wirtschaftlichen Lehr-


Heinrich Freiherr von Gleichen
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[0439] Maßgebliches und Unmaßgebliches dann den Autoren, die durch Pessimistische Prophezeiungen daS Bild der natürlichen, idealen Ordnung beeinträchtigten, Malthus und Ricardo, an. Die Gegner dieser Schulen Sismondi, Samt Simon, die Assozialisten Proudhon und List greifen die von den ersten aufgestellten Grundsätze an und erschüttern sie. Die liberale Schule mit Stuart Mill in England und Bastiat in Frankreich erreicht danach ihre Höhe, von der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts mit vier schismenartigen Richtungen: der histo¬ rischen Schule, dem Staatssozialismus, dem Marxismus und dem christlichen Sozialismus die Abwendung erfolgt. Danach erfahren die neuzeitlichen Lehren ihre Darstellung, die vielleicht der entsprechenden großzügigen Systematik entbehrt. moinungen in die vier Hauptströmungen des Hedonismus, der Bodenrentler, des Soli- darismus und des Anarchismus die sozio¬ logische Betrachtungsweise nicht entsprechend eingeordnet ist. Es fehlt auch Wohl tatsäch¬ lich die Besinnung auf höhere Einheiten, auf die letzten Endes alle bedeutenden Kontro¬ versen der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen zurückzuführen sind. Offenbar hat bei aller Erwähnung der Begriffe der Freiheit und der Verantwortung (anläßlich Stuart Mills und anderer) die teleologische Betrachtungsweise in ihrer Anwendung auf die Wirtschaftswissen¬ schaft überhaupt nicht die entsprechende Klärung und Erklärung erfahren. Sie ist der kausalen Betrachtungsweise nicht entsprechend gegen¬ über gestellt. Wäre das der Fall gewesen, so wäre auch der unglückliche Satz den Ver¬ fassern nicht entschlüpft: „Die Gesetze des Wirtschaftsleben können als natürliche be¬ zeichnet werden, die Gesetze des Rechts als Werke gesetzgeberischer Autoritäten." Der Streit zwischen Liberalismus und anderen Lehrmeinungen, die die Notwendigkeit ziel¬ bewußter, menschlichen Eingreifens in? Inter¬ esse allgemeiner Ziele verlangen, läuft schlie߬ lich auf den Gegensatz zwischen kausaler und teleologischer Betrachtungsweise hinaus. Michels hat seinerzeit bei Besprechung des französischen Textes bereits mit Recht be¬ merkt, daß den modernen deutschen National¬ ökonomen und ihren Lehrmeinungen nicht die entsprechende Würdigung zuteil geworden ist, auch wies er darauf hin, daß derselbe Fehler gegenüber der verdienstvollen italienischen Wirtschaftswissenschaft gemacht sei. Gerade auch bei der Betrachtung der Strömungen der Gegenwart scheint eine gewisse Zuspitzung auf französische Verhältnisse augenfällig, die ander¬ seits wiederum natürlich genug ist. Die Tugenden des Handbuches sind augen¬ fällig. Nicht zum wenigsten sind sie auch formaler Natur und beweisen die bekannte romanische Überlegenheit in dieser Beziehung. Doch fühlt man, wie bei vielen neuzeitlichen, auch bedeutenden Werken, so auch hier den Ton epigonenhaften Rationalismus, mit dem sich unsere Zeit aber keinesfalls zufrieden¬ zugeben braucht. Es sei dazu auf die Zitate am Eingang der Besprechung hingewiesen. Die sozialistische Kritik Conrad Schmidts verzeiht naturgemäß den Autoren nicht, daß sie der Arbeitswerttheorie nicht die von ihm verlangte Überlegenheit über die Grenznutz¬ theorie einräumen. Wissenschaftliche Probleme ihrem politischen Werte nach zu behandeln, bedeutet allerdings ein Mehr oder Weniger als kritische Würdigung. Oppenheimer, der vielumstrittene Boden- reformer, hat sich mit der Herausgabe des Handbuches jedenfalls ein beträchtliches Ver¬ dienst erworben, und es wäre sehr bedauer¬ lich, wenn seine exponierte Stellung die Ein¬ führung des Werkes in Deutschland erschweren würde. Oppenheimer hat sich darauf be¬ schränkt, ausschließlich herauszugeben, und nicht durch kritische Stellung ein Mehr bieten wollen. Im übrigen liegt eine Kongenialität zwischen Autoren und Herausgeber vor, die der Leser beiden zum besten rechnen wird. Im übrigen bemerken die Verfasser selbst, daß sie die Schwelle des letzten Buches, das sich mit der Neuzeit befaßt, mit einigem Zögern überschreiten. „Es fehlt uns die Per¬ spektive", so sagen sie. „Um die Tragweite einer Entwicklung, die sich unter unseren Augen vollzieht, ohne Voreingenommenheit ins Auge fassen und schätzen zu können, braucht man einen größeren Abstand. Hier vielleicht mehr als an anderen Stellen laufen wir Ge¬ fahr, unsere Auswahl als willkürlich bezeichnet zu sehen." Und es scheint auch, als ob bei der Einteilung der wirtschaftlichen Lehr- Heinrich Freiherr von Gleichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/439>, abgerufen am 04.01.2025.