Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Reichsspicgel Fehde zwischen den großen jüdischen Wohlfahrtsgesellschaften geführt hat, der Solange die Türkei noch stark genug erschien, ihr Territorium unangetastet Reichsspicgel Fehde zwischen den großen jüdischen Wohlfahrtsgesellschaften geführt hat, der Solange die Türkei noch stark genug erschien, ihr Territorium unangetastet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327810"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspicgel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1640" prev="#ID_1639"> Fehde zwischen den großen jüdischen Wohlfahrtsgesellschaften geführt hat, der<lb/> Streit, der äußerlich darum geht, ob in den jüdischen Schulen Palästinas<lb/> hebräisch in größerem Umfange gelehrt werden soll oder nicht, ist praktisch<lb/> genommen nichts anderes, als ein Vorstoß von Franzosen und Russen — diese<lb/> hinter amerikanische Agitatoren versteckt —, gegen den deutschen Einfluß im<lb/> Orient. Diese Tatsache hebt den Kampf des Hilfsvereins deutscher Juden<lb/> gegen die Zionisten in Palästina weit über die Bedeutung einer jüdischen An¬<lb/> gelegenheit hinaus. Der Hilfsverein — an seiner Spitze steht der bekannte Berliner<lb/> Kaufherr, Philantrop und Kunstsammler Dr. James Simon — will in den von<lb/> ihm finanzierten Schulen in Palästina die deutsche Sprache als Unterrichtssprache<lb/> behalten, mit der zutreffenden Begründung, daß die Juden im Orienthandel<lb/> nur dann eine einflußreiche Stellung gewinnen können, wenn sie eine der großen<lb/> Kultursprachen beherrschen. Die Zionisten wünschen dagegen entsprechend dem<lb/> sogenannten Baseler Programm die althebräische Sprache zur Grundlage allen<lb/> Unterrichts für die nach Palästina gezogenen Juden zu machen. Ihr Ziel ist:<lb/> „die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina" für<lb/> das jüdische Volk.</p><lb/> <p xml:id="ID_1641" next="#ID_1642"> Solange die Türkei noch stark genug erschien, ihr Territorium unangetastet<lb/> zu erhalten, konnte man die zionistische Bewegung mit theoretischem Interesse<lb/> verfolgen, ohne ihr große politische Bedeutung beizumessen. Jetzt, wo zwei so<lb/> mächtige Faktoren der Orientpolitik, wie Frankreich und Rußland, direkt auf die<lb/> Aufteilung der Türkei hinstreben, gewinnt der praktisch betätigte Zionismus ein<lb/> anderes Gesicht, und ich darf hier Gedanken wiederholen, die ich vor etwa zehn<lb/> Jahren, damals ohne Verständnis zu finden, in einem Vortrage in der Deutsch-<lb/> Asiatischen Gesellschaft ausgesprochen habe. Ich wies auf die Notlage der<lb/> Juden in Rußland hin, auf die Gefahr, die nicht nur dem russischen Staate,<lb/> sondern auch der ganzen kultivierten Welt erwachse, wenn so viele Millionen<lb/> Menschen geradenwegs zur Revolution erzogen würden, und führte dann weiter<lb/> aus, daß Nußland nur zwei Auswege aus dieser Sackgasse habe: Aufhebung<lb/> der die Juden beschränkenden Gesetze oder kräftige Unterstützung des Zionismus;<lb/> beides würde für Rußland einen ungeheuren Zuwachs an weltwirtschaftlicher<lb/> Aktionskraft bedeuten; im ersten Falle durch die Belebung des Handels und<lb/> Verkehrs, im zweiten durch den großen Einfluß, den es durch Vermittlung der<lb/> Zionisten auf die Gestaltung der Geschicke der Türkei erhalten könne. Wie schon<lb/> angedeutet, meine Ausführungen wurden von meinen deutschen Hörern in der<lb/> Diskussion mit jenem Wohlwollen hingenommen, das man aus gesellschaftlichen<lb/> Gründen „Anfängern" entgegenbringt; die anwesenden Zionisten erklärten es in<lb/> ihrer temperamentvollen Art für Verleumdung, ihre Bestrebungen mit den<lb/> Interessen der russischen Regierung in Zusammenhang zu bringen. Ich sprach<lb/> damals nicht ohne nähere Kenntnis der russischen Judenpolitik und stand be¬<lb/> sonders unter dem Eindruck eines Gesprächs, das ich im Jahre 1901 mit dem<lb/> damaligen Minister des Innern Ssypjagin geführt hatte. Er sagte etwa: Ruß-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0344]
Reichsspicgel
Fehde zwischen den großen jüdischen Wohlfahrtsgesellschaften geführt hat, der
Streit, der äußerlich darum geht, ob in den jüdischen Schulen Palästinas
hebräisch in größerem Umfange gelehrt werden soll oder nicht, ist praktisch
genommen nichts anderes, als ein Vorstoß von Franzosen und Russen — diese
hinter amerikanische Agitatoren versteckt —, gegen den deutschen Einfluß im
Orient. Diese Tatsache hebt den Kampf des Hilfsvereins deutscher Juden
gegen die Zionisten in Palästina weit über die Bedeutung einer jüdischen An¬
gelegenheit hinaus. Der Hilfsverein — an seiner Spitze steht der bekannte Berliner
Kaufherr, Philantrop und Kunstsammler Dr. James Simon — will in den von
ihm finanzierten Schulen in Palästina die deutsche Sprache als Unterrichtssprache
behalten, mit der zutreffenden Begründung, daß die Juden im Orienthandel
nur dann eine einflußreiche Stellung gewinnen können, wenn sie eine der großen
Kultursprachen beherrschen. Die Zionisten wünschen dagegen entsprechend dem
sogenannten Baseler Programm die althebräische Sprache zur Grundlage allen
Unterrichts für die nach Palästina gezogenen Juden zu machen. Ihr Ziel ist:
„die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina" für
das jüdische Volk.
Solange die Türkei noch stark genug erschien, ihr Territorium unangetastet
zu erhalten, konnte man die zionistische Bewegung mit theoretischem Interesse
verfolgen, ohne ihr große politische Bedeutung beizumessen. Jetzt, wo zwei so
mächtige Faktoren der Orientpolitik, wie Frankreich und Rußland, direkt auf die
Aufteilung der Türkei hinstreben, gewinnt der praktisch betätigte Zionismus ein
anderes Gesicht, und ich darf hier Gedanken wiederholen, die ich vor etwa zehn
Jahren, damals ohne Verständnis zu finden, in einem Vortrage in der Deutsch-
Asiatischen Gesellschaft ausgesprochen habe. Ich wies auf die Notlage der
Juden in Rußland hin, auf die Gefahr, die nicht nur dem russischen Staate,
sondern auch der ganzen kultivierten Welt erwachse, wenn so viele Millionen
Menschen geradenwegs zur Revolution erzogen würden, und führte dann weiter
aus, daß Nußland nur zwei Auswege aus dieser Sackgasse habe: Aufhebung
der die Juden beschränkenden Gesetze oder kräftige Unterstützung des Zionismus;
beides würde für Rußland einen ungeheuren Zuwachs an weltwirtschaftlicher
Aktionskraft bedeuten; im ersten Falle durch die Belebung des Handels und
Verkehrs, im zweiten durch den großen Einfluß, den es durch Vermittlung der
Zionisten auf die Gestaltung der Geschicke der Türkei erhalten könne. Wie schon
angedeutet, meine Ausführungen wurden von meinen deutschen Hörern in der
Diskussion mit jenem Wohlwollen hingenommen, das man aus gesellschaftlichen
Gründen „Anfängern" entgegenbringt; die anwesenden Zionisten erklärten es in
ihrer temperamentvollen Art für Verleumdung, ihre Bestrebungen mit den
Interessen der russischen Regierung in Zusammenhang zu bringen. Ich sprach
damals nicht ohne nähere Kenntnis der russischen Judenpolitik und stand be¬
sonders unter dem Eindruck eines Gesprächs, das ich im Jahre 1901 mit dem
damaligen Minister des Innern Ssypjagin geführt hatte. Er sagte etwa: Ruß-
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