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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

interessierten Großmächten geltend machen, die es die Macht hat zu ver¬
teidigen -- zu verteidigen mit der Intelligenz seiner Diplomaten und der Wucht
seines Kapitals im Orient, mit seiner Armee und Flotte in Mitteleuropa!
Doch hierüber brauchen wir uns, solange wir mit der Lebensfähigkeit der Türkei
in ihren neuen Grenzen rechnen, die Köpfe nicht zu zerbrechen. Unsere
wirtschaftlichen Interessen werden durch die Deutsche Bank eifersüchtig gehütet,
und ihnen wird es kaum zum Nachteil gereichen, wenn wir uns den Türken
gegenüber auch in Zeiten der Not als zuverlässige Freunde erwiesen.

Denjenigen, die die Angelegenheit der deutschen Militärmission glauben
zum Anlaß nehmen zu müssen, um erneut pessimistische Ansichten über unsere
auswärtige Politik zu verbreiten, möchte ich die Frage vorlegen, was sie
glauben, daß getan werden sollte? Sollte die Mission ganz zurückgezogen und
damit die Türkei vollends dem Einfluß der Ententemächte überantwortet werden?
Oder sollte Limans Stellung mit Waffengewalt durchgesetzt oder sollte Rußland
gezwungen werden, seine Wünsche zurückzuziehen? Ich gebe zu, daß mir die
zuletzt genannte Alternative die sympathischeste gewesen wäre. Aber, frage ich
mich, was wäre für uns zu gewinnen gewesen? Wo hätten wir zugreifen
können? Um eines Schemens ohne praktischen Wert willen durfte doch nicht
die Möglichkeit eines europäischen Krieges heraufbeschworen werden!? Schließlich
aber denkt bei uns kein Mann in verantwortlicher Stellung daran, Kriege an¬
zuzetteln, wenn wir in der Weltpolitik die gleichen Ergebnisse mit friedlichen
Mitteln, durch die Intelligenz unserer Ingenieure und den zähen Fleiß unseres
Kaufmannes, erreichen können, Das gibt unserer auswärtigen Politik, die
dem außenstehenden Beobachter in Einzelfällen und besonders in früheren
Jahren sprunghaft und ziellos erschien, tatsächlich eine Stetigkeit, um die uns
unsere Gegner beneiden. Und man mag an der innerpolitischen Wirksamkeit
des fünften Kanzlers noch so viel auszusetzen haben, man wird ihm und seinen,
Staatssekretär zubilligen müssen, daß sie die Stetigkeit auch in den Mitteln und
in ihrem Auftreten zum Ausdruck zu bringen verstehen. Unser diplomatischer
Apparat arbeitet heute leiser denn je. Aber nicht, weil er etwas Geheimnisvolles
treibt, sondern weil seine Leiter sich auf sicherem Grunde wissen und weil sie
der Kraft der weltwirtschaftlichen Entwicklung des Deutschen Reiches vertrauen
können.

Solchem Selbstvertrauen verlieh auch der Staatssekretär des Reichsamts
des Innern Herr I)r. Delbrück beredten Ausdruck, als er neulich bei Gelegenheit
seines Etats im Reichstage über die Vorbereitung der Handelsverträge sprach. Die


Reichsspiegel

interessierten Großmächten geltend machen, die es die Macht hat zu ver¬
teidigen — zu verteidigen mit der Intelligenz seiner Diplomaten und der Wucht
seines Kapitals im Orient, mit seiner Armee und Flotte in Mitteleuropa!
Doch hierüber brauchen wir uns, solange wir mit der Lebensfähigkeit der Türkei
in ihren neuen Grenzen rechnen, die Köpfe nicht zu zerbrechen. Unsere
wirtschaftlichen Interessen werden durch die Deutsche Bank eifersüchtig gehütet,
und ihnen wird es kaum zum Nachteil gereichen, wenn wir uns den Türken
gegenüber auch in Zeiten der Not als zuverlässige Freunde erwiesen.

Denjenigen, die die Angelegenheit der deutschen Militärmission glauben
zum Anlaß nehmen zu müssen, um erneut pessimistische Ansichten über unsere
auswärtige Politik zu verbreiten, möchte ich die Frage vorlegen, was sie
glauben, daß getan werden sollte? Sollte die Mission ganz zurückgezogen und
damit die Türkei vollends dem Einfluß der Ententemächte überantwortet werden?
Oder sollte Limans Stellung mit Waffengewalt durchgesetzt oder sollte Rußland
gezwungen werden, seine Wünsche zurückzuziehen? Ich gebe zu, daß mir die
zuletzt genannte Alternative die sympathischeste gewesen wäre. Aber, frage ich
mich, was wäre für uns zu gewinnen gewesen? Wo hätten wir zugreifen
können? Um eines Schemens ohne praktischen Wert willen durfte doch nicht
die Möglichkeit eines europäischen Krieges heraufbeschworen werden!? Schließlich
aber denkt bei uns kein Mann in verantwortlicher Stellung daran, Kriege an¬
zuzetteln, wenn wir in der Weltpolitik die gleichen Ergebnisse mit friedlichen
Mitteln, durch die Intelligenz unserer Ingenieure und den zähen Fleiß unseres
Kaufmannes, erreichen können, Das gibt unserer auswärtigen Politik, die
dem außenstehenden Beobachter in Einzelfällen und besonders in früheren
Jahren sprunghaft und ziellos erschien, tatsächlich eine Stetigkeit, um die uns
unsere Gegner beneiden. Und man mag an der innerpolitischen Wirksamkeit
des fünften Kanzlers noch so viel auszusetzen haben, man wird ihm und seinen,
Staatssekretär zubilligen müssen, daß sie die Stetigkeit auch in den Mitteln und
in ihrem Auftreten zum Ausdruck zu bringen verstehen. Unser diplomatischer
Apparat arbeitet heute leiser denn je. Aber nicht, weil er etwas Geheimnisvolles
treibt, sondern weil seine Leiter sich auf sicherem Grunde wissen und weil sie
der Kraft der weltwirtschaftlichen Entwicklung des Deutschen Reiches vertrauen
können.

Solchem Selbstvertrauen verlieh auch der Staatssekretär des Reichsamts
des Innern Herr I)r. Delbrück beredten Ausdruck, als er neulich bei Gelegenheit
seines Etats im Reichstage über die Vorbereitung der Handelsverträge sprach. Die


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[0245] Reichsspiegel interessierten Großmächten geltend machen, die es die Macht hat zu ver¬ teidigen — zu verteidigen mit der Intelligenz seiner Diplomaten und der Wucht seines Kapitals im Orient, mit seiner Armee und Flotte in Mitteleuropa! Doch hierüber brauchen wir uns, solange wir mit der Lebensfähigkeit der Türkei in ihren neuen Grenzen rechnen, die Köpfe nicht zu zerbrechen. Unsere wirtschaftlichen Interessen werden durch die Deutsche Bank eifersüchtig gehütet, und ihnen wird es kaum zum Nachteil gereichen, wenn wir uns den Türken gegenüber auch in Zeiten der Not als zuverlässige Freunde erwiesen. Denjenigen, die die Angelegenheit der deutschen Militärmission glauben zum Anlaß nehmen zu müssen, um erneut pessimistische Ansichten über unsere auswärtige Politik zu verbreiten, möchte ich die Frage vorlegen, was sie glauben, daß getan werden sollte? Sollte die Mission ganz zurückgezogen und damit die Türkei vollends dem Einfluß der Ententemächte überantwortet werden? Oder sollte Limans Stellung mit Waffengewalt durchgesetzt oder sollte Rußland gezwungen werden, seine Wünsche zurückzuziehen? Ich gebe zu, daß mir die zuletzt genannte Alternative die sympathischeste gewesen wäre. Aber, frage ich mich, was wäre für uns zu gewinnen gewesen? Wo hätten wir zugreifen können? Um eines Schemens ohne praktischen Wert willen durfte doch nicht die Möglichkeit eines europäischen Krieges heraufbeschworen werden!? Schließlich aber denkt bei uns kein Mann in verantwortlicher Stellung daran, Kriege an¬ zuzetteln, wenn wir in der Weltpolitik die gleichen Ergebnisse mit friedlichen Mitteln, durch die Intelligenz unserer Ingenieure und den zähen Fleiß unseres Kaufmannes, erreichen können, Das gibt unserer auswärtigen Politik, die dem außenstehenden Beobachter in Einzelfällen und besonders in früheren Jahren sprunghaft und ziellos erschien, tatsächlich eine Stetigkeit, um die uns unsere Gegner beneiden. Und man mag an der innerpolitischen Wirksamkeit des fünften Kanzlers noch so viel auszusetzen haben, man wird ihm und seinen, Staatssekretär zubilligen müssen, daß sie die Stetigkeit auch in den Mitteln und in ihrem Auftreten zum Ausdruck zu bringen verstehen. Unser diplomatischer Apparat arbeitet heute leiser denn je. Aber nicht, weil er etwas Geheimnisvolles treibt, sondern weil seine Leiter sich auf sicherem Grunde wissen und weil sie der Kraft der weltwirtschaftlichen Entwicklung des Deutschen Reiches vertrauen können. Solchem Selbstvertrauen verlieh auch der Staatssekretär des Reichsamts des Innern Herr I)r. Delbrück beredten Ausdruck, als er neulich bei Gelegenheit seines Etats im Reichstage über die Vorbereitung der Handelsverträge sprach. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/245>, abgerufen am 01.01.2025.