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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Gluck

Gluck wiederfinden. Denn auch in ihm wohnt Ewiges! Bei der Würdigung
seines großen, lebendigen Kunstlertums, darf natürlich nicht mit seinen theoretisch
niedergelegten großen Absichten, sondern nur mit seinen Taten gerechnet werden.
Nun hat es aber selten einen Musiker gegeben, der bei der Lösung einer
dramatischen Aufgabe mehr heiligen Ernst betätigt hat. In seinen Hauptwerken
-- es sind "Orpheus", "Alceste", "Armida" und die beiden "Iphigenien" darunter
zu verstehen -- ist kaum ein Takt, der nicht den genauen Zusammenhang rin
dem szenischen und dramatischen Gedanken wahrt. Es werden nicht
nur die einfachen Kontraste von Leid und Lust getreu abgespiegelt -- wie
etwa in den Chören der "Alceste" --, sondern wir befinden uns einem
blühenden Reichtum von Stimmungsnuancen gegenüber. Wie fein sind die
Schattierungen der Trauer im ersten Akt des Orpheus, wie meisterhaft ist
die Steigerung der drei Gesänge des Orpheus in der Unterweltsszene, die
doch denselben Inhalt haben: die Bitte um Einlaß. Kaum braucht noch gesagt
zu werden, zu welch mächtiger Wirkung Gluck Stimmungskontraste zu bringen
weiß. Der zweite Akt des Orpheus mit dem Gegensatz von Unterwelt und
Elusium bietet eine überzeugende Probe dieser Meisterschaft, aber es ist bei
weitem nicht die einzige; es sei hier nur etwa auf jene frappante Gegenüber¬
stellung der sanften Priesterinnenchöre und der barbarenhaften Gesänge und
Tänze der Skythen in der "Iphigenie auf Tauris" hingewiesen. Und auch
sonst, welche Überfülle charakteristischer Schönheiten: die dumpfe Wucht der
verschiedenen Furienszenen, das mutige Heldentum in der Schwertarie des
Achill, die wahrhaft aeschrMische Herbheit der Klytämnestraarien, das priester¬
liche Selbstbewußtsein in der Arie des Calchas. Da ist überall gewaltigste Ge¬
staltungskraft zu spüren. Leider ist ihm ja nur einmal, im zweiten Akt des
Orpheus, die Gelegenheit zu einer restlosen Lösung lyrischen und dramatischen
Empfindens gegeben gewesen. Diese Lösung ist aber von ihm aufs- gro߬
artigste vollzogen worden. Wenn sonst auch freilich Nummern, wie etwa das
Terzett der "Iphigenie in Antis", obgleich tadellos und richtig ausgeführt, keine
lebendigen Höhepunkte bilden, so hat Gluck sich doch in zahlreichen Fällen als
echter Dramatiker erwiesen, indem er mit seiner Musik aus dem Text dra¬
matische Wirkungen herausholte, die sonst gar nicht zum Ausdruck gekommen wären.
Man denke nur an den Schluß des dritten "Armida"-Aktes, wo die Furie des
Hasses versinkt, aber eine zitternde Bratschenfigur gleichsam Armidas Herz Nach¬
beben läßt, und wo sich dann über diesem Zittern die ergreifend süße
"InvoLÄtion nie I'amour" erhebt; oder an die Furienszene der "Iphigenie auf
Tauris", wo das Erscheinen der Priesterin und das Erblassen der Furien in
überzeugendster Weise durch die Musik verdeutlicht wird.

Glucks Tonsprache hat jedoch nicht bloß die Eigenschaft eindrucksvoller
Richtigkeit, sondern sie besitzt weit Wertvolleres, freilich etwas, was sich gerade
mit Worten schwer wiedergeben läßt; sie ist von einer echten, tiefen Innigkeit,
vornehm und keusch im edelsten Sinne, hoheitsvoll und doch zart, es ist jener


Gluck

Gluck wiederfinden. Denn auch in ihm wohnt Ewiges! Bei der Würdigung
seines großen, lebendigen Kunstlertums, darf natürlich nicht mit seinen theoretisch
niedergelegten großen Absichten, sondern nur mit seinen Taten gerechnet werden.
Nun hat es aber selten einen Musiker gegeben, der bei der Lösung einer
dramatischen Aufgabe mehr heiligen Ernst betätigt hat. In seinen Hauptwerken
— es sind „Orpheus", „Alceste", „Armida" und die beiden „Iphigenien" darunter
zu verstehen — ist kaum ein Takt, der nicht den genauen Zusammenhang rin
dem szenischen und dramatischen Gedanken wahrt. Es werden nicht
nur die einfachen Kontraste von Leid und Lust getreu abgespiegelt — wie
etwa in den Chören der „Alceste" —, sondern wir befinden uns einem
blühenden Reichtum von Stimmungsnuancen gegenüber. Wie fein sind die
Schattierungen der Trauer im ersten Akt des Orpheus, wie meisterhaft ist
die Steigerung der drei Gesänge des Orpheus in der Unterweltsszene, die
doch denselben Inhalt haben: die Bitte um Einlaß. Kaum braucht noch gesagt
zu werden, zu welch mächtiger Wirkung Gluck Stimmungskontraste zu bringen
weiß. Der zweite Akt des Orpheus mit dem Gegensatz von Unterwelt und
Elusium bietet eine überzeugende Probe dieser Meisterschaft, aber es ist bei
weitem nicht die einzige; es sei hier nur etwa auf jene frappante Gegenüber¬
stellung der sanften Priesterinnenchöre und der barbarenhaften Gesänge und
Tänze der Skythen in der „Iphigenie auf Tauris" hingewiesen. Und auch
sonst, welche Überfülle charakteristischer Schönheiten: die dumpfe Wucht der
verschiedenen Furienszenen, das mutige Heldentum in der Schwertarie des
Achill, die wahrhaft aeschrMische Herbheit der Klytämnestraarien, das priester¬
liche Selbstbewußtsein in der Arie des Calchas. Da ist überall gewaltigste Ge¬
staltungskraft zu spüren. Leider ist ihm ja nur einmal, im zweiten Akt des
Orpheus, die Gelegenheit zu einer restlosen Lösung lyrischen und dramatischen
Empfindens gegeben gewesen. Diese Lösung ist aber von ihm aufs- gro߬
artigste vollzogen worden. Wenn sonst auch freilich Nummern, wie etwa das
Terzett der „Iphigenie in Antis", obgleich tadellos und richtig ausgeführt, keine
lebendigen Höhepunkte bilden, so hat Gluck sich doch in zahlreichen Fällen als
echter Dramatiker erwiesen, indem er mit seiner Musik aus dem Text dra¬
matische Wirkungen herausholte, die sonst gar nicht zum Ausdruck gekommen wären.
Man denke nur an den Schluß des dritten „Armida"-Aktes, wo die Furie des
Hasses versinkt, aber eine zitternde Bratschenfigur gleichsam Armidas Herz Nach¬
beben läßt, und wo sich dann über diesem Zittern die ergreifend süße
»InvoLÄtion nie I'amour" erhebt; oder an die Furienszene der „Iphigenie auf
Tauris", wo das Erscheinen der Priesterin und das Erblassen der Furien in
überzeugendster Weise durch die Musik verdeutlicht wird.

Glucks Tonsprache hat jedoch nicht bloß die Eigenschaft eindrucksvoller
Richtigkeit, sondern sie besitzt weit Wertvolleres, freilich etwas, was sich gerade
mit Worten schwer wiedergeben läßt; sie ist von einer echten, tiefen Innigkeit,
vornehm und keusch im edelsten Sinne, hoheitsvoll und doch zart, es ist jener


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[0369] Gluck Gluck wiederfinden. Denn auch in ihm wohnt Ewiges! Bei der Würdigung seines großen, lebendigen Kunstlertums, darf natürlich nicht mit seinen theoretisch niedergelegten großen Absichten, sondern nur mit seinen Taten gerechnet werden. Nun hat es aber selten einen Musiker gegeben, der bei der Lösung einer dramatischen Aufgabe mehr heiligen Ernst betätigt hat. In seinen Hauptwerken — es sind „Orpheus", „Alceste", „Armida" und die beiden „Iphigenien" darunter zu verstehen — ist kaum ein Takt, der nicht den genauen Zusammenhang rin dem szenischen und dramatischen Gedanken wahrt. Es werden nicht nur die einfachen Kontraste von Leid und Lust getreu abgespiegelt — wie etwa in den Chören der „Alceste" —, sondern wir befinden uns einem blühenden Reichtum von Stimmungsnuancen gegenüber. Wie fein sind die Schattierungen der Trauer im ersten Akt des Orpheus, wie meisterhaft ist die Steigerung der drei Gesänge des Orpheus in der Unterweltsszene, die doch denselben Inhalt haben: die Bitte um Einlaß. Kaum braucht noch gesagt zu werden, zu welch mächtiger Wirkung Gluck Stimmungskontraste zu bringen weiß. Der zweite Akt des Orpheus mit dem Gegensatz von Unterwelt und Elusium bietet eine überzeugende Probe dieser Meisterschaft, aber es ist bei weitem nicht die einzige; es sei hier nur etwa auf jene frappante Gegenüber¬ stellung der sanften Priesterinnenchöre und der barbarenhaften Gesänge und Tänze der Skythen in der „Iphigenie auf Tauris" hingewiesen. Und auch sonst, welche Überfülle charakteristischer Schönheiten: die dumpfe Wucht der verschiedenen Furienszenen, das mutige Heldentum in der Schwertarie des Achill, die wahrhaft aeschrMische Herbheit der Klytämnestraarien, das priester¬ liche Selbstbewußtsein in der Arie des Calchas. Da ist überall gewaltigste Ge¬ staltungskraft zu spüren. Leider ist ihm ja nur einmal, im zweiten Akt des Orpheus, die Gelegenheit zu einer restlosen Lösung lyrischen und dramatischen Empfindens gegeben gewesen. Diese Lösung ist aber von ihm aufs- gro߬ artigste vollzogen worden. Wenn sonst auch freilich Nummern, wie etwa das Terzett der „Iphigenie in Antis", obgleich tadellos und richtig ausgeführt, keine lebendigen Höhepunkte bilden, so hat Gluck sich doch in zahlreichen Fällen als echter Dramatiker erwiesen, indem er mit seiner Musik aus dem Text dra¬ matische Wirkungen herausholte, die sonst gar nicht zum Ausdruck gekommen wären. Man denke nur an den Schluß des dritten „Armida"-Aktes, wo die Furie des Hasses versinkt, aber eine zitternde Bratschenfigur gleichsam Armidas Herz Nach¬ beben läßt, und wo sich dann über diesem Zittern die ergreifend süße »InvoLÄtion nie I'amour" erhebt; oder an die Furienszene der „Iphigenie auf Tauris", wo das Erscheinen der Priesterin und das Erblassen der Furien in überzeugendster Weise durch die Musik verdeutlicht wird. Glucks Tonsprache hat jedoch nicht bloß die Eigenschaft eindrucksvoller Richtigkeit, sondern sie besitzt weit Wertvolleres, freilich etwas, was sich gerade mit Worten schwer wiedergeben läßt; sie ist von einer echten, tiefen Innigkeit, vornehm und keusch im edelsten Sinne, hoheitsvoll und doch zart, es ist jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/369>, abgerufen am 04.01.2025.