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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Für Indien den preis I

bildenden Heldendichtung sind Barden zu denken, "die an den Höfen der Könige
lebten und bei großen Festen ihre Lieder vortrugen." Schon frühzeitig wurde
dieses Riesenwerk, das aus achtzehn Büchern mit über 90 000 Doppelversen
besteht, mit brahmanischen Mythen und Legenden und mit philosophischen
Reflexionen üppig durchsetzt. Die Inder betrachten es "zwar immer als ein
Epos, als ein Werk der Dichtkunst, aber zugleich auch als ein auf uralter
Überlieferung beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes
Lehrbuch der Moral, des Rechts und der Philosophie". Wiederum Paul Deussen
verdanken wir "Vier philosophische Texte des Mahabharatam" in vorzüglicher
deutscher Übersetzung. Wie diese philosophischen Gedichte gleichsam den Kampf
der ursprünglichen Upanishadlehre mit den Anschauungen des atheistischen Sankhjam
und des theistischer Joga versinnbildlichen, so hat die eigentliche Heldendichtung
zum Gegenstand das Ringen zweier arischer verwandter Stämme, der Kuru's
und der Pandava's, und beruht wohl auf Erinnerungen an die indische Völker¬
wanderung, das Eindringen der Arier in das Gangesland und die damit
verbundenen Kämpfe. Die schönsten Stücke indischer Heldendichtung hat Adolf
Holtzmann, zum Teil ziemlich frei, ja willkürlich, aber immer mit Geschmack
und dichterischem Schwung ins Deutsche übertragen und seine "Indischen Sagen"
sind eben jetzt in wertvollen Buchgewand von M. Winternitz neu herausgegeben
worden (Diederichs, Jena 1913). Die Bewunderung, die schon Hebbel und Richard
Wagner dieser Nachschöpfung zollten, ist noch heute in vollem Maße verdient.
Es lebt eine Dichtung vor uns auf, so machtvoll in ihrer Phantasieanschauuug
und ihren Ausdrucksmitteln, so tief und ergreifend in ihrem rein menschlichen
wie geistigen und ethischen Gehalt, daß sich ihr, unter Berücksichtigung natürlich
anderer Verhältnisse und Bedingungen, nur die homerische gegenüberstellen läßt.
Einzelne Episoden wie "Savitri" und "Nal und Damajanti" sind durch Nückertsche
Übertragungen lange schon bekannt geworden. Welche männliche Kraft,
welche zarte Weichheit, welcher Tiefsinn wirkt und webt in ihnen allen! Von
packender Gewalt ist der Heldenkampf der Kuru- und Pcmdusöhne. Gleich der
erste Gesang, in dem Judhischthira, der Panduing, an Durjodhana, den Kuruing
alleZ, zuletzt auch sein Weib verspielt, und der siegreiche Gegner, von Jud-
hischthiras klagender Gattin zum Richter aufgerufen, diese großmütig zurückgiebt,
ist voll dramatischer Spannung, voll Adel der Gesinnung. Meisterhaft ist die
Zeichnung der einzelnen Helden, die Schilderung der todbringenden Kämpfe.
Wie eine Reihe schwärmender Bienen, wie aus der Wetterwolke die Blitze, wie
Donnerkeile alles zerreißend, wie zornigzüngelnde giftige Schlangen folgen sich
die zischenden Pfeile. Der Panzer von schwarzem Eisen, verziert mit Gold,
gleicht der Wolke, auf deren dunkler Fläche die Blitze hellzuckend hin und Her¬
fahren; der Speer durchschneidet mit Sausen die Luft und glänzt wie ein Meteor;
der getroffene Held, dem das Blut am ganzen Leib entrieselt, gleicht dem Asoka-
strauch, "den bei des Winters Ende die Menge der roten Knospen ganz
bedeckt". Alle Wesen des Himmels und der Erde nehmen Partei im tobenden


Für Indien den preis I

bildenden Heldendichtung sind Barden zu denken, „die an den Höfen der Könige
lebten und bei großen Festen ihre Lieder vortrugen." Schon frühzeitig wurde
dieses Riesenwerk, das aus achtzehn Büchern mit über 90 000 Doppelversen
besteht, mit brahmanischen Mythen und Legenden und mit philosophischen
Reflexionen üppig durchsetzt. Die Inder betrachten es „zwar immer als ein
Epos, als ein Werk der Dichtkunst, aber zugleich auch als ein auf uralter
Überlieferung beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes
Lehrbuch der Moral, des Rechts und der Philosophie". Wiederum Paul Deussen
verdanken wir „Vier philosophische Texte des Mahabharatam" in vorzüglicher
deutscher Übersetzung. Wie diese philosophischen Gedichte gleichsam den Kampf
der ursprünglichen Upanishadlehre mit den Anschauungen des atheistischen Sankhjam
und des theistischer Joga versinnbildlichen, so hat die eigentliche Heldendichtung
zum Gegenstand das Ringen zweier arischer verwandter Stämme, der Kuru's
und der Pandava's, und beruht wohl auf Erinnerungen an die indische Völker¬
wanderung, das Eindringen der Arier in das Gangesland und die damit
verbundenen Kämpfe. Die schönsten Stücke indischer Heldendichtung hat Adolf
Holtzmann, zum Teil ziemlich frei, ja willkürlich, aber immer mit Geschmack
und dichterischem Schwung ins Deutsche übertragen und seine „Indischen Sagen"
sind eben jetzt in wertvollen Buchgewand von M. Winternitz neu herausgegeben
worden (Diederichs, Jena 1913). Die Bewunderung, die schon Hebbel und Richard
Wagner dieser Nachschöpfung zollten, ist noch heute in vollem Maße verdient.
Es lebt eine Dichtung vor uns auf, so machtvoll in ihrer Phantasieanschauuug
und ihren Ausdrucksmitteln, so tief und ergreifend in ihrem rein menschlichen
wie geistigen und ethischen Gehalt, daß sich ihr, unter Berücksichtigung natürlich
anderer Verhältnisse und Bedingungen, nur die homerische gegenüberstellen läßt.
Einzelne Episoden wie „Savitri" und „Nal und Damajanti" sind durch Nückertsche
Übertragungen lange schon bekannt geworden. Welche männliche Kraft,
welche zarte Weichheit, welcher Tiefsinn wirkt und webt in ihnen allen! Von
packender Gewalt ist der Heldenkampf der Kuru- und Pcmdusöhne. Gleich der
erste Gesang, in dem Judhischthira, der Panduing, an Durjodhana, den Kuruing
alleZ, zuletzt auch sein Weib verspielt, und der siegreiche Gegner, von Jud-
hischthiras klagender Gattin zum Richter aufgerufen, diese großmütig zurückgiebt,
ist voll dramatischer Spannung, voll Adel der Gesinnung. Meisterhaft ist die
Zeichnung der einzelnen Helden, die Schilderung der todbringenden Kämpfe.
Wie eine Reihe schwärmender Bienen, wie aus der Wetterwolke die Blitze, wie
Donnerkeile alles zerreißend, wie zornigzüngelnde giftige Schlangen folgen sich
die zischenden Pfeile. Der Panzer von schwarzem Eisen, verziert mit Gold,
gleicht der Wolke, auf deren dunkler Fläche die Blitze hellzuckend hin und Her¬
fahren; der Speer durchschneidet mit Sausen die Luft und glänzt wie ein Meteor;
der getroffene Held, dem das Blut am ganzen Leib entrieselt, gleicht dem Asoka-
strauch, „den bei des Winters Ende die Menge der roten Knospen ganz
bedeckt". Alle Wesen des Himmels und der Erde nehmen Partei im tobenden


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[0027] Für Indien den preis I bildenden Heldendichtung sind Barden zu denken, „die an den Höfen der Könige lebten und bei großen Festen ihre Lieder vortrugen." Schon frühzeitig wurde dieses Riesenwerk, das aus achtzehn Büchern mit über 90 000 Doppelversen besteht, mit brahmanischen Mythen und Legenden und mit philosophischen Reflexionen üppig durchsetzt. Die Inder betrachten es „zwar immer als ein Epos, als ein Werk der Dichtkunst, aber zugleich auch als ein auf uralter Überlieferung beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes Lehrbuch der Moral, des Rechts und der Philosophie". Wiederum Paul Deussen verdanken wir „Vier philosophische Texte des Mahabharatam" in vorzüglicher deutscher Übersetzung. Wie diese philosophischen Gedichte gleichsam den Kampf der ursprünglichen Upanishadlehre mit den Anschauungen des atheistischen Sankhjam und des theistischer Joga versinnbildlichen, so hat die eigentliche Heldendichtung zum Gegenstand das Ringen zweier arischer verwandter Stämme, der Kuru's und der Pandava's, und beruht wohl auf Erinnerungen an die indische Völker¬ wanderung, das Eindringen der Arier in das Gangesland und die damit verbundenen Kämpfe. Die schönsten Stücke indischer Heldendichtung hat Adolf Holtzmann, zum Teil ziemlich frei, ja willkürlich, aber immer mit Geschmack und dichterischem Schwung ins Deutsche übertragen und seine „Indischen Sagen" sind eben jetzt in wertvollen Buchgewand von M. Winternitz neu herausgegeben worden (Diederichs, Jena 1913). Die Bewunderung, die schon Hebbel und Richard Wagner dieser Nachschöpfung zollten, ist noch heute in vollem Maße verdient. Es lebt eine Dichtung vor uns auf, so machtvoll in ihrer Phantasieanschauuug und ihren Ausdrucksmitteln, so tief und ergreifend in ihrem rein menschlichen wie geistigen und ethischen Gehalt, daß sich ihr, unter Berücksichtigung natürlich anderer Verhältnisse und Bedingungen, nur die homerische gegenüberstellen läßt. Einzelne Episoden wie „Savitri" und „Nal und Damajanti" sind durch Nückertsche Übertragungen lange schon bekannt geworden. Welche männliche Kraft, welche zarte Weichheit, welcher Tiefsinn wirkt und webt in ihnen allen! Von packender Gewalt ist der Heldenkampf der Kuru- und Pcmdusöhne. Gleich der erste Gesang, in dem Judhischthira, der Panduing, an Durjodhana, den Kuruing alleZ, zuletzt auch sein Weib verspielt, und der siegreiche Gegner, von Jud- hischthiras klagender Gattin zum Richter aufgerufen, diese großmütig zurückgiebt, ist voll dramatischer Spannung, voll Adel der Gesinnung. Meisterhaft ist die Zeichnung der einzelnen Helden, die Schilderung der todbringenden Kämpfe. Wie eine Reihe schwärmender Bienen, wie aus der Wetterwolke die Blitze, wie Donnerkeile alles zerreißend, wie zornigzüngelnde giftige Schlangen folgen sich die zischenden Pfeile. Der Panzer von schwarzem Eisen, verziert mit Gold, gleicht der Wolke, auf deren dunkler Fläche die Blitze hellzuckend hin und Her¬ fahren; der Speer durchschneidet mit Sausen die Luft und glänzt wie ein Meteor; der getroffene Held, dem das Blut am ganzen Leib entrieselt, gleicht dem Asoka- strauch, „den bei des Winters Ende die Menge der roten Knospen ganz bedeckt". Alle Wesen des Himmels und der Erde nehmen Partei im tobenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/27>, abgerufen am 29.12.2024.