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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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(Llaudians Lobgesänge
Fritz Reck-Malleczewen von

s gibt unter den reproduzierenden Künstlern Deutschlands -- ich
denke besonders an einen süddeutschen Barden, der immer wieder
"auf vieles Bitten zum letzten, aber auch wirklich zum allerletzten
Mal" in die Arena steigt --, es gibt unter ihnen viele, die den
Zeitpunkt, wo für den Künstler die Zurückgezogenheit des Alters
Zu beginnen hat, ein für allemal gründlich verpaßt haben. Das Wesentliche
"n ihnen ist die ordenbedeckte Brust. Der Nest ist -- Ekel. Denn wo kein
starkes Muß mehr die Seele treibt, sich Menschen zu offenbaren, die diese Offen¬
barung mit Geld erkauften, wo die Feder nichts anderes ist, als Eitelkeit und
in jammervolleren Fällen allein die Not -- da beginnt, es ist hart, aber es
lst doch so, für den Feinfühligen die Prostitution des Künstlers. Und, wie ich
sagte, der Ekel.

Sudermann hat -- seit seine Kunst die kacie8 riippoclatica zeigt -- so
starke Reaktionen bei mir nie erzielt. Das Hirn ist müde, die Hand ist müde,
die Seele ist leer. Und nur die Gewohnheit schafft Jahr auf Jahr Drama auf
Drama für die Vergessenheit. Ekel? . . Ach nein, Mitleid, peinliches Mit¬
leid ....

Hier ist zunächst der diesmalige Tatbestand: im heurigen Sudermann sind
die Anreden geändert. Es heißt nicht, wie sonst bei ihm: "Herr Graf" . .,
"Herr Baron" . ,, "Herr Kommerzienrat" ... Es heißt dieses Mal: "Er¬
lauchtester", "Herrlichster". Will sagen, seine Schemen nimm dieses Mal
Altertum. sterbendes, Völkerwanderung.

Stilicho, bekanntlich Heerführer des weströmischen Schattenkaisers, im übrigen
der wahre Lenker des sinkenden Staates, dieser Stilicho fühlt -- der eigenen
germanischen Abstammung gemäß -- zwei Seelen in der Halbbarbarenbrust:
eine römische und eine germanische. So wird es ungefähr das Wallensteinmotiv:
der Intellekt sieht den einzigen Weg zur Rettung des ehrlich geliebten Reiches
w einem Kompromißfrieden mit dem feindlichen Gotenkönig Manch. Und die
germanische Seele, ein wenig wohl auch die heimlich gehegte Hoffnung auf
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(Llaudians Lobgesänge
Fritz Reck-Malleczewen von

s gibt unter den reproduzierenden Künstlern Deutschlands — ich
denke besonders an einen süddeutschen Barden, der immer wieder
„auf vieles Bitten zum letzten, aber auch wirklich zum allerletzten
Mal" in die Arena steigt —, es gibt unter ihnen viele, die den
Zeitpunkt, wo für den Künstler die Zurückgezogenheit des Alters
Zu beginnen hat, ein für allemal gründlich verpaßt haben. Das Wesentliche
«n ihnen ist die ordenbedeckte Brust. Der Nest ist — Ekel. Denn wo kein
starkes Muß mehr die Seele treibt, sich Menschen zu offenbaren, die diese Offen¬
barung mit Geld erkauften, wo die Feder nichts anderes ist, als Eitelkeit und
in jammervolleren Fällen allein die Not — da beginnt, es ist hart, aber es
lst doch so, für den Feinfühligen die Prostitution des Künstlers. Und, wie ich
sagte, der Ekel.

Sudermann hat — seit seine Kunst die kacie8 riippoclatica zeigt — so
starke Reaktionen bei mir nie erzielt. Das Hirn ist müde, die Hand ist müde,
die Seele ist leer. Und nur die Gewohnheit schafft Jahr auf Jahr Drama auf
Drama für die Vergessenheit. Ekel? . . Ach nein, Mitleid, peinliches Mit¬
leid ....

Hier ist zunächst der diesmalige Tatbestand: im heurigen Sudermann sind
die Anreden geändert. Es heißt nicht, wie sonst bei ihm: „Herr Graf" . .,
»Herr Baron" . ,, „Herr Kommerzienrat" ... Es heißt dieses Mal: „Er¬
lauchtester", „Herrlichster". Will sagen, seine Schemen nimm dieses Mal
Altertum. sterbendes, Völkerwanderung.

Stilicho, bekanntlich Heerführer des weströmischen Schattenkaisers, im übrigen
der wahre Lenker des sinkenden Staates, dieser Stilicho fühlt — der eigenen
germanischen Abstammung gemäß — zwei Seelen in der Halbbarbarenbrust:
eine römische und eine germanische. So wird es ungefähr das Wallensteinmotiv:
der Intellekt sieht den einzigen Weg zur Rettung des ehrlich geliebten Reiches
w einem Kompromißfrieden mit dem feindlichen Gotenkönig Manch. Und die
germanische Seele, ein wenig wohl auch die heimlich gehegte Hoffnung auf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/239>, abgerufen am 29.12.2024.