Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreich und die belgische Heeresreform ^9<z

Über Deutschland zu gewinnen. Zu diesem Zweck haben die bedeutendsten
Militärschriftsteller, wie z. B. der General Langlois in seinem Werke "I^a
KelAique se la ttollancis äsvant le ?ÄNMrmÄni8me", nachzuweisen gesucht,
daß Deutschland infolge der starken französischen Ostfront gezwungen sei, mit
dem rechten Flügel seiner Armeen durch Belgien zu marschieren, um eine Um¬
fassung der belgischen Armee herbeizuführen.

Wenn auch von feiten unserer Militärschriftsteller dieses schwierige Gebiet
in taktvollster Weise fast gar nicht betreten wurde, so hat es doch die französische
Literatur, dank der von Frankreich sehr abhängigen belgischen Tagespresse, ver¬
mocht, Unruhe und Besorgnis in das belgische Volk zu tragen. Ganz besonders
interessant ist es, den allmählich in Belgien vor sich gehenden Umschwung der
Meinung in Volk und Heer zu beobachten.

Als im Jahre 1870 der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbrach,
machte Belgien auf Wunsch der beiden Kriegsführenden seine Armee mobil, um
die Neutralität des Landes aufrecht zu erhalten. Nach dem Kriege herrschte in
Belgien im allgemeinen eine deutschfreundliche Stimmung. So erklärte z. B. im
Jahre 1872 der Professor der Rechte an der Universität Brüssel, Altmerzer,
gelegentlich einer Sitzung des Provinzialrates von Brabant. daß allein der Anschluß
an Deutschland Belgien Vorteile bringen könne, denn das gedemütigte Frankreich
müsse bestrebt sein, für den Verlust von Elsaß-Lothringen anderswo territorialen
Ersatz zu suchen. Die Gefahr, daß es Belgien zu diesem Zwecke ausersehe, sei
aber sehr groß. Die Folge dieser deutschfreundlichen Stimmung aber war das
nunmehr beginnende Bestreben der französischen Fachpresse, das Gegenteil zu
beweisen und Deutschland als den wahren Feind der belgischen Neutralität
hinzustellen. Im Jahre 1873 wurde daher in einer angesehenen französischen
Militärzeitschrift eine Studie über die französische Nordostgrenze veröffentlicht,
die die Verletzung der belgischen Neutralität als das Vorspiel des nächsten
deutsch-französischen Krieges hinstellte.

Drei Jahre später wurde das Verteidigungskomitee in Frankreich mit der
Prüfung der Frage beauftragt, ob die französische Grenze gegen einen deutschen
Angriff genügend gedeckt sei. In der zu diesem Zweck ausgearbeiteten Denk¬
schrift erklärte der Vorsitzende der Kommission unter anderem, daß die Nordost¬
grenze nur dann genügend gesichert sei, wenn Belgien seine Neutralität aufrecht¬
erhalten könne. Damit wurde also gesagt, daß Frankreich sich hier nicht offensiv,
sondern defensiv verhalten wolle. Demgegenüber suchte 1878 der belgische
Major D6jardin nachzuweisen, daß voraussichtlich der linke Flügel der franzö¬
sischen Armee weit durch die belgische Ebene ausholen und wahrscheinlich nördlich
der Sambre vorgehen würde, da hier das Eisenbahn- und Straßennetz, sowie
die Verpflegungsbedingungen für Heeresbewegungen äußerst günstig seien,
während weiter südlich in den Ardennen, dem Hohen Venn und der Eifel
gerade umgekehrte, also für den Vormarsch eines Heeres ungünstige Verhältnisse
vorlagen.


Frankreich und die belgische Heeresreform ^9<z

Über Deutschland zu gewinnen. Zu diesem Zweck haben die bedeutendsten
Militärschriftsteller, wie z. B. der General Langlois in seinem Werke „I^a
KelAique se la ttollancis äsvant le ?ÄNMrmÄni8me", nachzuweisen gesucht,
daß Deutschland infolge der starken französischen Ostfront gezwungen sei, mit
dem rechten Flügel seiner Armeen durch Belgien zu marschieren, um eine Um¬
fassung der belgischen Armee herbeizuführen.

Wenn auch von feiten unserer Militärschriftsteller dieses schwierige Gebiet
in taktvollster Weise fast gar nicht betreten wurde, so hat es doch die französische
Literatur, dank der von Frankreich sehr abhängigen belgischen Tagespresse, ver¬
mocht, Unruhe und Besorgnis in das belgische Volk zu tragen. Ganz besonders
interessant ist es, den allmählich in Belgien vor sich gehenden Umschwung der
Meinung in Volk und Heer zu beobachten.

Als im Jahre 1870 der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbrach,
machte Belgien auf Wunsch der beiden Kriegsführenden seine Armee mobil, um
die Neutralität des Landes aufrecht zu erhalten. Nach dem Kriege herrschte in
Belgien im allgemeinen eine deutschfreundliche Stimmung. So erklärte z. B. im
Jahre 1872 der Professor der Rechte an der Universität Brüssel, Altmerzer,
gelegentlich einer Sitzung des Provinzialrates von Brabant. daß allein der Anschluß
an Deutschland Belgien Vorteile bringen könne, denn das gedemütigte Frankreich
müsse bestrebt sein, für den Verlust von Elsaß-Lothringen anderswo territorialen
Ersatz zu suchen. Die Gefahr, daß es Belgien zu diesem Zwecke ausersehe, sei
aber sehr groß. Die Folge dieser deutschfreundlichen Stimmung aber war das
nunmehr beginnende Bestreben der französischen Fachpresse, das Gegenteil zu
beweisen und Deutschland als den wahren Feind der belgischen Neutralität
hinzustellen. Im Jahre 1873 wurde daher in einer angesehenen französischen
Militärzeitschrift eine Studie über die französische Nordostgrenze veröffentlicht,
die die Verletzung der belgischen Neutralität als das Vorspiel des nächsten
deutsch-französischen Krieges hinstellte.

Drei Jahre später wurde das Verteidigungskomitee in Frankreich mit der
Prüfung der Frage beauftragt, ob die französische Grenze gegen einen deutschen
Angriff genügend gedeckt sei. In der zu diesem Zweck ausgearbeiteten Denk¬
schrift erklärte der Vorsitzende der Kommission unter anderem, daß die Nordost¬
grenze nur dann genügend gesichert sei, wenn Belgien seine Neutralität aufrecht¬
erhalten könne. Damit wurde also gesagt, daß Frankreich sich hier nicht offensiv,
sondern defensiv verhalten wolle. Demgegenüber suchte 1878 der belgische
Major D6jardin nachzuweisen, daß voraussichtlich der linke Flügel der franzö¬
sischen Armee weit durch die belgische Ebene ausholen und wahrscheinlich nördlich
der Sambre vorgehen würde, da hier das Eisenbahn- und Straßennetz, sowie
die Verpflegungsbedingungen für Heeresbewegungen äußerst günstig seien,
während weiter südlich in den Ardennen, dem Hohen Venn und der Eifel
gerade umgekehrte, also für den Vormarsch eines Heeres ungünstige Verhältnisse
vorlagen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327864"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreich und die belgische Heeresreform ^9&lt;z</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1857" prev="#ID_1856"> Über Deutschland zu gewinnen. Zu diesem Zweck haben die bedeutendsten<lb/>
Militärschriftsteller, wie z. B. der General Langlois in seinem Werke &#x201E;I^a<lb/>
KelAique se la ttollancis äsvant le ?ÄNMrmÄni8me", nachzuweisen gesucht,<lb/>
daß Deutschland infolge der starken französischen Ostfront gezwungen sei, mit<lb/>
dem rechten Flügel seiner Armeen durch Belgien zu marschieren, um eine Um¬<lb/>
fassung der belgischen Armee herbeizuführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1858"> Wenn auch von feiten unserer Militärschriftsteller dieses schwierige Gebiet<lb/>
in taktvollster Weise fast gar nicht betreten wurde, so hat es doch die französische<lb/>
Literatur, dank der von Frankreich sehr abhängigen belgischen Tagespresse, ver¬<lb/>
mocht, Unruhe und Besorgnis in das belgische Volk zu tragen. Ganz besonders<lb/>
interessant ist es, den allmählich in Belgien vor sich gehenden Umschwung der<lb/>
Meinung in Volk und Heer zu beobachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1859"> Als im Jahre 1870 der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbrach,<lb/>
machte Belgien auf Wunsch der beiden Kriegsführenden seine Armee mobil, um<lb/>
die Neutralität des Landes aufrecht zu erhalten. Nach dem Kriege herrschte in<lb/>
Belgien im allgemeinen eine deutschfreundliche Stimmung. So erklärte z. B. im<lb/>
Jahre 1872 der Professor der Rechte an der Universität Brüssel, Altmerzer,<lb/>
gelegentlich einer Sitzung des Provinzialrates von Brabant. daß allein der Anschluß<lb/>
an Deutschland Belgien Vorteile bringen könne, denn das gedemütigte Frankreich<lb/>
müsse bestrebt sein, für den Verlust von Elsaß-Lothringen anderswo territorialen<lb/>
Ersatz zu suchen. Die Gefahr, daß es Belgien zu diesem Zwecke ausersehe, sei<lb/>
aber sehr groß. Die Folge dieser deutschfreundlichen Stimmung aber war das<lb/>
nunmehr beginnende Bestreben der französischen Fachpresse, das Gegenteil zu<lb/>
beweisen und Deutschland als den wahren Feind der belgischen Neutralität<lb/>
hinzustellen. Im Jahre 1873 wurde daher in einer angesehenen französischen<lb/>
Militärzeitschrift eine Studie über die französische Nordostgrenze veröffentlicht,<lb/>
die die Verletzung der belgischen Neutralität als das Vorspiel des nächsten<lb/>
deutsch-französischen Krieges hinstellte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1860"> Drei Jahre später wurde das Verteidigungskomitee in Frankreich mit der<lb/>
Prüfung der Frage beauftragt, ob die französische Grenze gegen einen deutschen<lb/>
Angriff genügend gedeckt sei. In der zu diesem Zweck ausgearbeiteten Denk¬<lb/>
schrift erklärte der Vorsitzende der Kommission unter anderem, daß die Nordost¬<lb/>
grenze nur dann genügend gesichert sei, wenn Belgien seine Neutralität aufrecht¬<lb/>
erhalten könne. Damit wurde also gesagt, daß Frankreich sich hier nicht offensiv,<lb/>
sondern defensiv verhalten wolle. Demgegenüber suchte 1878 der belgische<lb/>
Major D6jardin nachzuweisen, daß voraussichtlich der linke Flügel der franzö¬<lb/>
sischen Armee weit durch die belgische Ebene ausholen und wahrscheinlich nördlich<lb/>
der Sambre vorgehen würde, da hier das Eisenbahn- und Straßennetz, sowie<lb/>
die Verpflegungsbedingungen für Heeresbewegungen äußerst günstig seien,<lb/>
während weiter südlich in den Ardennen, dem Hohen Venn und der Eifel<lb/>
gerade umgekehrte, also für den Vormarsch eines Heeres ungünstige Verhältnisse<lb/>
vorlagen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0398] Frankreich und die belgische Heeresreform ^9<z Über Deutschland zu gewinnen. Zu diesem Zweck haben die bedeutendsten Militärschriftsteller, wie z. B. der General Langlois in seinem Werke „I^a KelAique se la ttollancis äsvant le ?ÄNMrmÄni8me", nachzuweisen gesucht, daß Deutschland infolge der starken französischen Ostfront gezwungen sei, mit dem rechten Flügel seiner Armeen durch Belgien zu marschieren, um eine Um¬ fassung der belgischen Armee herbeizuführen. Wenn auch von feiten unserer Militärschriftsteller dieses schwierige Gebiet in taktvollster Weise fast gar nicht betreten wurde, so hat es doch die französische Literatur, dank der von Frankreich sehr abhängigen belgischen Tagespresse, ver¬ mocht, Unruhe und Besorgnis in das belgische Volk zu tragen. Ganz besonders interessant ist es, den allmählich in Belgien vor sich gehenden Umschwung der Meinung in Volk und Heer zu beobachten. Als im Jahre 1870 der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ausbrach, machte Belgien auf Wunsch der beiden Kriegsführenden seine Armee mobil, um die Neutralität des Landes aufrecht zu erhalten. Nach dem Kriege herrschte in Belgien im allgemeinen eine deutschfreundliche Stimmung. So erklärte z. B. im Jahre 1872 der Professor der Rechte an der Universität Brüssel, Altmerzer, gelegentlich einer Sitzung des Provinzialrates von Brabant. daß allein der Anschluß an Deutschland Belgien Vorteile bringen könne, denn das gedemütigte Frankreich müsse bestrebt sein, für den Verlust von Elsaß-Lothringen anderswo territorialen Ersatz zu suchen. Die Gefahr, daß es Belgien zu diesem Zwecke ausersehe, sei aber sehr groß. Die Folge dieser deutschfreundlichen Stimmung aber war das nunmehr beginnende Bestreben der französischen Fachpresse, das Gegenteil zu beweisen und Deutschland als den wahren Feind der belgischen Neutralität hinzustellen. Im Jahre 1873 wurde daher in einer angesehenen französischen Militärzeitschrift eine Studie über die französische Nordostgrenze veröffentlicht, die die Verletzung der belgischen Neutralität als das Vorspiel des nächsten deutsch-französischen Krieges hinstellte. Drei Jahre später wurde das Verteidigungskomitee in Frankreich mit der Prüfung der Frage beauftragt, ob die französische Grenze gegen einen deutschen Angriff genügend gedeckt sei. In der zu diesem Zweck ausgearbeiteten Denk¬ schrift erklärte der Vorsitzende der Kommission unter anderem, daß die Nordost¬ grenze nur dann genügend gesichert sei, wenn Belgien seine Neutralität aufrecht¬ erhalten könne. Damit wurde also gesagt, daß Frankreich sich hier nicht offensiv, sondern defensiv verhalten wolle. Demgegenüber suchte 1878 der belgische Major D6jardin nachzuweisen, daß voraussichtlich der linke Flügel der franzö¬ sischen Armee weit durch die belgische Ebene ausholen und wahrscheinlich nördlich der Sambre vorgehen würde, da hier das Eisenbahn- und Straßennetz, sowie die Verpflegungsbedingungen für Heeresbewegungen äußerst günstig seien, während weiter südlich in den Ardennen, dem Hohen Venn und der Eifel gerade umgekehrte, also für den Vormarsch eines Heeres ungünstige Verhältnisse vorlagen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/398
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/398>, abgerufen am 29.12.2024.