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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

eilig weiter zu reiten. In alle kleinen rheinischen Orte kam die Botschaft, damit
sie nicht verzagten und aushielten bis die Kaiserlichen sie alle besetzten und
den Feind nach Frankreich zurückjagten. Montecucculi war in der Nähe; er,
der ruhmreiche kaiserliche General, würde das linke Rheinufer nicht in die Hände
des Feindes fallen lassen. So dachte Sebastian, während er noch immer an
seinem Mauerloch stand, und nicht hörte, wie sein Bursch nach der Haustür
lief und wild anschlug. Bursch hatte sich bald eingelebt und schien jetzt der
Herr des Hauses, das er allerdings von Ratten und Mäusen säuberte. Er
verspeiste diese Tiere mit Behagen und brauchte fast kein anderes Futter, ein
Umstand, der Sebastian sehr zustatten kam, obgleich er eine goldene Dose seines
Vaters verkauft und dadurch wieder Geld hatte. Kätha ließ sich nur sehr
selten sehen. Ihr Vater Jupp war übel gefallen und konnte nicht mehr die
Treppen im Turm steigen. Da mußte seine Tochter aushelfen, und da sie,
außer der Hexe, noch einige andere Verbrecher zu beaufsichtigen hatte, so fehlte
es ihr wirklich an Zeit, auch noch an den zukünftigen Domherrn zu denken.
Sebastian nahm es ihr übel, obgleich er sich sagte, daß es nicht christlich wäre,
jemandem etwas übel zu nehmen. Außerdem ärgerte er sich, daß auch Kätha
ihm noch nicht Eingang zu der Hexe verschafft hatte, die noch immer auf Ver¬
hör und Gericht wartete. Sehen mußte er sie; wenn der Stadtschreiber nicht
so geschäftig getan hätte, würde er sich lange von ihm eine Erlaubnis erwirkt
haben.

"Ihr seid tief in Gedanken, Herr Junkerl" sagte der Pfarrer Kohlbaum
neben ihm, und Sebastian schrak wirklich zusammen. Dann entschuldigte er
sich mit seiner großen Arbeit, die er jetzt eben verlassen, um einen Augenblick
frische Luft zu atmen. "Ihr tut wohl daran I" sagte der Pfarrer, während er an
das Mauerloch trat und die Ranken zur Seite schob. "Wahrlich, es ist von
den Franken nicht so übel gewesen, euch ein Loch in die Mauer zu schießen.
Möge es dabei bleiben!"

Er wollte nicht wieder gleich ins dunkle, kalte Haus gehen und setzte sich
auf eine morsche Holzbank, die gerade in der Sonne stand.

"Ein schönes Gärtchen habt ihr, Junkerl" meinte er, während er ein Sack¬
tuch aus dem verschlossenen Rock nahm und sich langsam die Nase putzte.
"Bei Euch merkt man nichts von der Unbill der Zeit." "Draußen ist großer
Jammer, und die Kinder verlieren ihre Ellern, ihr aber sitzt still und schreibt
über die gute Genoveval"

Sebastian fand einen leisen Vorwurf in diesen Worten und erwiderte
kühl, daß er allerdings teilnähme an der Trauer der Zeit; doch wäre es gut.
einmal an anderes zu denken, und die Gedanken der Menschen ans dem Jammer
von heute in die Zeit zu lenken, wo die Gerechten auch leiden mußten. In
Manen besonders, wo eine Hexe nngerichtet im Turm säße, und niemand an
sie heran könne, um ihre Seele zu retten, müßte man sich zurückziehen, um
Geduld in der Trübsal zu lernen.


Die Hexe von Mayen

eilig weiter zu reiten. In alle kleinen rheinischen Orte kam die Botschaft, damit
sie nicht verzagten und aushielten bis die Kaiserlichen sie alle besetzten und
den Feind nach Frankreich zurückjagten. Montecucculi war in der Nähe; er,
der ruhmreiche kaiserliche General, würde das linke Rheinufer nicht in die Hände
des Feindes fallen lassen. So dachte Sebastian, während er noch immer an
seinem Mauerloch stand, und nicht hörte, wie sein Bursch nach der Haustür
lief und wild anschlug. Bursch hatte sich bald eingelebt und schien jetzt der
Herr des Hauses, das er allerdings von Ratten und Mäusen säuberte. Er
verspeiste diese Tiere mit Behagen und brauchte fast kein anderes Futter, ein
Umstand, der Sebastian sehr zustatten kam, obgleich er eine goldene Dose seines
Vaters verkauft und dadurch wieder Geld hatte. Kätha ließ sich nur sehr
selten sehen. Ihr Vater Jupp war übel gefallen und konnte nicht mehr die
Treppen im Turm steigen. Da mußte seine Tochter aushelfen, und da sie,
außer der Hexe, noch einige andere Verbrecher zu beaufsichtigen hatte, so fehlte
es ihr wirklich an Zeit, auch noch an den zukünftigen Domherrn zu denken.
Sebastian nahm es ihr übel, obgleich er sich sagte, daß es nicht christlich wäre,
jemandem etwas übel zu nehmen. Außerdem ärgerte er sich, daß auch Kätha
ihm noch nicht Eingang zu der Hexe verschafft hatte, die noch immer auf Ver¬
hör und Gericht wartete. Sehen mußte er sie; wenn der Stadtschreiber nicht
so geschäftig getan hätte, würde er sich lange von ihm eine Erlaubnis erwirkt
haben.

„Ihr seid tief in Gedanken, Herr Junkerl" sagte der Pfarrer Kohlbaum
neben ihm, und Sebastian schrak wirklich zusammen. Dann entschuldigte er
sich mit seiner großen Arbeit, die er jetzt eben verlassen, um einen Augenblick
frische Luft zu atmen. „Ihr tut wohl daran I" sagte der Pfarrer, während er an
das Mauerloch trat und die Ranken zur Seite schob. „Wahrlich, es ist von
den Franken nicht so übel gewesen, euch ein Loch in die Mauer zu schießen.
Möge es dabei bleiben!"

Er wollte nicht wieder gleich ins dunkle, kalte Haus gehen und setzte sich
auf eine morsche Holzbank, die gerade in der Sonne stand.

„Ein schönes Gärtchen habt ihr, Junkerl" meinte er, während er ein Sack¬
tuch aus dem verschlossenen Rock nahm und sich langsam die Nase putzte.
„Bei Euch merkt man nichts von der Unbill der Zeit." „Draußen ist großer
Jammer, und die Kinder verlieren ihre Ellern, ihr aber sitzt still und schreibt
über die gute Genoveval"

Sebastian fand einen leisen Vorwurf in diesen Worten und erwiderte
kühl, daß er allerdings teilnähme an der Trauer der Zeit; doch wäre es gut.
einmal an anderes zu denken, und die Gedanken der Menschen ans dem Jammer
von heute in die Zeit zu lenken, wo die Gerechten auch leiden mußten. In
Manen besonders, wo eine Hexe nngerichtet im Turm säße, und niemand an
sie heran könne, um ihre Seele zu retten, müßte man sich zurückziehen, um
Geduld in der Trübsal zu lernen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/233>, abgerufen am 29.12.2024.