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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses
Anregungen ans Anlaß des Richter- und Anwalttages
Amtsrichter Karl Häuschkel von
III.

Daß die Mittel der Prozeßverhütung in sehr vielen Fällen versagen werden,
ist selbstverständlich. Es wird immer Schuldner geben, die trotz aller Rechts¬
beratung an einer falschen Rechtsansicht festhalten oder trotz aller Einigungs¬
versuche einen wohlbegründeten Rechtsanspruch nicht befriedigen wollen oder
auch nicht befriedigen können. Anderseits wird es immer Leute geben, die
trotz aller Belehrung in Wahrheit nicht bestehende Ansprüche, mögen sie diese
zu haben vermeinen oder sei es, daß sie bösgläubig handeln, durchzusetzen ver¬
suchen wollen. Es gilt deshalb, die streitigen und die nichtstreitigen Ansprüche
rechtzeitig voneinander zu sondern.

Lobe tritt mit Recht dafür ein, daß das förmliche Prozeßverfahren der
Geltendmachung der streitigen Ansprüche vorbehalten bleiben soll. Dabei geht
er von dem Gedanken aus, daß es unlogisch ist, den Richter anzurufen und
eine Entscheidung herbeizuführen, wenn kein Streit besteht, also gar nichts zu
entscheiden ist. Der Verwirklichung nichtstreitiger Forderungen sollen andere
Rechtsbehelfe dienen. Er rät zunächst zur Errichtung von Einziehungsämtern
auf genossenschaftlicher Grundlage, wie sie zurzeit schon in manchen Städten
bestehen*). Diesen Einziehungsämtern würde, da sie ja nur Gebilde der
Selbsthilfe sind, hauptsächlich die Aufgabe zufallen, fällige Forderungen für den
Gläubiger einzuziehen; dagegen find sie, wenn ihnen nicht geradezu staatliche
Machtmittel zur Verfügung gestellt werden, natürlich nie geeignet, die Gerichte
zu ersetzen. Infolgedessen kann die Inanspruchnahme des Einziehungsamtes
für den Gläubiger einen nicht unbeträchtlichen Zeitverlust bedeuten, mag für
ihn in anderen Fällen die Hilfe des Einziehungsamtes auch noch so wertvoll
sein. Hieraus ergibt sich, daß die Inanspruchnahme des Einziehungsamles,
das übrigens seine Tätigkeit immer nur auf gewisse Kreise wird beschränken



*) Vergleiche Näheres hierüber in der Abhandlung von Landgerichtsrat Dr. Mangler
"Das Schuldeneinziehungswesen der Geschäftswelt i" der Praxis", Deutsche Richterzeitung,
Jahrgang 1913, Ur. 14, 16, 17.
14"


Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses
Anregungen ans Anlaß des Richter- und Anwalttages
Amtsrichter Karl Häuschkel von
III.

Daß die Mittel der Prozeßverhütung in sehr vielen Fällen versagen werden,
ist selbstverständlich. Es wird immer Schuldner geben, die trotz aller Rechts¬
beratung an einer falschen Rechtsansicht festhalten oder trotz aller Einigungs¬
versuche einen wohlbegründeten Rechtsanspruch nicht befriedigen wollen oder
auch nicht befriedigen können. Anderseits wird es immer Leute geben, die
trotz aller Belehrung in Wahrheit nicht bestehende Ansprüche, mögen sie diese
zu haben vermeinen oder sei es, daß sie bösgläubig handeln, durchzusetzen ver¬
suchen wollen. Es gilt deshalb, die streitigen und die nichtstreitigen Ansprüche
rechtzeitig voneinander zu sondern.

Lobe tritt mit Recht dafür ein, daß das förmliche Prozeßverfahren der
Geltendmachung der streitigen Ansprüche vorbehalten bleiben soll. Dabei geht
er von dem Gedanken aus, daß es unlogisch ist, den Richter anzurufen und
eine Entscheidung herbeizuführen, wenn kein Streit besteht, also gar nichts zu
entscheiden ist. Der Verwirklichung nichtstreitiger Forderungen sollen andere
Rechtsbehelfe dienen. Er rät zunächst zur Errichtung von Einziehungsämtern
auf genossenschaftlicher Grundlage, wie sie zurzeit schon in manchen Städten
bestehen*). Diesen Einziehungsämtern würde, da sie ja nur Gebilde der
Selbsthilfe sind, hauptsächlich die Aufgabe zufallen, fällige Forderungen für den
Gläubiger einzuziehen; dagegen find sie, wenn ihnen nicht geradezu staatliche
Machtmittel zur Verfügung gestellt werden, natürlich nie geeignet, die Gerichte
zu ersetzen. Infolgedessen kann die Inanspruchnahme des Einziehungsamtes
für den Gläubiger einen nicht unbeträchtlichen Zeitverlust bedeuten, mag für
ihn in anderen Fällen die Hilfe des Einziehungsamtes auch noch so wertvoll
sein. Hieraus ergibt sich, daß die Inanspruchnahme des Einziehungsamles,
das übrigens seine Tätigkeit immer nur auf gewisse Kreise wird beschränken



*) Vergleiche Näheres hierüber in der Abhandlung von Landgerichtsrat Dr. Mangler
„Das Schuldeneinziehungswesen der Geschäftswelt i» der Praxis", Deutsche Richterzeitung,
Jahrgang 1913, Ur. 14, 16, 17.
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[0223] [Abbildung] Die Neugestaltung des deutschen Zivilprozesses Anregungen ans Anlaß des Richter- und Anwalttages Amtsrichter Karl Häuschkel von III. Daß die Mittel der Prozeßverhütung in sehr vielen Fällen versagen werden, ist selbstverständlich. Es wird immer Schuldner geben, die trotz aller Rechts¬ beratung an einer falschen Rechtsansicht festhalten oder trotz aller Einigungs¬ versuche einen wohlbegründeten Rechtsanspruch nicht befriedigen wollen oder auch nicht befriedigen können. Anderseits wird es immer Leute geben, die trotz aller Belehrung in Wahrheit nicht bestehende Ansprüche, mögen sie diese zu haben vermeinen oder sei es, daß sie bösgläubig handeln, durchzusetzen ver¬ suchen wollen. Es gilt deshalb, die streitigen und die nichtstreitigen Ansprüche rechtzeitig voneinander zu sondern. Lobe tritt mit Recht dafür ein, daß das förmliche Prozeßverfahren der Geltendmachung der streitigen Ansprüche vorbehalten bleiben soll. Dabei geht er von dem Gedanken aus, daß es unlogisch ist, den Richter anzurufen und eine Entscheidung herbeizuführen, wenn kein Streit besteht, also gar nichts zu entscheiden ist. Der Verwirklichung nichtstreitiger Forderungen sollen andere Rechtsbehelfe dienen. Er rät zunächst zur Errichtung von Einziehungsämtern auf genossenschaftlicher Grundlage, wie sie zurzeit schon in manchen Städten bestehen*). Diesen Einziehungsämtern würde, da sie ja nur Gebilde der Selbsthilfe sind, hauptsächlich die Aufgabe zufallen, fällige Forderungen für den Gläubiger einzuziehen; dagegen find sie, wenn ihnen nicht geradezu staatliche Machtmittel zur Verfügung gestellt werden, natürlich nie geeignet, die Gerichte zu ersetzen. Infolgedessen kann die Inanspruchnahme des Einziehungsamtes für den Gläubiger einen nicht unbeträchtlichen Zeitverlust bedeuten, mag für ihn in anderen Fällen die Hilfe des Einziehungsamtes auch noch so wertvoll sein. Hieraus ergibt sich, daß die Inanspruchnahme des Einziehungsamles, das übrigens seine Tätigkeit immer nur auf gewisse Kreise wird beschränken *) Vergleiche Näheres hierüber in der Abhandlung von Landgerichtsrat Dr. Mangler „Das Schuldeneinziehungswesen der Geschäftswelt i» der Praxis", Deutsche Richterzeitung, Jahrgang 1913, Ur. 14, 16, 17. 14»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/223>, abgerufen am 29.12.2024.