Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Frankreich und die belgische Heeresreform ^2 Pflicht, wenn auch mit vielen auf Betreiben der klerikalen Partei angebrachten So sehr auch diese Fortschritte auf dem Gebiet des belgischen Heerwesens In Belgien selbst nahm sich die Liga der nationalen Verteidigung der Im Februar 1912 trat der Kriegsminister Hellebaut, der sich um die Ent¬ So kam es. daß das belgische Heer durch das Gesetz vom 30. August 1913 Frankreich und die belgische Heeresreform ^2 Pflicht, wenn auch mit vielen auf Betreiben der klerikalen Partei angebrachten So sehr auch diese Fortschritte auf dem Gebiet des belgischen Heerwesens In Belgien selbst nahm sich die Liga der nationalen Verteidigung der Im Februar 1912 trat der Kriegsminister Hellebaut, der sich um die Ent¬ So kam es. daß das belgische Heer durch das Gesetz vom 30. August 1913 <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327866"/> <fw type="header" place="top"> Frankreich und die belgische Heeresreform ^2</fw><lb/> <p xml:id="ID_1864" prev="#ID_1863"> Pflicht, wenn auch mit vielen auf Betreiben der klerikalen Partei angebrachten<lb/> Ausnahmen, einführte. Damit war von jeder Familie ein Sohn wehrpflichtig<lb/> und die Stellvertretung kam in Fortfall. Allerdings wurde die bisherige<lb/> Friedensstärke von 42 800 Mann nicht erhöht, aber es wurde nunmehr diese<lb/> Zahl wirklich erreicht, während früher zahlreiche Feststellen vorhanden waren.<lb/> Gleichzeitig wurde der 1906 beschlossene Ausbau der Festung Antwerpen, die<lb/> eine weitere geschlossene Verteidigungslinie von vorgeschobenen Forts erhält, fort¬<lb/> gesetzt, und dieser Platz zu einem wahren .Mann national" umgestaltet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1865"> So sehr auch diese Fortschritte auf dem Gebiet des belgischen Heerwesens<lb/> in Frankreich anerkannt und mit Freude begrüßt wurden, so wenig war man<lb/> mit dem Gesamtergebnis zufrieden. Eine Feldarmee von rund 90 000 Mann<lb/> und Besatzungstruppen für die Festungen von rund 48 000 Mann genügten<lb/> den französischen Wünschen nicht, zumal man in Frankreich für den Ausbau<lb/> von Antwerpen wenig Interesse hatte. Von allen Seiten suchte man der<lb/> belgischen Heeresverwaltung klar zu machen, daß nicht in der Defensive hinter<lb/> Festungswällen, sondern in der Offensive — natürlich nur im Anschluß an die<lb/> französische Armee gedacht — das Heil des belgischen Heeres läge.</p><lb/> <p xml:id="ID_1866"> In Belgien selbst nahm sich die Liga der nationalen Verteidigung der<lb/> Sache ernstlich an und machte in allen Gemeinden des Landes für eine weitere<lb/> Heeresverstärkung Propaganda, während die in Brüssel versammelten Vertreter<lb/> der belgischen Presse einen gemeinsamen Plan für die Verbreitung des Ge¬<lb/> dankens an die Notwendigkeit einer solchen Verstärkung entwarfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1867"> Im Februar 1912 trat der Kriegsminister Hellebaut, der sich um die Ent¬<lb/> wicklung des belgischen Heerwesens große Verdienste erworben hatte, von seinem<lb/> Amte zurück. Dieser Rücktritt des Kriegsministers wird in vieler Hinsicht auf<lb/> französischen Einfluß zurückgeführt, da er nicht schnell genug im Sinne der<lb/> begehrten Heeresreform gearbeitet hatte. An seine Stelle trat das Ministerium<lb/> Broqueville, dem es gelang, ohne große Schwierigkeiten das neue Heeresgesetz<lb/> im Parlament durchzubringen. Der neue Kriegsminister begründete die neue<lb/> Heeresvorlage damit, daß er sagte: „Die belgische Armee muß so stark sein,<lb/> daß sie jedem Kriegsführenden die Idee raubt, die Neutralität Belgiens zu<lb/> verletzen, um sich durch dieses Land einen Durchmarsch zu verschaffen." In<lb/> einer geheimen Sitzung soll dieser Gedanke weiter ausgeführt und die strategische<lb/> Lage Belgiens bei einem großen Kriege näher erörtert worden sein, so daß<lb/> selbst die bis dahin der Heeresreform feindlich gesinnte klerikale Partei ein<lb/> Gruseln überkam und sie ihre Zustimmung gab. Daß bei den Auseinander¬<lb/> setzungen in der geheimen Kammersitzung die von französischer Seite behaupteten<lb/> böswilligen Absichten des deutschen Nachbarn eine große Rolle spielten, darf<lb/> wohl nicht bezweifelt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1868" next="#ID_1869"> So kam es. daß das belgische Heer durch das Gesetz vom 30. August 1913<lb/> eine unerwartete Vermehrung erfuhr, mit der eine gleichzeitige durchgreifende<lb/> Neugestaltung der Heeresorganisation verbunden war. Durch dieses Gesetz ist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
Frankreich und die belgische Heeresreform ^2
Pflicht, wenn auch mit vielen auf Betreiben der klerikalen Partei angebrachten
Ausnahmen, einführte. Damit war von jeder Familie ein Sohn wehrpflichtig
und die Stellvertretung kam in Fortfall. Allerdings wurde die bisherige
Friedensstärke von 42 800 Mann nicht erhöht, aber es wurde nunmehr diese
Zahl wirklich erreicht, während früher zahlreiche Feststellen vorhanden waren.
Gleichzeitig wurde der 1906 beschlossene Ausbau der Festung Antwerpen, die
eine weitere geschlossene Verteidigungslinie von vorgeschobenen Forts erhält, fort¬
gesetzt, und dieser Platz zu einem wahren .Mann national" umgestaltet.
So sehr auch diese Fortschritte auf dem Gebiet des belgischen Heerwesens
in Frankreich anerkannt und mit Freude begrüßt wurden, so wenig war man
mit dem Gesamtergebnis zufrieden. Eine Feldarmee von rund 90 000 Mann
und Besatzungstruppen für die Festungen von rund 48 000 Mann genügten
den französischen Wünschen nicht, zumal man in Frankreich für den Ausbau
von Antwerpen wenig Interesse hatte. Von allen Seiten suchte man der
belgischen Heeresverwaltung klar zu machen, daß nicht in der Defensive hinter
Festungswällen, sondern in der Offensive — natürlich nur im Anschluß an die
französische Armee gedacht — das Heil des belgischen Heeres läge.
In Belgien selbst nahm sich die Liga der nationalen Verteidigung der
Sache ernstlich an und machte in allen Gemeinden des Landes für eine weitere
Heeresverstärkung Propaganda, während die in Brüssel versammelten Vertreter
der belgischen Presse einen gemeinsamen Plan für die Verbreitung des Ge¬
dankens an die Notwendigkeit einer solchen Verstärkung entwarfen.
Im Februar 1912 trat der Kriegsminister Hellebaut, der sich um die Ent¬
wicklung des belgischen Heerwesens große Verdienste erworben hatte, von seinem
Amte zurück. Dieser Rücktritt des Kriegsministers wird in vieler Hinsicht auf
französischen Einfluß zurückgeführt, da er nicht schnell genug im Sinne der
begehrten Heeresreform gearbeitet hatte. An seine Stelle trat das Ministerium
Broqueville, dem es gelang, ohne große Schwierigkeiten das neue Heeresgesetz
im Parlament durchzubringen. Der neue Kriegsminister begründete die neue
Heeresvorlage damit, daß er sagte: „Die belgische Armee muß so stark sein,
daß sie jedem Kriegsführenden die Idee raubt, die Neutralität Belgiens zu
verletzen, um sich durch dieses Land einen Durchmarsch zu verschaffen." In
einer geheimen Sitzung soll dieser Gedanke weiter ausgeführt und die strategische
Lage Belgiens bei einem großen Kriege näher erörtert worden sein, so daß
selbst die bis dahin der Heeresreform feindlich gesinnte klerikale Partei ein
Gruseln überkam und sie ihre Zustimmung gab. Daß bei den Auseinander¬
setzungen in der geheimen Kammersitzung die von französischer Seite behaupteten
böswilligen Absichten des deutschen Nachbarn eine große Rolle spielten, darf
wohl nicht bezweifelt werden.
So kam es. daß das belgische Heer durch das Gesetz vom 30. August 1913
eine unerwartete Vermehrung erfuhr, mit der eine gleichzeitige durchgreifende
Neugestaltung der Heeresorganisation verbunden war. Durch dieses Gesetz ist
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