Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses Lobe selbst will gestatten, daß auch solche Tatsachen der Einfachheit halber Dagegen könnte Vorsorge getroffen werden, daß den Parteien die Änderung An sich schließt natürlich der Grundsatz der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit Gegen das Versäumnisurteil wird, abgesehen von den Fällen, in denen Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses Lobe selbst will gestatten, daß auch solche Tatsachen der Einfachheit halber Dagegen könnte Vorsorge getroffen werden, daß den Parteien die Änderung An sich schließt natürlich der Grundsatz der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit Gegen das Versäumnisurteil wird, abgesehen von den Fällen, in denen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327789"/> <fw type="header" place="top"> Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses</fw><lb/> <p xml:id="ID_1506"> Lobe selbst will gestatten, daß auch solche Tatsachen der Einfachheit halber<lb/> dem Berufungsgericht zur Berücksichtigung mitgeteilt werden dürfen, wenn das<lb/> Berufungsverfahren bereits anhängig ist. Entschließt man sich mit Lobe dazu,<lb/> insoweit trotz theoretistper Bedenken Zweckmäßigkeitsgründe gelten zu lassen, so<lb/> wird man sich überhaupt gegen die Zulassung der Berufung auf Grund solcher<lb/> neuen Tatsachen nicht zu sträuben brauchen, wobei dahingestellt bleiben mag,<lb/> ob sich in den Fällen, in welchen der Partei solche Tatsachen erst nach Ablauf<lb/> der Berufungsfrist bekannt werden, die Einführung der Wiederaufnahme des<lb/> Verfahrens empfiehlt. Die Einschränkung des Rechtes der Parteien, neue Tat¬<lb/> sachen und Beweismittel in der Berufungsinstanz vorzubringen, führt ohnehin<lb/> nur zu Komplikationen, wie Jastrow auf dem Anwaltstage betont hat. Es<lb/> ist auch von Jastrow darauf hingewiesen worden, daß das Berufungsgericht<lb/> sachgemäße Urteile nicht wird fällen können, wenn es in der Berücksichtigung<lb/> des Parteivorbringens beschränkt sein soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1507"> Dagegen könnte Vorsorge getroffen werden, daß den Parteien die Änderung<lb/> ihres erstinstanzlichen Vortrages in der Berufungsinstanz unterbunden wird.<lb/> Bei der Neugestaltung des Zivilprozeßverfahrens soll ja jede Bestimmung<lb/> daraufhin ganz besonders geprüft werden, ob sie geeignet ist, der Erforschung<lb/> der Wahrheit zu dienen. Es soll deshalb den Parteien selbst zur Pflicht<lb/> gemacht werden, keine falschen Tatsachen vorzutragen und wahre Tatsachen<lb/> nicht zu bestreiten. Da vorgeschlagen wurde, besondere Nachteile für eine<lb/> Partei, welche lügt, nicht eintreten zu lassen, auch neue Strafvorschriften nicht<lb/> einzuführen, so hat das Gericht an sich jedoch kein Mittel, diese Forderung auch<lb/> zur Geltung zu bringen. Gerade die Frage, ob in der Berufungsinstanz neue<lb/> Tatsachen vorgebracht werden dürfen, läßt von selbst die weitere Frage auf¬<lb/> tauchen, ob die Partei ihre bisherigen tatsächlichen Behauptungen vor dem<lb/> Berufungsgericht ändern darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1508"> An sich schließt natürlich der Grundsatz der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit<lb/> dieses Recht überhaupt aus, weil ja die Partei schon in der ersten Instanz die<lb/> Wahrheit vorgetragen haben müßte. Es kann aber immerhin auch vorkommen,<lb/> daß die Partei in erster Instanz etwas Falsches vorgetragen hat und nun,<lb/> vielleicht weil das falsche Vordringen gerade schuld daran war, daß sie<lb/> schließlich unterlag, in zweiter Instanz ihr Vordringen ändern will. In solchen<lb/> Fällen könnte man in Erwägung ziehen, die Berücksichtigung des neuen Vor¬<lb/> dringens von vornherein davon abhängig zu machen, daß die Partei alsbald<lb/> glaubhaft macht, daß ihr neues, abgeändertes Vordringen den Tatsachen ent¬<lb/> spricht. Damit würde der Prozeß schon von vornherein vor der Gefahr bewahrt<lb/> bleiben, daß die Parteien vom Sach- und Streitstand ein falsches Bild geben,<lb/> weil sie sonst befürchten müßten, später mit einem ihrem bisherigen Vordringen<lb/> entgegengesetzten oder in Widerspruch stehenden Vortrag nicht gehört zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1509" next="#ID_1510"> Gegen das Versäumnisurteil wird, abgesehen von den Fällen, in denen<lb/> sich der Schuldner zu Erklärungen sachlicher Art überhaupt nicht bequemt hat</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses
Lobe selbst will gestatten, daß auch solche Tatsachen der Einfachheit halber
dem Berufungsgericht zur Berücksichtigung mitgeteilt werden dürfen, wenn das
Berufungsverfahren bereits anhängig ist. Entschließt man sich mit Lobe dazu,
insoweit trotz theoretistper Bedenken Zweckmäßigkeitsgründe gelten zu lassen, so
wird man sich überhaupt gegen die Zulassung der Berufung auf Grund solcher
neuen Tatsachen nicht zu sträuben brauchen, wobei dahingestellt bleiben mag,
ob sich in den Fällen, in welchen der Partei solche Tatsachen erst nach Ablauf
der Berufungsfrist bekannt werden, die Einführung der Wiederaufnahme des
Verfahrens empfiehlt. Die Einschränkung des Rechtes der Parteien, neue Tat¬
sachen und Beweismittel in der Berufungsinstanz vorzubringen, führt ohnehin
nur zu Komplikationen, wie Jastrow auf dem Anwaltstage betont hat. Es
ist auch von Jastrow darauf hingewiesen worden, daß das Berufungsgericht
sachgemäße Urteile nicht wird fällen können, wenn es in der Berücksichtigung
des Parteivorbringens beschränkt sein soll.
Dagegen könnte Vorsorge getroffen werden, daß den Parteien die Änderung
ihres erstinstanzlichen Vortrages in der Berufungsinstanz unterbunden wird.
Bei der Neugestaltung des Zivilprozeßverfahrens soll ja jede Bestimmung
daraufhin ganz besonders geprüft werden, ob sie geeignet ist, der Erforschung
der Wahrheit zu dienen. Es soll deshalb den Parteien selbst zur Pflicht
gemacht werden, keine falschen Tatsachen vorzutragen und wahre Tatsachen
nicht zu bestreiten. Da vorgeschlagen wurde, besondere Nachteile für eine
Partei, welche lügt, nicht eintreten zu lassen, auch neue Strafvorschriften nicht
einzuführen, so hat das Gericht an sich jedoch kein Mittel, diese Forderung auch
zur Geltung zu bringen. Gerade die Frage, ob in der Berufungsinstanz neue
Tatsachen vorgebracht werden dürfen, läßt von selbst die weitere Frage auf¬
tauchen, ob die Partei ihre bisherigen tatsächlichen Behauptungen vor dem
Berufungsgericht ändern darf.
An sich schließt natürlich der Grundsatz der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit
dieses Recht überhaupt aus, weil ja die Partei schon in der ersten Instanz die
Wahrheit vorgetragen haben müßte. Es kann aber immerhin auch vorkommen,
daß die Partei in erster Instanz etwas Falsches vorgetragen hat und nun,
vielleicht weil das falsche Vordringen gerade schuld daran war, daß sie
schließlich unterlag, in zweiter Instanz ihr Vordringen ändern will. In solchen
Fällen könnte man in Erwägung ziehen, die Berücksichtigung des neuen Vor¬
dringens von vornherein davon abhängig zu machen, daß die Partei alsbald
glaubhaft macht, daß ihr neues, abgeändertes Vordringen den Tatsachen ent¬
spricht. Damit würde der Prozeß schon von vornherein vor der Gefahr bewahrt
bleiben, daß die Parteien vom Sach- und Streitstand ein falsches Bild geben,
weil sie sonst befürchten müßten, später mit einem ihrem bisherigen Vordringen
entgegengesetzten oder in Widerspruch stehenden Vortrag nicht gehört zu werden.
Gegen das Versäumnisurteil wird, abgesehen von den Fällen, in denen
sich der Schuldner zu Erklärungen sachlicher Art überhaupt nicht bequemt hat
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