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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Weltvolitik, von Frankreich aus gesehen
Arthur Dix. von

lie französische Machtpolitik hat eine doppelte Zielsetzung. Einmal
herrscht, was den europäischen Kontinent anbetrifft, beständig das
Bestreben, die Ostgrenze des Landes weiter östlich hinauszuschieben;
zum zweiten aber, im Hinblick auf die gesamte alte Welt, das
Bestreben, die Herrschaft auszuüben über das Mittelmeer und das
weite Hinterland seiner nichteuropäischen Gestade.

In den Zeiten aktivster ftanzöstscher Weltpolitik, das heißt unter Bonaparte,
trat diese Doppelrichtung ganz besonders deutlich hervor. Die östliche Ver¬
schiebung der französischen Grenze ging ins Ungemessene und die Mittelmeer¬
pläne des Korsen waren so hochfliegend, daß er sich vorübergehend mit dem
Gedanken getragen, sich zum Kaiser des Orients zu machen. Diese weitgreifende
Mittelmeerpolitik war der eigentliche Ausgangspunkt der Napoleonischen Politik
im ganzen. Daß er mit seinen ägyptischen Plänen auf einen so heftigen Wider¬
stand Englands gestoßen, das machte ihn zum unerbittlichen Gegner des Insel-
reiches und führte ihn auf dem europäischen Festlande bis nach Moskau in
der Absicht, ganz Europa zu zwingen, durch die restlos verwirklichte Kontinental¬
sperre Englands Kräfte lahmzulegen. Der Erfolg war gerade umgekehrt die
Stabilisierung der britischen Seeherrschaft, während Napoleons Werk auf dem
Kontinent so gut wie im Mittelmeer in Trümmer ging.

In der Gegenwart aber haben wir doch wieder reichliche Gelegenheit
Frankreich an der Arbeit zu sehen, um seine alten Machtpläne zu verwirklichen.
In vollem Umfange freilich kann es auf Erfolg nicht mehr rechnen -- seine
Mittelmeermacht vermag es nur so weit auszudehnen, wie das englische Ein¬
vernehmen es ihm gestattet.

Im Jahre 1898 war es, als Frankreich sich mit voller Klarheit vor die
Entscheidung gestellt sah, eins der beiden Endziele seiner Machtpolitik zugunsten
des anderen aufzugeben. Es bestand die Möglichkeit: auf die Verschiebung der


Grenzboten I 1914 19


Weltvolitik, von Frankreich aus gesehen
Arthur Dix. von

lie französische Machtpolitik hat eine doppelte Zielsetzung. Einmal
herrscht, was den europäischen Kontinent anbetrifft, beständig das
Bestreben, die Ostgrenze des Landes weiter östlich hinauszuschieben;
zum zweiten aber, im Hinblick auf die gesamte alte Welt, das
Bestreben, die Herrschaft auszuüben über das Mittelmeer und das
weite Hinterland seiner nichteuropäischen Gestade.

In den Zeiten aktivster ftanzöstscher Weltpolitik, das heißt unter Bonaparte,
trat diese Doppelrichtung ganz besonders deutlich hervor. Die östliche Ver¬
schiebung der französischen Grenze ging ins Ungemessene und die Mittelmeer¬
pläne des Korsen waren so hochfliegend, daß er sich vorübergehend mit dem
Gedanken getragen, sich zum Kaiser des Orients zu machen. Diese weitgreifende
Mittelmeerpolitik war der eigentliche Ausgangspunkt der Napoleonischen Politik
im ganzen. Daß er mit seinen ägyptischen Plänen auf einen so heftigen Wider¬
stand Englands gestoßen, das machte ihn zum unerbittlichen Gegner des Insel-
reiches und führte ihn auf dem europäischen Festlande bis nach Moskau in
der Absicht, ganz Europa zu zwingen, durch die restlos verwirklichte Kontinental¬
sperre Englands Kräfte lahmzulegen. Der Erfolg war gerade umgekehrt die
Stabilisierung der britischen Seeherrschaft, während Napoleons Werk auf dem
Kontinent so gut wie im Mittelmeer in Trümmer ging.

In der Gegenwart aber haben wir doch wieder reichliche Gelegenheit
Frankreich an der Arbeit zu sehen, um seine alten Machtpläne zu verwirklichen.
In vollem Umfange freilich kann es auf Erfolg nicht mehr rechnen — seine
Mittelmeermacht vermag es nur so weit auszudehnen, wie das englische Ein¬
vernehmen es ihm gestattet.

Im Jahre 1898 war es, als Frankreich sich mit voller Klarheit vor die
Entscheidung gestellt sah, eins der beiden Endziele seiner Machtpolitik zugunsten
des anderen aufzugeben. Es bestand die Möglichkeit: auf die Verschiebung der


Grenzboten I 1914 19
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[0301] [Abbildung] Weltvolitik, von Frankreich aus gesehen Arthur Dix. von lie französische Machtpolitik hat eine doppelte Zielsetzung. Einmal herrscht, was den europäischen Kontinent anbetrifft, beständig das Bestreben, die Ostgrenze des Landes weiter östlich hinauszuschieben; zum zweiten aber, im Hinblick auf die gesamte alte Welt, das Bestreben, die Herrschaft auszuüben über das Mittelmeer und das weite Hinterland seiner nichteuropäischen Gestade. In den Zeiten aktivster ftanzöstscher Weltpolitik, das heißt unter Bonaparte, trat diese Doppelrichtung ganz besonders deutlich hervor. Die östliche Ver¬ schiebung der französischen Grenze ging ins Ungemessene und die Mittelmeer¬ pläne des Korsen waren so hochfliegend, daß er sich vorübergehend mit dem Gedanken getragen, sich zum Kaiser des Orients zu machen. Diese weitgreifende Mittelmeerpolitik war der eigentliche Ausgangspunkt der Napoleonischen Politik im ganzen. Daß er mit seinen ägyptischen Plänen auf einen so heftigen Wider¬ stand Englands gestoßen, das machte ihn zum unerbittlichen Gegner des Insel- reiches und führte ihn auf dem europäischen Festlande bis nach Moskau in der Absicht, ganz Europa zu zwingen, durch die restlos verwirklichte Kontinental¬ sperre Englands Kräfte lahmzulegen. Der Erfolg war gerade umgekehrt die Stabilisierung der britischen Seeherrschaft, während Napoleons Werk auf dem Kontinent so gut wie im Mittelmeer in Trümmer ging. In der Gegenwart aber haben wir doch wieder reichliche Gelegenheit Frankreich an der Arbeit zu sehen, um seine alten Machtpläne zu verwirklichen. In vollem Umfange freilich kann es auf Erfolg nicht mehr rechnen — seine Mittelmeermacht vermag es nur so weit auszudehnen, wie das englische Ein¬ vernehmen es ihm gestattet. Im Jahre 1898 war es, als Frankreich sich mit voller Klarheit vor die Entscheidung gestellt sah, eins der beiden Endziele seiner Machtpolitik zugunsten des anderen aufzugeben. Es bestand die Möglichkeit: auf die Verschiebung der Grenzboten I 1914 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/301>, abgerufen am 29.12.2024.