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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Llaudians Lobgesänge

Meuchelmord zum Opfer, nachdem der Dichter noch zuvor in quälender Reue
Stilicho zu retten versucht hat.

Lange Zeit -- seit der Katastrophe ungefähr, in der der "Stein unter Steinen"
im Oktober 1905 zu Atomen zerstiebte -- war es für die Kritik an Suder¬
mann der gangbarste Gemeinplatz, dieser litauerblütige Ostpreuße sei sentimental
und seicht geworden (oder von jeher gewesen), wisse aber noch immer die Karten
des Bühnenspiels zu mischen, kenne sich wie kaum einer in den Geheimnissen
jener Künste aus, durch die die Komödie wirkt.

Nun muß auch dieser Ruhm ins Grab. Denn dieses Wer? ist das ödeste,
langweiligste, was er je seinen Hörern beschert hat. Drei, vier verworrene
Motive im ersten Akt. Christen- gegen Heidentum. Eine Ehe. von der man
nie klar erfährt, warum sie keine Ehe ist. Eine römische Gesandtschaft, von
der man nicht weiß, was sie eigentlich will. Man hascht nach dem, was der
Dichter scheinbar zur Entwicklung bestimmt hat und erfährt erst, nachdem man
sich durch dreißig lange Seiten gearbeitet hat, von Stilichos Stellung zum
Reich, von der Claudians zum Feldherrn. Bis dahin, und auch im weiteren
Verlauf, ergeht sich Sudermann in einem Wust barocker Schwülstigkeiten:

"In mir brennen Wünsche, die noch kein Weib anblies .. ."

"Draußen rast die weltstürmende Jagd. Ich sitze hier in erquickungsloser
Versumpfung."

Soweit ist es mit einem Dramatiker gekommen, der uns in den ersten,
noch unverdorbenen Jahren seines Theaterruhmes eine ehrlich gehegte Idee,
später im schlimmsten Kitsch, in der ekelsten Banalität immer noch einen scharf¬
gespitzten Dialog zu geben wußte. ..

Die Handlung an sich wäre in drei knappe Akte einzufügen gewesen. Bei
restloser Entwicklung des Psychischen. Sudermann braucht fünf, schildert auf
neunzig von einhundertundsechzig Seiten das byzantinische Milieu, sügt lose die
Geschehnisse ein, ertränkt alle dramatischen Möglichkeiten in einer Flut von
Banalitäten und überläßt die seelische Entwicklung ganz der Phantasie seiner
Leser. Wodurch Claudian das erstemal aus seiner zweifelhaften Stellung heraus
unter die verborgenen Feinde des Feldherrn tritt, wird nicht verraten. Und
um diesen Mangel zu verhüllen, läßt Sudermann ihn im ersten Akt Platt¬
heiten, in: zweiten, kurz vor der Ankunft des Alarich im Lager, vollkommenen
Unsinn reden. Als er dann, im vierten, von neuem zum Verräter an Stilicho
geworden ist und ihn sein Weib schließlich zu dessen Rettung umstimmt, genügt
Sudermann zu dieser seelischen Katastrophe der folgende Wortwechsel:


Eudora (sein Weib)

Er (Stilicho) wird nicht zurückkehren.


Claudian

Wird er nicht?


Llaudians Lobgesänge

Meuchelmord zum Opfer, nachdem der Dichter noch zuvor in quälender Reue
Stilicho zu retten versucht hat.

Lange Zeit — seit der Katastrophe ungefähr, in der der „Stein unter Steinen"
im Oktober 1905 zu Atomen zerstiebte — war es für die Kritik an Suder¬
mann der gangbarste Gemeinplatz, dieser litauerblütige Ostpreuße sei sentimental
und seicht geworden (oder von jeher gewesen), wisse aber noch immer die Karten
des Bühnenspiels zu mischen, kenne sich wie kaum einer in den Geheimnissen
jener Künste aus, durch die die Komödie wirkt.

Nun muß auch dieser Ruhm ins Grab. Denn dieses Wer? ist das ödeste,
langweiligste, was er je seinen Hörern beschert hat. Drei, vier verworrene
Motive im ersten Akt. Christen- gegen Heidentum. Eine Ehe. von der man
nie klar erfährt, warum sie keine Ehe ist. Eine römische Gesandtschaft, von
der man nicht weiß, was sie eigentlich will. Man hascht nach dem, was der
Dichter scheinbar zur Entwicklung bestimmt hat und erfährt erst, nachdem man
sich durch dreißig lange Seiten gearbeitet hat, von Stilichos Stellung zum
Reich, von der Claudians zum Feldherrn. Bis dahin, und auch im weiteren
Verlauf, ergeht sich Sudermann in einem Wust barocker Schwülstigkeiten:

„In mir brennen Wünsche, die noch kein Weib anblies .. ."

„Draußen rast die weltstürmende Jagd. Ich sitze hier in erquickungsloser
Versumpfung."

Soweit ist es mit einem Dramatiker gekommen, der uns in den ersten,
noch unverdorbenen Jahren seines Theaterruhmes eine ehrlich gehegte Idee,
später im schlimmsten Kitsch, in der ekelsten Banalität immer noch einen scharf¬
gespitzten Dialog zu geben wußte. ..

Die Handlung an sich wäre in drei knappe Akte einzufügen gewesen. Bei
restloser Entwicklung des Psychischen. Sudermann braucht fünf, schildert auf
neunzig von einhundertundsechzig Seiten das byzantinische Milieu, sügt lose die
Geschehnisse ein, ertränkt alle dramatischen Möglichkeiten in einer Flut von
Banalitäten und überläßt die seelische Entwicklung ganz der Phantasie seiner
Leser. Wodurch Claudian das erstemal aus seiner zweifelhaften Stellung heraus
unter die verborgenen Feinde des Feldherrn tritt, wird nicht verraten. Und
um diesen Mangel zu verhüllen, läßt Sudermann ihn im ersten Akt Platt¬
heiten, in: zweiten, kurz vor der Ankunft des Alarich im Lager, vollkommenen
Unsinn reden. Als er dann, im vierten, von neuem zum Verräter an Stilicho
geworden ist und ihn sein Weib schließlich zu dessen Rettung umstimmt, genügt
Sudermann zu dieser seelischen Katastrophe der folgende Wortwechsel:


Eudora (sein Weib)

Er (Stilicho) wird nicht zurückkehren.


Claudian

Wird er nicht?


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[0241] Llaudians Lobgesänge Meuchelmord zum Opfer, nachdem der Dichter noch zuvor in quälender Reue Stilicho zu retten versucht hat. Lange Zeit — seit der Katastrophe ungefähr, in der der „Stein unter Steinen" im Oktober 1905 zu Atomen zerstiebte — war es für die Kritik an Suder¬ mann der gangbarste Gemeinplatz, dieser litauerblütige Ostpreuße sei sentimental und seicht geworden (oder von jeher gewesen), wisse aber noch immer die Karten des Bühnenspiels zu mischen, kenne sich wie kaum einer in den Geheimnissen jener Künste aus, durch die die Komödie wirkt. Nun muß auch dieser Ruhm ins Grab. Denn dieses Wer? ist das ödeste, langweiligste, was er je seinen Hörern beschert hat. Drei, vier verworrene Motive im ersten Akt. Christen- gegen Heidentum. Eine Ehe. von der man nie klar erfährt, warum sie keine Ehe ist. Eine römische Gesandtschaft, von der man nicht weiß, was sie eigentlich will. Man hascht nach dem, was der Dichter scheinbar zur Entwicklung bestimmt hat und erfährt erst, nachdem man sich durch dreißig lange Seiten gearbeitet hat, von Stilichos Stellung zum Reich, von der Claudians zum Feldherrn. Bis dahin, und auch im weiteren Verlauf, ergeht sich Sudermann in einem Wust barocker Schwülstigkeiten: „In mir brennen Wünsche, die noch kein Weib anblies .. ." „Draußen rast die weltstürmende Jagd. Ich sitze hier in erquickungsloser Versumpfung." Soweit ist es mit einem Dramatiker gekommen, der uns in den ersten, noch unverdorbenen Jahren seines Theaterruhmes eine ehrlich gehegte Idee, später im schlimmsten Kitsch, in der ekelsten Banalität immer noch einen scharf¬ gespitzten Dialog zu geben wußte. .. Die Handlung an sich wäre in drei knappe Akte einzufügen gewesen. Bei restloser Entwicklung des Psychischen. Sudermann braucht fünf, schildert auf neunzig von einhundertundsechzig Seiten das byzantinische Milieu, sügt lose die Geschehnisse ein, ertränkt alle dramatischen Möglichkeiten in einer Flut von Banalitäten und überläßt die seelische Entwicklung ganz der Phantasie seiner Leser. Wodurch Claudian das erstemal aus seiner zweifelhaften Stellung heraus unter die verborgenen Feinde des Feldherrn tritt, wird nicht verraten. Und um diesen Mangel zu verhüllen, läßt Sudermann ihn im ersten Akt Platt¬ heiten, in: zweiten, kurz vor der Ankunft des Alarich im Lager, vollkommenen Unsinn reden. Als er dann, im vierten, von neuem zum Verräter an Stilicho geworden ist und ihn sein Weib schließlich zu dessen Rettung umstimmt, genügt Sudermann zu dieser seelischen Katastrophe der folgende Wortwechsel: Eudora (sein Weib) Er (Stilicho) wird nicht zurückkehren. Claudian Wird er nicht?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/241>, abgerufen am 01.01.2025.